Zentralbl Chir 2012; 137(1): 75-78
DOI: 10.1055/s-0031-1271541
Kongressnachlese

© Georg Thieme Verlag KG Stuttgart ˙ New York

Kehrs Wirken in der Gallenchirurgie – wiederkehrender Anlass für ein Symposium der Viszeralmedizin – eine Kongressnachlese zum „Mitteldeutschen ‚Kehr-Symposium‘ in Halberstadt“

Kehr‘s Impact on Biliary Surgery – Recurring Occasion for a Symposium on Visceral Medicine – Selected Notes from the Central German Kehr Symposium held in HalberstadtF. Eder1 , F. Meyer2
  • 1Klinik für Allgemein-, Viszeral- und Gefäß­chirurgie, Ameos Klinikum St. Salvator Halberstadt, Deutschland
  • 2Klinik für Allgemein-, Viszeral- und Gefäß­chirurgie, Universitätsklinikum Magdeburg, A. ö. R.; Magdeburg, Deutschland
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Publication Date:
16 February 2012 (online)

Vom 15.–16.4.2011 trafen sich Gastro­enterologen, Viszeralchirurgen und weitere interessierte Ärzte aus Sachsen-Anhalt, Thüringen und Sachsen zum ersten Halberstädter und insgesamt 9. Kehr-Symposium im Hotel Villa Heine in Halberstadt. Die Organisation der Veranstaltung hatte die Klinik für Allgemein-, Viszeral- und Gefäßchirurgie des Ameos Klinikums Halberstadt unter Leitung von Chefarzt Dr. med. Frank Eder übernommen, sie wurde dabei von der Medizinischen Klinik des Hauses unter Leitung von PD Dr. med. Steffen Rickes tatkräftig unterstützt. Rückblickend kann man von einer sehr gelungenen bundesländerübergreifenden Fortbildungsveranstaltung sprechen, die die aktuelle Situation bei den Erkrankungen von Gallenblase und Gallenwegen in Diagnostik und Therapie übersichtlich dargestellt hat. Die Vertreter der zuständigen Fachgesellschaften zeigten sich sehr erfreut, dass eine traditionsreiche Thüringer Veranstaltung von Internisten und Chirurgen nun in Halberstadt ihre kontinuierliche Fortsetzung finden soll. Chefarzt Dr. Eder betonte, dass dies auch nur allzu berechtigt ist, da der Name Kehr eng mit Halberstadt verbunden ist. Hier wirkte Prof. Hans Kehr 22 Jahre in einer Privatklinik im Lindenweg 25 / 26, die er von 1888–1910 leitete. Hier hat er sich seinen Ruf als einer der besten und fortschrittlichsten Gallenoperateure seiner Zeit erworben. 

In einer Festsitzung wurde dem Leben und Wirken des berühmten Chirurgen ein besonderer Rückblick gewährt. Herr Dannenberg aus dem Ameos Klinikum Halberstadt berichtete über das Wirken von Prof. Kehr in Halberstadt, wo er sei­ne Operationsmethoden entwickelt und einen hochmodernen Operationssaal seiner Zeit betrieben hatte. 1888 ließ sich Hans Kehr „als „Spezialarzt für Chirur­gie und Orthopädie“ in Halberstadt nieder ([Abb. 1]). Im Oktober 1890 gründete er mit seinem späteren Schwager, dem HNO-Arzt Dr. Richard Rhoden, seine erste Privatklinik im Lindenweg 25 / 26 ([Abb. 2]). Die Anfangskapazität von 36 Betten wurde später auf 60 Betten erhöht. Innerhalb weniger Jahre erreichte Kehr eine außerordentliche chirurgische Meisterschaft, die ihn weltberühmt machte. Im Alter von erst 34 Jahren wurde er 1896 zum Professor ernannt. Spektakulär sind sein Ruf an das Krankenbett des französischen Ministerpräsidenten Pierre-Marie Waldeck-Rousseau 1904, die Operation der Tochter des bedeutenden Ber­liner Chirurgen Ernst von Bergmann 1907 und die des Berliner Ordinarius für Chirurgie Otto Hildebrandt 1908. Kehr konnte in seiner Halberstädter Zeit auf eine ­außerordentlich rege publizistische Tätigkeit zurückblicken, akribisch beobachtete er eigene Operationsergebnisse in seinen Statistiken und analysierte Fehler und Gefahren der Galleneingriffe. Regelmäßig trat er auf den Chirurgenkongressen seiner Zeit auf. 1903 begab sich Kehr auf eine Vortrags- und Demonstrationsreise in die USA, wo er in Washington, Boston und Philadelphia sprach. Sowohl für seine Vorträge als auch für dort durchgeführte Operationen fand er großen Beifall. 

Abb. 1 Karl Treibler: Porträt des Chirurgen Dr. Kehr 1889, Öl auf Leinwand, Gemälde in Privatbesitz.

Abb. 2 Die Privatklinik Kehrs in Halberstadt, Lindenweg 25 / 26 um 1898 (rechts Dame mit Korb).

