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DOI: 10.1055/s-0031-1271499
© Georg Thieme Verlag KG Stuttgart ˙ New York
Standards und Kontroversen in der Radioonkologie
Publication History
Publication Date:
17 June 2011 (online)
Der Stellenwert der Strahlentherapie beim Mammakarzinom hat sich in den letzten drei Jahrzehnten seit Bestehen der Deutschen Gesellschaft für Senologie deutlich gewandelt und in der zweiten Hälfte dieser 30 Jahre stetig und erheblich zugenommen. Der Erfolg ist zum Teil auf Verbesserungen der Bestrahlungstechnik zurückzuführen; durch den flächendeckenden Einsatz von Linearbeschleunigern mit hochenergetischen Photonenstrahlen und 3D-Bestrahlungstechniken wurden die Dosisverteilung im Zielvolumen optimiert und die Strahlenbelastung von Risikoorganen reduziert.
Wichtiger als die Technik war aber wahrscheinlich die Einbindung der Strahlentherapie in ein multimodales Behandlungskonzept. Erstens wurde nämlich durch das Prinzip der Brusterhaltung die Strahlentherapie als Ergänzung zur Operation notwendig. Zweitens wurde durch den Fortschritt in der medikamentösen Therapie die systemische Tumorkontrolle soweit verbessert, dass die Beherrschung des lokalen Rückfallrisikos an Bedeutung gewann. Strahlen- und Chemotherapie können sich nicht gegenseitig ersetzen, sondern wirken komplementär. Das Besondere an dieser Entwicklung war die Tatsache, dass sich trotz der zunehmenden Bedeutung der Strahlentherapie wesentliche Behandlungsparameter während dieser Zeit praktisch nicht geändert haben. Wenn also in einer interdisziplinären Konferenz die Entscheidung für eine Strahlentherapie gestellt wurde, waren damit die Art und Weise der Strahlentherapie, nämlich Zielvolumen, Dosis und Fraktionierung, praktisch auch festgelegt. Auch hinsichtlich des Zeitablaufs der einzelnen Therapieschritte gab es für die Bestrahlung im Gegensatz zur Chemotherapie (prä- oder postoperativ) praktisch nur eine Option, nämlich am Schluss der Therapie nach Operation und Chemotherapie.
In den letzten Jahren gab es jedoch eine Reihe von neuen Entwicklungen in der Strahlentherapie, die zur Zeit zwar noch in klinischen Studien geprüft werden, aber zukünftig viele neue Optionen eröffnen. Sie betreffen die Ausdehnung des Zielvolumens (Ganzbrust- oder Teilbrustbestrahlung, Fraktionierungskonzepte mit integriertem Boost, axilläre Bestrahlung statt Operation bei positivem SN), neue Fraktionierungskonzepte (Verkürzung der Behandlungszeit durch sogenannte Hypofraktionierung), intraoperative Strahlentherapieverfahren und Änderungen der Sequenz von Operation, Chemotherapie und Radiotherapie (z. B. präoperative Radiochemotherapie). Einige dieser neuen Methoden (z. B. Hypofraktionierung) sind bereits mit guter Evidenz belegt und werden deshalb mit hoher Wahrscheinlichkeit große praktische Bedeutung erlangen; bei anderen ist der klinische Stellenwert noch nicht genau genug definiert und weitere Ergebnisse müssen abgewartet werden. Sicher ist aber schon heute, dass die Strahlentherapie dadurch stärker individualisiert werden wird. Diese Entwicklungen haben direkte Auswirkungen nicht nur auf die Strahlentherapie (Beratung über mehrere Optionen, Diversifizierung der Techniken, komplexere Bestrahlungsplanung), sondern auch auf die anderen an der Versorgung beteiligten Disziplinen. Das volle Potenzial der Strahlentherapie kann wahrscheinlich nur erreicht werden, wenn die auch Integration in das multimodale Umfeld optimiert wird.
Das Mammakarzinom war in den letzten Jahrzehnten das Paradebeispiel für den Erfolg der interdisziplinären Tumortherapie. Die Erfolge sind für Patientinnen in Form von verbesserten Heilungsraten, Chance auf Organerhaltung, erhöhte Lebensqualität und Reduktion des Therapierisikos offensichtlich. Die Deutsche Gesellschaft für Senologie ist der Spiegel dieser Interdisziplinarität und wird auch zukünftig die Aufgabe übernehmen, konsequente Verbesserungen in Diagnostik und Therapie für alle Patienten zu erreichen.
Prof. Dr. med. J. Dunst
Ärztlicher Direktor der Klinik für Strahlentherapie · Universität zu Lübeck
Ratzeburger Allee 160
23538 Lübeck
Email: juergen.dunst@uk-sh.de