Senologie - Zeitschrift für Mammadiagnostik und -therapie 2011; 8(2): 104
DOI: 10.1055/s-0031-1271519
Der senologische Auftrag zwischen politischer Realität und wissenschaftlichem Fortschritt

© Georg Thieme Verlag KG Stuttgart ˙ New York

Neue Kooperationsformen in der Onkologie

G. Debus
Further Information

Publication History

Publication Date:
17 June 2011 (online)

Neue Entwicklungen in der Diagnostik von Tumorerkrankungen haben in den vergangenen Jahren zu genaueren Erkenntnissen über spezifische Eigenschaften von Krebserkrankungen geführt. Die Taktgeber für diese Entwicklungen sind ganz wesentlich die Molekularpathologie und die Humangenetik einerseits, technische Neuentwicklungen andererseits. Molekulare und genetische Untersuchungsverfahren ermöglichen die Identifizierung von Subtypen von Tumoreigenschaften. Neue bildgebende Verfahren wie die PET machen bezogen auf den Gesamtorganismus eine prätherapeutische Stadieneinteilung möglich. 

Auch die therapeutischen Möglichkeiten haben sich gewandelt.Beispielhaft sollen hier einige Entwicklungen erwähnt werden: Operationsverfahren werden dem Tumorstadium entsprechend angewendet und ausgedehnt (s. Sentinel-Lymphknoten-Entfernung beim Mammakarzinom). Sehr spezifische systemische Behandlungen sind möglich geworden durch Substanzen, die Wachstumsfaktorrezeptoren an der Tumorzelloberfläche beeinflussen oder intrazelluläre Stoffwechselvorgänge von Tumorzellen stoppen. Der Einsatz entsprechender Substanzen beim Mammakarzinom ebenso wie beim Kolonkarzinom ist bereits in die S3-Leitlinien eingegangen. Bei Bestrahlungen können durch erhebliche technische Fortschritte wesentlich genauere Zielvolumina verabreicht werden. All dies wird zukünftig die Prognose von KrebspatientInnen verbessern. 

Aus Sicht der Kostenträger sind diese Entwicklungen zunächst mit deutlich höheren Therapiekosten verbunden, was dazu führt, dass sie sich bzgl. der Erstattung neuer Therapien auf die Evidenzbasierung zurück ziehen. Um aber Evidenz basiert zu therapieren, sind umfangreiche Studien erforderlich, die naturgemäß nicht mit der Einführung neuer Therapie- oder Diagnostikformen in den Markt vorliegen. Hier sind Kooperationen zwischen den Entwicklern und den Therapierenden erforderlich, zunächst im Rahmen von translationaler Forschung, später in Form von Anwendungsstudien. Damit rücken die Industrie und die forschenden Kliniken näher zusammen. Selbstverständlich muss die gegenseitige Unabhängigkeit gewährleistet sein, was die Forderung nach Compliance-Regelungen bedingt. 

Denkbar im Sinne der Thematik in Bezug auf die Anwendung neuer Therapieformen sind Einzelverhandlungen von Kliniken mit Krankenkassen, wie sie z. B. für die Anwendung der fokus­sierten Ultraschalltherapie bei bestimmten Myomen der Gebärmutter bereits existieren. Im genannten Fall ist der wirtschaft­liche Nutzen für die Krankenkasse so evident, dass er die höheren ­Behandlungskosten gegenüber einer Operation rechtfertigt. In Einzelfällen gelingt es auch Brustkrebspatientinnen, direkt mit ihrer Krankenkasse die Kostenübernahme für teure, noch nicht evidenz-basierte Therapien erfolgreich zu verhandeln. 

Häufig sind die Betroffenen aber bereits schwer belastet mit der Bewältigung ihrer Diagnose und haben keine freien Valenzen mehr, sich mit ihren Versicherern über Kostenübernahmen auseinanderzusetzen. Wenn der Einsatz eines neuen Arzneimittels von den behandelnden Ärztinnen / Ärzten und ggf. auch der interdisziplinären Tumorkonferenz begründet wurde, bieten gelegentlich auch Hersteller neuer Medikamente Krebspatientinnen Hilfe an bei der Durchsetzung von Erstattungsansprüchen. 

Die routinemäßige Anwendung von Gentests zur prognostischen Vorhersage der Effektivität einer bestimmten Chemotherapie beim frühen Brustkrebs ohne Lymphknotenmetastasen mit positivem Nachweis von Östrogenrezeptoren ist ein weiteres Thema für neue Kooperationsformen in der Onkologie. Sogar für das Mammakarzinom mit Lymphknotenmetastasen konnte eine prognostische sowie eine prädiktive Signifikanz in großen Zahlen nachgewiesen werden (SWOG 8814). Allerdings ist seine Anwendung bislang nicht hinreichend evaluiert für den Vorhersagewert beim Karzinoms in situ und beim fernmetastasierten Mammakarzinom. 

Die Kosten für den Gentest müssen bislang von der Patientin selbst übernommen werden. Bringt nach dem Testergebnis die Chemotherapie keine Verbesserung des rezidivfreien Über­lebens (prognostische Signifikanz) durch die zusätzliche Chemotherapie und kann vorhergesagt werden, dass in den folgenden 5 Jahren mit großer Wahrscheinlichkeit keine Fernmetastasen auftreten werden (prädiktive Signifikanz), so entfallen die Kosten für Medikamente, aber auch für die Behandlung von Medikamenten-Nebenwirkungen und für lange Arbeitsunfähigkeit. Die Kosten in diesen Fällen wäre für die Kostenträger deutlich geringer im Verhältnis zu den Kosten einer nicht effektiven und damit überflüssigen Chemotherapie. Vorläufig ist es an der Patientin, die ­Zusage zur Kostenübernahme einzuholen oder die Kosten selbst zu tragen. In den nächsten Jahren wird sich einerseits durch ­zunehmende Erfahrung mit dem Test, andererseits durch die Möglichkeit von Einzelverträgen zwischen Brustzentren und Kostenträgern wahrscheinlich eine Änderung in dieser strikten Regelung abzeichnen. 

Ziel aller diagnostischen und therapeutischen Fortschritte ist immer die individualisierte Behandlung der Krebserkrankung und die höhere Heilungschance für die einzelne betroffene Patientin. 

Prof. Dr. G. Debus

Ärztliche Direktorin der Frauenklinik · Klinikum Dachau

Krankenhausstraße 15

85221 Dachau

Email: gerlinde.debus@amperkliniken.de

    >