Klinische Neurophysiologie 2011; 42 - V155
DOI: 10.1055/s-0031-1272670

Kortikale Plastizität bei Patienten mit zerebraler Mikroangiopathie

J. List 1, T. Duning 1, E. Wilbers 1, J. Kürten 1, S. Knecht 1, A. Flöel 1
  • 1Berlin, Münster

Einleitung: Hyperintensitäten der weißen Substanz (white matter hyperintensities, WMH) finden sich regelmäßig im alternden Gehirn. Der direkte Einfluss auf die Kognition ist vor allem durch verminderte Exekutivfunktionen charakterisiert, während Lernen und Gedächtnis überwiegend gut erhalten sind. Hier sollte der Einfluss von WMH auf die kortikale Plastizität untersucht werden. Durch die gepaarte assoziative Stimulation (PAS) kann eine der Langzeitpotenzierung (LTP)-ähnliche Plastizität im primären motorischen Kortex induziert werden (1). In vorangegangenen Studien konnte gezeigt werden, dass Lernprozessen über LTP-ähnliche Mechanismen zugrundeliegen (2); die Fähigkeit zur LTP-Induktion nimmt mit dem Alter ab (3).

Methoden: Aus einem größerem Kollektiv (SEARCH-Health Study) wurden 20 ältere Patienten (72 ± 4 Jahre) mit ausgeprägten WMH in T2-gewichteten MRT-Bildern (Fazekas-Score 2 oder 3, für Fazekas-Score, s. (4)) identifiziert und mit 20 Probanden (70 + 4 Jahre) ohne nachgewiesene WMH (Fazekas-Score 0) nach Alter, Geschlecht und Bildung gematcht. Alle Probanden wurden nach dem exzitatorischen PAS-Protokoll (PAS-N20) stimuliert. Die Einschätzung der kognitiven Fähigkeiten erfolgte durch eine umfangreiche neuropsychologische Testbatterie. Die Ergebnisse wurden mit Ergebnissen voxelbasierter Statistik fraktioneller Anisotrophie (FA)-Abbildungen der Diffusions-Tensor-Bildgebung verglichen.

Ergebnisse: Patienten mit ausgeprägten WMH zeigten dem gesunden Kontrollkollektiv gegenüber ein Trend zur Verschlechterung exekutiver Funktionen (p=0,05), während Lernen und Gedächtnis erhalten waren. Auch in der Induktion LTP-ähnlicher Plastizität zeigte sich kein Unterschied zwischen den Gruppen. In der SAE-Gruppe zeigte sich parahippokampal und im subkortikalen Marklager eine negative Assoziation zwischen FA und LTP-ähnlicher Plastizität.

Abb.1: Korrelation von LTP-Induktion und verminderter FA bei Patienten mit zerebraler Mikroangiopathie.
Farbige Cluster zeigen die Korrelation zwischen MEP-Veränderungen nach PAS-N20 und verminderten FA-Werten in der Patientengruppe (p<0,005). Niedrige FA-Werte in Clustern im vorderen Teil der Capsula interna und bilateral parahippokampal waren mit höheren MEPs nach PAS-N20 in der Patientengruppe assoziiert. Der farbige Balken repräsentiert die t-Werte.

Diskussion: Auch ausgeprägte mikrostrukturelle Veränderungen scheinen die Fähigkeit zur Induktion LTP-ähnlicher Plastizität nicht zu beeinträchtigen. Diese erhaltene Plastizität könnte die erhaltenen Lern- und Gedächtnisfunktionen bedingen. Die stärkere (kortikal gemessene) Plastizität bei Patienten mit ausgeprägteren Störungen der Integrität der weissen Substanz (geringere FA) in lern- und gedächtnisrelevanten Hirnstrukturen könnte sogar für einen aktiven Kompensationsmechanismus sprechen.

Literatur:

[1] Stefan et al, Brain 2000

[2] Ziemann et al, Neurosci 2004

[3] Müller-Dahlhaus et al, Exp Brain Res 2008

[4] Pantoni et al, Neurology 2010