Gesundheitswesen 2011; 73 - V26
DOI: 10.1055/s-0031-1274432

Entwicklung der Hilfeplanung in der Hansestadt Rostock und Erfahrungen zum persönlichen Budget in der Hilfeplanung

T Leyk 1, A Wrociszewski 1
  • 1Gesundheitsamt Rostock

Bis Mitte der 90er Jahre hinein reduzierte sich die Versorgung schwer psychisch kranker Menschen in der Hansestadt Rostock auf die ambulante nervenärztliche Behandlung und die psychiatrische Krankenhausversorgung. Mit der Vergabe des damaligen Bundesmodellprojektes „ Gemeindenahe Psychiatrie„ nach Rostock im Jahre 1992 entstanden in den folgenden Jahren auch in Rostock erste komplementäre Einrichtungen und Selbsthilfeinitiativen. Angeregt durch die Empfehlung der Expertenkommission der Bundesregierung (1988) entwickelten sich ambulante und teilstationäre Hilfen, die es ermöglichten, das heute 90 Prozent der Nutzer von psychosozialen Unterstützungsangeboten in eigenem Wohnraum leben. Entwicklungsziel war, Hilfsangebote so zu gestalten, dass einem akut oder chronisch psychisch kranken Menschen in jeder Situation und zu jedem Zeitpunkt eine auf seine individuellen Bedürfnisse und Fähigkeiten und die Besonderheit seiner individuellen Lebenswelt ausgerichtete integrierte Behandlung und Betreuung gewährt wird und das diese Hilfen nach Art und Umfang angemessen sind.

Die Umstrukturierung der Sozialhilfeträger 2002 erzeugte im Bereich der Eingliederungshilfe für seelische behinderte Menschen völlig veränderte Rahmenbedingungen. Lösungen fanden sich in dem aus dem Forschungsprojekt des Bundesministeriums hervorgegangenen personenzentrierten Konzepten und Modellen. Die beteiligten Akteure der Stadt verständigten sich auf die Gründung eines gemeindepsychiatrischen Verbundes (GPV), bestehend aus Gemeindepsychiatrischen Steuerungsverbund (GPSV) und Gemeindepsychiatrischen Leistungsanbieterverbund (GPLV), die Einführung einer standardisierten Hilfeplanung mit trägerübergreifender Hilfeplankonferenz sowie die Übernahme einer Versorgungsverpflichtung für die Region. Mit der erstmaligen Unterzeichnung des trägerübergreifenden Versorgungsvertrages gemäß §75 SGB XII zwischen der Kommune und dem GPLV über eine zeitbasierte Leistungsfinanzierung auf der Grundlage eines gedeckelten regionalen SGB XII-Psychiatriebudget im Jahr 2005 konnten Leistungen auch hinsichtlich ihres zeitlichen Umfanges bedarfsgerecht geplant werden. Die individuelle Zuordnung zu einer Hilfebedarfsgruppe, welche den zeitlichen Rahmen vorgibt, sollte es nun auch Menschen mit einem hohen Hilfebedarf ermöglichen, an ihrem selbst gewählten Wohnort versorgt zu werden.

2003 wurde als erste in M/V die Rostocker Hilfeplankonferenz durch den Psychiatriebeirat begründet und eine Geschäftsordnung erarbeitet. Die HPK wurde paritätisch besetzt mit Kostenträgern und Leistungsanbieter und trifft eine fachliche Entscheidung über Art, Inhalt, Ziel und Umfang der erforderlichen Hilfen sowie Zuständigkeit in der Leistungserbringung. Die Geschäftsführung der HPK obliegt der Fachberatung Psychiatrie des Amtes für Jugend und Soziales.

Eine Bestandsaufnahme psychisch kranker Menschen mit ALG II-Bezug im Rahmen des Projektes Teilhabe an Arbeit und Beschäftigung (2005–2007) ermöglichte eine gute Argumentationsgrundlage hinsichtlich der Teilnahme anderer Kostenträger an der HPK. So nehmen seit 2005 Mitarbeiter des Hansejobcenters (ARGE) regelmäßig an der HPK teil. Im Jahr 2009 nahmen in einer achtmonatigen Erprobung Mitarbeiterinnen der Servicestellen der IKK Nord nach §22 SGB IX an der regionalen Hilfeplanung teil. Durch die Beteiligung anderer Kostenträger (Servicestelle gemäß SGB IX, Hansejobcenter gemäß SGB II, Jugendamt gemäß SGB VIII) ist die HPK im Unterschied zu vielen anderen HPK-Konstruktionen in der Lage, auch trägerübergreifende Komplexleistungen zu planen.

Seit dem 1. Januar 2008 besteht ein Rechtsanspruch auf das Persönliche Budget als neuer Form der Leistungsgewährung, aber erst ab Anfang 2009 ergingen auch Begutachtungsaufträge hinsichtlich der Beantragung eines persönlichen Budgets an den Sozialpsychiatrischen Dienst. Anfänglich erfolgten die Antragstellungen weniger im Rahmen einer Eingliederungsvereinbarung, sondern als Beantragung zusätzlicher finanzieller Leistungen zur Teilnahme am Leben. Die gutachterlichen Fragestellungen bezogen sich vor allem zur Zugehörigkeit zum Personenkreis und zur Regiefähigkeit hinsichtlich der Verwaltung eines persönlichen Budgets. Bei Antragstellungen zum trägerübergreifenden Budget bei mehrfach behinderten Menschen, in einigen Fällen z.B. bei gewünschter 24- Stunden-Assistenz mit hohem Kostenumfang, haben sich die Hilfeplangespräche bewährt.

Insgesamt ist aber festzustellen, dass sich das persönliche Budget für den Personenkreis der seelisch behinderten Menschen wenig etabliert hat.