Senologie - Zeitschrift für Mammadiagnostik und -therapie 2011; 8(2): 74
DOI: 10.1055/s-0031-1271496
Moderne Senologie im komplexen interdisziplinären Umfeld

© Georg Thieme Verlag KG Stuttgart ˙ New York

Innovationen in der Senologie

Moderne Senologie aus Sicht der PathologieM. Dietel Vorsitzender der Deutschen Gesellschaft für Pathologie
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Publication Date:
17 June 2011 (online)

Die enge Verbindung zwischen Gynäkologie und Pathologie hat ihren historischen Ursprung in der fachlich-diagnostischen und wissenschaftlichen Verknüpfung, die von beiden Seiten schon seit Mitte des 19. Jahrhunderts gepflegt wurde und wird. Mit dem von Rudolf Virchow geprägten Beginn der wissenschaft­lichen Medizin, aufbauend auf der Erkenntnis „Omnis cellula a cellula“ und dem reproduzierbaren Experiment als Basis jeg­licher Therapie an Patienten, wurden von dem Zeitgenossen Virchows Karl Ruge (1846–1926) die ersten gynäko-pathologischen Arbeiten publiziert. Sein Nachfolger Robert Meier (1863–1947), der Gynäkologe und Pathologe an der Charité Berlin war, führte diese Entwicklung weiter, wie eindrucksvoll in dem Handbuch der speziellen pathologischen und anatomischen Anatomie von 1930 belegt ist. Die Entwicklung der gynäkologischen Zytologie, speziell durch Papanicolaou Anfang der 40er-Jahre, stellt einen weiteren Meilenstein der engen Verbindung dar. Daraus ergab sich eine kontinuierliche jahrzehntelange Zusammenarbeit, die für die heutige moderne Senologie – als Teilgebiet der Gynäkologie – in besonderem Maße gilt. 

In der aktuellen Kooperation beider Disziplinen steht zweifelsfrei das Mammakarzinom im Vordergrund. Es gibt in der Onkologie wahrscheinlich keinen Tumortyp, der so intensiv von zwei Disziplinen wissenschaftlich untersucht worden ist und bei dem die ­tägliche Diagnostik und Therapie derart intensiv interdisziplinär bearbeitet wird. In diesem Zusammenhang sind als Stichworte die gemeinsame Schaffung der S3-Leitlinien, die kontinuierliche Entwicklung der mittlerweile sehr ausgefeilten TNM-Klassifika­tion, die Bildung von interdisziplinären Mamma-Zentren sowie die fachübergreifenden Tumorkonferenzen zu nennen, die sich in den letzten Jahren zunehmend auf die Individualisierung der ­Therapie konzentrieren. Dieser Prozess kann durchaus als beispielhaft und wegweisend für die gesamte Onkologie bezeichnet werden. 

Die aktuellen Herausforderungen liegen zweifelsfrei darin, dass die prädiktive Potenz morphologischer, immunhistologischer und molekularer Untersuchungen und die damit verbundenen klinisch-pathologischen Algorithmen nur in gemeinsamer Anstrengung zu verbessern sind. Blickt man in die Zukunft, so ist die prädiktive (Molekular-)Pathologie zu einer zentralen Herausforderung geworden. Dabei steht weniger die morphologische Klassifikation des Tumors im Vordergrund als vielmehr das Ziel, Therapie-Response, Prognose und Metastasierungswahrscheinlichkeit mittels gewebebasierter Untersuchungen vorherzusagen. Um dies erreichen zu können, ist es notwendig, spezielle Biomarker – dies können exprimierte Proteine, genetische Alterrationen oder metabolomische Veränderungen sein – zu definieren, klinisch zu validieren und dann in die therapeutische Routine umzusetzen. 

Dieser Vorgang kann nur in enger Kooperation zwischen beiden Partnern stattfinden, da die gewebebasierte Detektion der Marker – im Zusammenhang mit der modernen zielgerichteten Therapie auch Targets genannt – nur zusammen mit sorgfältig erhobenen klinischen Daten sinnvoll ist. Auch das systematische Biobanking ist eine gemeinsam zu leistende Aufgabe, die künftig noch systematischer durch übergeordnete Organisationsformen sichergestellt werden sollte. 

Da prädiktive Marker zunehmend die Therapie steuern, ergibt sich die Notwendigkeit einer stark verbesserten Reproduzierbarkeit, Quantifizierung und exakteren Markerbestimmung. Dies ist besonders beim Mammakarzinom wichtig, da die Bestimmung der Hormon-Rezeptoren, des HER2-Rezeptors, des Ki67-Status u. w. m. nach wie vor gewissen Schwankungen unterworfen ist. Als Reaktion auf diese Herausforderungen hat die Deutsche Gesellschaft für Pathologie für diese Untersuchungen nationale Qualitätskontrollen eingeführt. Auch die S3-Leitlinie gibt klare Anweisungen, wie mit dem Gewebe und der histologischen sowie funktionellen Diagnostik umgegangen werden muss. Neue Methoden zur automatisierten Quantifizierung mittels digitaler Pathologie sind in der Entwicklung und werden sicherlich in den nächsten Jahren eine entscheidende Rolle bei der Erhöhung der Reproduzierbarkeit der Ergebnisse spielen. 

Ein weiterer Schritt in Richtung verbesserter Prädiktion sind die sich Schritt für Schritt etablierenden Multigen-Assays. Diese ­beruhen darauf, dass eine bestimmte Anzahl von Genen und ­Kontrollgenen per RT-PCR im Paraffingewebe bestimmt werden. Aus dem sich ergebenden Score können Risikogruppen definiert werden, die dann eine unterschiedliche Rezidivrate zeigen. Die prädiktive Gensignatur gibt dem Kliniker also Hinweise darauf, ob es z. B. vertretbar ist, eine individuelle Patientin nur mit einer Anti-Hormontherapie oder einer Anti-Hormontherapie plus Chemotherapie zu behandeln. Die prädiktive Vorhersagegenauigkeit liegt schon heute zwischen 80 und 90 %. Zukünftig wird dieser Ansatz sicherlich weiter entwickelt und ggf. durch Protein-basierte Assays ergänzt werden. Es sollte somit zukünftig möglich sein, auf dem Boden genauer Gewebsanalysen für zahlreiche klinische Fragestellungen eine Entscheidungshilfe anzubieten. 

Die mit den Erkrankungen der Mamma befassten Pathologen verstehen sich letztlich als Teil der Senologie. Dieses Faktum stellt eine gute Voraussetzung dar, verstärkt klinische Studien gemeinsam zu planen, wissenschaftliche Projekte gemeinsam zu entwickeln und im Sinne einer Systempathologie des Mammakarzinoms für die Patienten nutzbar zu machen. 

Prof. Dr. med. M. Dietel

Ärztlicher Direktor des Pathologischen Instituts Rudolf-Virchow-Haus · Campus Charité Mitte

Charitéplatz 1

10117 Berlin

Email: manfred.dietel@charite.de

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