Diabetologie und Stoffwechsel 2011; 6 - P155
DOI: 10.1055/s-0031-1277426

Inzidenz nicht schwerer Unterzuckerungen bei insulinbehandelten Patienten mit Diabetes mellitus Typ 2 in Abhängigkeit von der Therapieform

K Reise 1, V Hartung 1, C Kloos 1, G Wolf 1, UA Müller 1
  • 1Universitätsklinikum Jena, Klinik für Innere Medizin III, Jena, Germany

Fragestellung: Die multiple Injektionstherapie (MIT) eröffnet mehr Möglichkeiten zur Anpassung an wechselnde Alltagsbedingungen (Mahlzeiten, körperliche Aktivität) im Vergleich zur konventionellen Insulintherapie (CIT). Bisherige Studien zeigten keine Unterschiede im HbA1c oder schweren Unterzuckerungen. Wir untersuchten die Erfolge dieser Therapieformen bei Patienten mit Diabetes mellitus Typ 2 (DM2), die sich im Ruhestand befinden.

Methodik: Wir erfassten die Häufigkeit und Umstände von Hypoglykämien mit einem standardisierten Fragebogen bei 300 insulinbehandelten Patienten mit DM2 (Alter 71,9J; Zeit seit Diagnose 18,2J; BMI 32,4kg/m2; HbA1c 7,3%) in einer Hochschulambulanz für Endokrinologie. Alle Patienten hatten innerhalb der letzten 20 Jahre an einem strukturierten Schulungsprogramm zu MIT oder CIT teilgenommen.

Wir definierten nicht schwere Hypoglykämien als Zustand mit typischen Symptomen einer Hypoglykämie und rascher Besserung nach Kohlenhydratzufuhr oder einem Blutglukosemesswert unter 2,2mmol/l (40mg/dl) auch ohne Symptome. Eine schwere Hypoglykämien definierten wir als Notwendigkeit einer i.v. Glukosegabe.

Wir bildeten eine Likert-Skala von 1–6 um Beeinträchtigung durch bzw. Angst vor Unterzuckerungen zu messen (1: keine; 6: sehr große). Klinische und laborchemische Daten stammen aus der elektronischen Patientenakte EMIL (http://www.itc-ms.de). HbA1c wurde anhand der DCCT adjustiert.

Ergebnisse: 173 Patienten führten eine CIT (57,7%), 127 ein MIT (42,3%) durch. Unter CIT gab es weniger Patienten mit nicht schweren Hypoglykämien in den letzten 12 Monaten (53vs. 68%; p<0,01). Die mittlere Häufigkeit pro Woche war bei diesen Patienten 0,32 (CIT) vs. 0,66 (MIT) (p=0,03). Patienten mit CIT waren älter (74 vs. 70J; p<0,01), maßen seltener Blutglukose (14 vs. 28/Woche; p<0,01), hatten weniger Insulininjektionen (2 vs. 4/d; p<0,01) und eine niedrigere Insulintagesdosis (40 vs. 58U/d; p<0,01). Mögliche Gründe für Unterzuckerungen aus Patientensicht waren „übliche Insulindosis zu hoch„ (13 vs. 27%; p=0,02) und „zu hohe Insulindosis zur Korrektur„ (9 vs. 22%; p=0,03).

Es ergaben sich keine signifikanten Unterschiede hinsichtlich des letzten HbA1c (7,3%, beide), des BMI (32,2 vs. 32,6kg/m2), der Zeit seit Diagnose (17,5 vs. 19,2J), der Inzidenz schwerer Hypoglykämien in den letzten 12 Monaten (0,03 vs. 0,04) bzw. in Diabetesdauer (0,08 vs. 0,18) und des Sozialstatus (10 beide; max. Score 21). Patienten fühlten sich gleichermaßen durch Unterzuckerungen beeinträchtigt (Median 1, beide) oder hatten Angst davor (Median 3, beide).

Schlussfolgerungen: Im Gegensatz zu allgemeinen Erwartungen ist die MIT bei gleichem HbA1c mit einer höheren Frequenz nicht schwerer Hypoglykämien assoziiert und lässt somit keinen relevanten Vorteil der MIT für Patienten mit DM2 im Ruhestand erkennen. Hinsichtlich des Managements und höherer finanzieller sowie zeitlicher Aufwendung sprechen diese Daten für die Annahme, CIT sei die Therapie der Wahl für diese Patientengruppe.