Klinische Neurophysiologie 2011; 42 - P358
DOI: 10.1055/s-0031-1272805

VEP-Latenzen und Amplituden bei Patienten mit Multipler Sklerose, nicht entzündlichen ZNS-Erkrankungen und bei Gesunden. Prädiktive Werte für die Diagnosestellung

A.D. Funke 1, T. Lilienfein 1, A. Grüger 1
  • 1Eberswalde

Fragestellung: Die Bewertung von visuell evozierten Potentialen (VEP) in der MS-Diagnostik ist aufgrund der variablen Reizantworten im Hinblick auf klare Grenzwerte, ab denen VEP pathologisch sind und für eine MS sprechen, schwierig. VEP verschiedener Patientengruppen werden hinsichtlich diagnostisch relevanter Unterschiede der Reizantwort untersucht. Prädiktive Werte werden verglichen, um einen sinnvollen Grenzwert festzulegen, ab dem VEP auf eine MS hinweisen.

Methoden: P100-Latenzen und Amplituden der VEP bei Schachbrettreizung von Patienten mit nach McDonald-Kriterien diagnostizierter MS und akuter demyelinisierender Enzephalomyelitis (N=112) wurden mit Gesunden (N=212) und Patienten mit nichtentzündlichen ZNS-Erkrankungen (N=135) verglichen.

Ergebnisse: Die Latenzen im MS-Kollektiv sind im Vergleich zu den beiden anderen Kollektive signifikant verzögert (p<0,001). Die Amplituden fielen sie bei Patienten mit einer MS und bei Patienten mit einer nichtentzündlichen ZNS-Erkrankung im Vergleich zu Patienten ohne ZNS-Erkrankung jeweils signifikant niedriger aus (p<0,001). Bei einem pathologischen Grenzwert der P100-Latenz von 120ms ergaben sich im Vergleich MS zu Normalkollektiv ein positiver prädiktiver Wert (PPW) von 0,77 und ein negativer prädiktiver Wert (NPW) von 0,79. Bei einem Grenzwert von 122ms waren PPW 0,86 (NPW 0,78). Im Vergleich MS zu sonstigen ZNS-Erkrankungen war bei einem Grenzwert von 120ms der PPW 0,73 (NPW 0,79); bei einer Latenz von 122ms war der PPW 0,62 (NPW 0,76). Für das MS-Kollektiv gegen das Gesamtkollektiv gesunde Probanden und Probanden mit nichtentzündlichen ZNS-Erkrankungen war für einen Grenzwert von 120ms der PPW 0,73 (NPW 0,79), für 122ms PPW 0,75 (NPW 0,78), für 125ms PPW 0,79 (NPW 0,74).

Schlussfolgerung: Die Untersuchung zeigt, dass sich bei MS-Patienten und Patienten, die nichtentzündliche ZNS-Erkrankungen aufweisen eine hohe Varianz der Latenzen zeigt, was die Schaffung eindeutiger Grenzwerte erschwert. Im Vergleich zu Gesunden scheint eine P100-Latenz von 122ms ausreichende prädiktive Werte zu gewährleisten. Kann keine Aussage gemacht werden, ob eine nicht entzündliche ZNS-Erkrankung vorliegt, scheint eine P1ßß-Latenz 125ms mit einem PPW von 0,79 eine MS vorherzusagen.

Die Unterschiede der VEP-Amplituden sind diagnostisch nicht verwertbar, können jedoch im Einzelfall hilfreich sein. Es können jedoch nur Rückschlüsse auf eine ZNS-Läsion gezogen werden, ohne dass MS-spezifische Veränderungen auffielen.