Kehr war ein begeisterter Wagnerianer. Die Liebe zur Musik begleitete ihn in seinem Leben wie die Liebe zur Chirurgie. Er träumte von einem zweiten Bayreuth in Halberstadt und hatte schon einige Wagner-Aufführungen für Halberstadt organisiert. Den Höhepunkt stellte die Aufführung der „Meistersinger von Nürnberg“ im Jahre 1910 dar. Hier hatte auch das einfache Volk die Möglichkeit, die Vor­stellung im 1905 neu erbauten Halberstädter Theater kostenlos zu besuchen ([Abb. 3]). Neben den besten Wagner-Interpreten seiner Zeit verpflichtete Kehr auch 120 ausgewählte Sänger des Domgymnasiums, des Lehrerseminars und des Musikvereins der Stadt. Auseinandersetzungen mit den Stadtvätern über die Finanzierung der Veranstaltung und die fehlende Unterstützung für einen „Wagner-Verein“ veranlassten Kehr, Halberstadt noch im Jahre 1910 zu verlassen und nach Berlin umzusiedeln. 

Abb. 3 Das Halberstädter Stadttheater 1907.

Über den Lebensabschnitt in Berlin berichtete Prof. em. Dr. Wolff, ehemaliger Direktor der Chirurgischen Klinik der Charité, kompetent und umfassend. Unmittelbar nach seinem Weggang aus Halberstadt trat Kehr in die Privatklinik von Ernst Unger ([Abb. 4]) ein. Prof. Ernst ­Unger hatte mit ersten Experimenten zur Nierentransplantation Berühmtheit erlangt und die modernen Formen der Anästhesie in die klinische Praxis eingeführt. Auch hier hat Kehr seine Operationen weiterentwickelt und viel publiziert. Allerdings konnte er in Berlin keine neue Heimat mehr finden. Auch war der Konkurrenzdruck bedeutend höher und er war einer unter vielen. Wagner-Opern soll er seit dem Weggang aus Halberstadt nie mehr besucht haben. Eine unglück­liche Stichverletzung bei einer Operation am 15.5.1916 führte zu einer schweren Blutvergiftung, an der Prof. Hans Kehr am 20.5.1916 verstarb. 

Abb. 4 Die ehemalige Privatklinik Ungers in Berlin, heute Studentenwohnheim „Haus Unger“ Foto privat.

Bestattet wurde Kehr in Gehlberg (Thüringen), seiner Heimat. Dr. med. Schneider, Chefarzt der Chirurgischen Klinik des Krankenhauses Schmalkalden, berichtete über die Thüringer Zeiten im Leben von Hans Kehr. Geboren wurde er am 27.4.1862 als fünftes von 10 Kindern des deutschen Reformpädagogen Karl Kehr und dessen Frau Pauline in Waltershausen, in Gotha besuchte er die ersten Schulklassen. Als sein Vater in das Lehrerseminar nach Halberstadt berufen wurde, zog die Familie um. Nach der Schulbildung in Halberstadt führten ihn das Studium der Medizin und die chirurgische Ausbildung vorübergehend nach Jena und Gotha. In Jena promovierte Kehr und erlangte die ärztliche Approbation. Erste Assistenzen führten ihn zu Geheimrat Meusel nach Gotha. Das Streben zur modernen Chi­rurgie seiner Zeit ließ ihn dann nach Berlin zu Eduard Albert und nach Wien zu Theodor Billroth weiterziehen, bevor er sich in Hal­berstadt niederließ. Immer wieder zog es Kehr nach Thüringen in Gegenden um Gehlberg, Geschwenda und Elgersburg. Das Grundstück in Gehlberg erinnerte ihn an seine geliebte Großmutter, das Anwesen diente als Feriensitz und war wohl auch als Altersruhesitz eingeplant. Anlässlich des zweiten Kehr-Symposiums in Thüringen 1997 wurde am „Kehr Stein“, einem Felsen auf einer Berghöhe in der Nähe von Gehlberg, eine Gedenktafel für Prof. Kehr von den Teilnehmern der Veranstaltung angebracht. 

In der Diskussion meldete sich der bekannte Halberstädter Stadtchronist Werner Hartmann zu Wort. Er betonte die drei Bedeutungen von Kehr für Halberstadt aus seiner Sicht. An erster Stelle steht seine Bedeutung als einer der berühmtesten Gallenchirurgen seiner Zeit. An zweiter Stelle ist das Engagement für die Musik Richard Wagners zu nennen, er träumte von einem Halberstädter Bayreuth. Drittens sollten sein soziales Denken und seine Hilfsbereitschaft für arme Bevölkerungsschichten gewürdigt werden. Dies spiegelt sich in seinen Behandlungskosten für Reiche und Arme, aber auch in seinem Gedanken von einem Volkstheater wider. Die Festsitzung war sehr gut besucht, dies zeugt von einem regen Interesse an der Geschichte. 

Literatur

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Dr. med. F. Eder

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