Geburtshilfe Frauenheilkd 2011; 71(5): R36-R61
DOI: 10.1055/s-0030-1270950
GebFra-Weiterbildung | Leitlinie

© Georg Thieme Verlag KG Stuttgart · New York

Diagnostik und Therapie der Venenthrombose und der Lungenembolie

Kurzfassung der S2-Leitlinie der AWMF, Stand Juni 2010M. W. Beckmann1 , A. S. Boosz1
  • 1Frauenklinik der Universität Erlangen, Erlangen
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Publication Date:
19 May 2011 (online)

Einleitung

Durch ein interdisziplinäres Konsensusverfahren wurde die neue Leitlinie von den insgesamt 12 beteiligten Fachgesellschaften, u. a. der DGGG (Deutsche Gesellschaft für Gynäkologie und Geburtshilfe), verabschiedet. Eine Überarbeitung der Leitlinie soll frühestens im Jahr 2015 erfolgen. Dringende Änderungen basierend auf neuen wissenschaftlichen Erkenntnissen werden zukünftig als Addendum veröffentlicht werden.

Die Originalversion der Leitlinie steht kostenlos im Internet (http://awmf-online.de) zur Verfügung.

In dieser Leitlinie wird die Diagnostik und Therapie der Bein- und Beckenvenenthrombose (TVT) komplett separat von der der Lungenembolie (LE) abgehandelt.

Kommentar 1 – aus Sicht des Hämostaseologen

Jürgen Ringwald

Mit einer jährlichen Inzidenz von ca. 0,1 % in der Gesamtbevölkerung gilt die venöse Thromboembolie (VTE) als dritthäufigste kardiovaskuläre Erkrankung [1]. Da das Risiko für eine VTE mit zunehmendem Alter deutlich ansteigt, ist zu erwarten, dass deren Häufigkeit zukünftig angesichts der zunehmend alternden Bevölkerung in unserem Land weiter ansteigen wird. Veränderungen des Lebensstils des modernen Menschen, z. B. Bewegungsmangel bei überwiegend sitzender Tätigkeit oder Neigung zu Adipositas, werden zusätzlich einen Betrag hierzu leisten. Die Lungenembolie (LE) gilt zudem als häufigste vermeidbare Ursache der krankenhausassoziierten Mortalität. Zur Prävention der VTE existiert seit einigen Jahren eine S3-Leitlinie (LL) [2].

Aufgrund der o. g. Häufigkeit der VTE und deren Bedeutung für die Gesundheit der Bevölkerung unseres Landes sollte jeder klinisch tätige Arzt Kenntnisse zur Diagnostik und Therapie der VTE besitzen. Gerade für Kollegen, die Patienten betreuen, deren Gesundheitszustand mit einem besonders hohen Risiko für VTE einhergeht, ist dies von besonderer Bedeutung. Dies trifft in mehrfacher Hinsicht auf den geburtshilflichen und gynäkologischen Bereich zu. Sowohl per se physiologische Zustände wie die Schwangerschaft als auch krankhafte Veränderungen wie Tumorerkrankungen oder bestimmte medikamentöse Therapieformen (Hormonersatztherapie, hormonelle Kontrazeption) führen zu einer hämostaseologischen Imbalance in Richtung einer prokoagulatorischen Thromboseneigung. Der Geburtshelfer/Gynäkologe muss daher bei diesen Patientinnen stets in der Lage sein, thrombotische Komplikationen zu erkennen und ggf. erste therapeutische Schritte einleiten zu können. Vor diesem Hintergrund ist die Initiative des Herausgebers dieser Zeitschrift, die aktuellen S2-LL zur Diagnostik und Therapie der VT (tiefe Venenthrombose) und LE in dieser Ausgabe der „Geburtshilfe und Frauenheilkunde“ in den Mittelpunkt zu stellen, sehr zu begrüßen. Aus Sicht des klinisch tätigen Hämostaseologen wird im Folgenden auf besonders wichtige Aspekte der LL hingewiesen und diese kommentiert.

Wie in vielen anderen Bereichen der modernen Medizin ist auch in der Diagnostik der VTE die Anwendung diagnostischer Algorithmen unabdingbar! Ein zentrales Anliegen der LL ist die Vermittlung solcher Algorithmen, um einerseits die Sicherheit der Versorgung der Patienten zu gewährleisten, aber auch andererseits unnötige Kosten zu vermeiden. Für das diagnostische Vorgehen insbesondere bei akuten Krankheitsbildern, die einen schnellen und eindeutigen Therapieentscheid fordern, sind in 1. Linie rasch verfügbare diagnostische Werkzeuge anzuwenden, die eine hohe Sensitivität bei zumindest guter Spezifität aufweisen. Zur Sicherung der Diagnose sollten dagegen Verfahren mit höherer Spezifität angewendet werden. Hierbei ist für den Kliniker stets auch das Umfeld von Bedeutung, d. h., welche diagnostischen und therapeutischen Möglichkeiten sind vor Ort und in welchem Zeitraum verfügbar. Vor diesem Hintergrund beschreiben die S2-LL sowohl für die Bein- und Beckenvenenthrombose als auch für die LE ein primäres diagnostisches Werkzeug, das überall anzuwenden ist: die Einschätzung der klinischen Wahrscheinlichkeit (KW) – für die LE zudem auch die wichtige Unterscheidung in einen hämodynamisch stabilen oder instabilen Patienten. Da in der Regel eine Entscheidung zur Einleitung weiterer diagnostischer Schritte in der akuten klinischen Situation schnell getroffen werden muss, empfiehlt sich ein möglichst einfaches, dichotomes Vorgehen. Die in den LL beschriebenen und in klinischen Studien überprüften Scores nach Wells stellen neben der Beurteilung durch einen erfahrenen Untersucher ein probates Mittel dar. Darauf aufbauend ist eine wichtige Botschaft der aktuellen LL, dass die Bestimmung der D-Dimere nur bei Patienten mit niedriger KW sinnvoll ist, um hier aufgrund des hohen negativen prädiktiven Wertes bei nicht erhöhten D-Dimeren eine VTE ausschließen bzw. unnötige weitere und ggf. belastende Diagnostik vermeiden zu können. Gerade bei Schwangeren besteht bei entsprechender Symptomatik aufgrund des schwangerschaftsassoziierten erhöhten Thromboserisikos per se eine zumindest mittlere bis hohe KW für eine VTE. Zudem ist die diagnostische Wertigkeit der D-Dimere in der Schwangerschaft aufgrund des physiologischen Anstieges eingeschränkt, wenngleich es Versuche gibt, mit an das Schwangerschaftsalter adaptierten Referenzwerten zu arbeiten. Nach unserer Erfahrung ist dies jedoch in der Praxis recht schwierig umzusetzen. In aller Regel sollten daher in dieser Situation, wie auch generell für Patienten mit mittlerer bis hoher KW, primär bildgebende Verfahren angewendet werden.

