Klinische Neurophysiologie 2011; 42 - P340
DOI: 10.1055/s-0031-1272787

Vegetativer Zustand oder Locked in-Syndrom? Funktionelle Kernspintomografie bei einer Patientin mit unklarer Bewusstseinsstörung

A. Markl 1, F. Müller 1, D. Vogel 1, T. Yu 1, S. Lang 1, B. Kotchoubey 1
  • 1Bad Aibling, Tübingen, Heidelberg

Hintergrund: Die klinische Untersuchung bewusster Wahrnehmung bei Patienten im vegetativen oder minimal responsiven Zustand ist schwierig. Fehldiagnosen kommen in ca. 40% der Fälle vor. Mittels funktioneller Kernspintomografie (fMRI) untersuchen wir Patienten mit Bewusstseinsstörungen nach Hinweisen auf bewusste Wahrnehmung.

Vorgestellt werden hier der Krankheitsverlauf und die fMRI-Ergebnisse einer Patientin mit unklarer Bewusstseinsstörung.

Methoden: Die funktionellen Kernspinbilder werden in einem 1,5T Siemens Tim Symphony Scanner aufgenommen. Es werden die Paradigmen Mentale Vorstellungskraft, Sprachverständnis, Spurenkonditionierung, Emotionale Empathie und Schmerzwahrnehmung untersucht.

Die Datenauswertung erfolgt mit der Statistical Parametric Mapping-Software Version 8 (SPM 8). Die Studie ist durch die Ethikkommission Tübingen geprüft und genehmigt.

Fallbericht und Ergebnisse: Die 61jährige Patientin hatte einen Verschluss der A.basilaris und infolgedessen einen Hirnstamminfarkt mit Einbeziehung der Pons erlitten. Als Komplikation einer intraarteriellen Lysetherapie war es zu einer subarachnoidalen und intracerebralen Blutung gekommen.

Wir führten an Tag 133 nach dem Akutereignis eine funktionelle Kernspintomografie durch. Klinisch befand sich die Patientin zu diesem Zeitpunkt in einem vegetativen Zustand.

Es zeigten sich positive BOLD Signale in mehreren Zielregionen der oben genannten Paradigmen. Es kann daher angenommen werden, dass bei der Patientin bereits zu diesem Zeitpunkt bewusste Wahrnehmung vorhanden war.

Im Verlauf kam es bei der Patientin zu einer klinischen Verbesserung. An Tag 230 nach Ereignis führten wir eine zweite fMRI-Messung mit den selben Paradigmen bei der klinisch nun minimal responsiven Patientin durch. Hier konnten die initial gefundenen Ergebnisse reproduziert werden.

Unter neurologischer Rehabilitationsbehandlung und psychomotorisch stimulierender Medikation zeigte sich klinisch eine weiterhin positive Dynamik. Etwa 9 Monate nach dem Akutereignis lag bei der Patientin, obwohl motorisch weiterhin schwer eingeschränkt, keine Störung des Bewusstseins mehr vor.

Schlussfolgerung: Die Ätiologie der Bewusstseinsstörung dieser Patientin (A.basiliaris-Thrombose und Hirnblutung) kann prinzipiell sowohl in einem Locked in-Syndrom als auch einem vegetativen Zustand resultieren. Die klinische Unterscheidung ist schwierig.

In diesem Fall wiesen bereits die Ergebnisse der frühen funktionellen Bildgebung auf erhaltene bewusste Wahrnehmung hin.