Diabetologie und Stoffwechsel 2011; 6 - P151
DOI: 10.1055/s-0031-1277422

Inzidenz von schweren und nicht schweren Hypoglykämien bei geriatrischen Patienten mit insulinbehandeltem Diabetes mellitus Typ 2

K Reise 1, C Kloos 1, C Kellner 1, N Müller 1, G Wolf 1, UA Müller 1
  • 1Universitätsklinikum Jena, Klinik für Innere Medizin III, Jena, Germany

Fragestellung: Schlechtere Stoffwechselkompensation und häufigere Hypoglykämien gelten als Folge abnehmender Fähigkeiten zum Selbstmanagement bei kognitiven Einschränkungen und zunehmender Multimorbidität älterer Diabetespatienten mit Insulintherapie. In den bekannten klinischen Studien zur Therapie des Diabetes mellitus Typ 2 sind geriatrische Patienten nicht abgebildet: UKPDS 54J, Kumamoto 47–53J, ACCORD 62J, ADVANCE 66J, VDAT 60J, 4T 63J.

Wir untersuchten Stoffwechselkompensation und Häufigkeit nicht schwerer und schwerer Unterzuckerungen bei geriatrischen Patienten mit Insulintherapie.

Methodik: In einer Hochschulambulanz für Endokrinologie erfassten wir die Häufigkeit sämtlicher Hypoglykämien bei 443 Patienten mit Typ-2-Diabetes und Insulintherapie mittels eines standardisierten Fragebogens und verglichen die Altersgruppe >75J (n=93, Alter 79,6J; Zeit seit Diagnose 19,6J, BMI 31,6kg/m2; Frauen 52%) mit der Gruppe 60–75J (n=252, Alter 67,7J; Zeit seit Diagnose 17,0J, BMI 32,8kg/m2; Frauen 37%) und <60J (n=98, Alter 52,8J; Zeit seit Diagnose 13,1J, BMI 34,8kg/m2; Frauen 38%). Alle Patienten haben innerhalb der letzten 20 Jahre an einem strukturierten Schulungsprogramm teilgenommen. Wir definierten nicht schwere Hypoglykämien als Zustand mit typischen Symptomen einer Hypoglykämie und rascher Besserung nach Kohlenhydratzufuhr oder einem Blutglukosemesswert unter 2,2mmol/l auch ohne Symptome. Schwere Hypoglykämien definierten wir als Notwendigkeit einer i.v. Glukosegabe. Klinische und laborchemische Daten stammen aus der elektronischen Patientenakte EMIL (http://www.itc-ms.de). HbA1c wurde DCCT adjustiert (mittlerer Normbereich 5,05%).

Ergebnisse: Schwere Hypoglykämien in den letzten 12 Monaten wurden in der geriatrischen Gruppe nicht angegeben (>75J: 0,00; 60–75J: 0,04; <60J 0,01Ereignisse/Pat/J; p=0,24). Nicht schwere Hypoglykämien nahmen mit dem Alter an Häufigkeit ab (>75J: 0,21; 60–75J: 0,24; <60J 0,34Ereignisse/Pat/Woche; p=0,15). Der Blutglukoseschwellenwert für erste Hypoglykämiesymptome war in allen Gruppen vergleichbar (>75J: 3,6; 60–75J: 3,7; <60J: 3,7mmo/l). Die konventionelle Insulintherapie überwog bei den älteren Patienten (>75J: 76%; 60–75J: 49%; <60J: 15,3%; p<0,01), die auch weniger Blutzuckerselbstkontrollen pro Woche durchführten (>75J: 19; 60–75J: 22; <60J: 26; p<0,01). Die Insulindosis pro kg Körpergewicht war gleich (>75J: 0,6; 60–75J: 0,6; <60J: 0,7; p=0,03). Das HbA1c der über 75-Jährigen war signifikant niedriger als bei denen unter 60-Jährigen (7,3% vs. 7,6%; p=0,01).

Schlussfolgerungen: Entgegen klinischer Erfahrung sind Hypoglykämien bei geriatrischen Patienten mit insulinbehandeltem Diabetes mellitus Typ 2 trotz längerer Diabetesdauer nicht häufiger als bei unter 60-Jährigen. Ältere insulinbehandelte Diabetespatienten haben bei gleicher Insulindosis sogar bessere HbA1c-Werte als jüngere Patienten. Die Übertragbarkeit der Daten auf die hausärztliche Versorgung bzw. Alten-und Pflegeheime muss überprüft werden.