Zur Diagnostik der VT ist die Kompressionssonografie (KS) in den Händen eines geübten Untersuchers die Methode der Wahl, wobei die primäre Untersuchung des gesamten Venensystems der betroffenen Extremität favorisiert wird. Die Indikation zu weiteren diagnostischen Maßnahmen, z. B. Phlebografie, bleibt den wenigen Fällen vorbehalten, die nach erster oder auch wiederholter (z. B. nach 7 Tagen) KS unklar geblieben sind.

Hinsichtlich der Diagnostik der LE beschreiben die LL ebenfalls ein klares und klinisch orientiertes Vorgehen. Wichtig ist die Aussage, dass bei klinisch instabilen Patienten diagnostische Maßnahmen den Beginn einer kausalen Therapie nicht verzögern dürfen! Sollte ein perakuter Verlauf nicht bereits therapeutische Maßnahmen vor jegliche weitere Diagnostik bedingen, so steht die transthorakale Echokardiografie an 1. und entscheidender Stelle der Diagnostik der LE! Bei Nachweis einer akuten rechtsventrikulären Dysfunktion muss die Behandlung unverzüglich begonnen werden. Sollte die Beurteilung in der Echokardiografie schwierig sein, so ist eine weitere Diagnostik, wie die Mehrschicht-Spiral-CT-Angiografie (MS-Spiral-CTA), anzuraten. Gerade vor dem Hintergrund der immer knapper werdenden medizinischen Ressourcen ist der Hinweis der LL von Bedeutung, beim hämodynamisch stabilen Patienten mit Verdacht auf eine LE primär eine KS der Beine durchzuführen. Hintergrund ist hierbei, dass sich die therapeutischen Maßnahmen nicht unterscheiden und somit auf weitere belastende und teure bildgebende Diagnostik verzichtet werden kann. Dies ist sicherlich gerade für die schwangere Patientin mit Verdacht auf LE von praktischer Relevanz!

Die Empfehlungen der LL zur Akuttherapie der VT und der LE betonen die Notwendigkeit des sofortigen Therapiebeginns, um bei einer VT akute Komplikationen (LE oder gekreuzte Embolie) oder die Ausbildung eines postthrombotischen Syndroms (PTS) zu verhindern bzw. bei einer LE die akute Mortalität zu senken. Generell hat sich in der Therapie der VTE gegenüber früheren Jahren ein erstaunlicher Paradigmenwechsel vollzogen. Während bis in die 1990er-Jahre Patienten mit VTE generell immobilisiert und stationär behandelt wurden, werden diese heute in der Regel mit Kompressionstherapie und suffizienter Antikoagulation versehen und mobil ambulant therapiert. Die stationäre Aufnahme eines Patienten mit VT und/oder unkomplizierter LE ist heutzutage nur noch indiziert, wenn Begleitkrankheiten oder ‐umstände (Versorgungsproblem) bzw. die Durchführung thrombusbeseitigender Maßnahmen dies erfordern.

Gemeinsame therapeutische Basis der VTE stellt die Antikoagulation dar, die mit unfraktioniertem oder niedermolekularem Heparin (NMH), Fondaparinux oder bei Z. n. heparininduzierter Thrombozytopenie Typ II mit einem alternativen Antikoagulans (Danaparoid, Lepirudin, Argatroban) begonnen und dann in der Regel mit einem Vitamin-K-Antagonisten (VKA) fortgeführt wird. Bei Unverträglichkeit von VKA und insbesondere bei Tumorpatienten empfehlen die LL die Fortführung der Antikoagulation mit NMH. Neben der geringeren Interaktion mit notwendigen Therapiemaßnahmen und einem verminderten Blutungsrisiko basiert diese Empfehlung auch auf den Ergebnissen einiger randomisierter Studien, die eine Halbierung des VTE-Risikos unter NMH im Vergleich zu VKA feststellen konnten [5]. Ergänzend sei erwähnt, dass NMH zudem ein antiproliferativer Effekt zugesprochen wird [6]. Vor diesem Hintergrund erscheint es daher sinnvoll, bei fortbestehender Malignomerkrankung die prolongierte Sekundärprophylaxe generell mit einem NMH anstelle eines VKA durchzuführen.

Hinsichtlich der medikamentösen Therapie und Sekundärprophylaxe werden in der nächsten Zeit sicher Ergänzungen der LL notwendig werden, da die Zulassung der neuen oralen Antikoagulanzien (Dabigatran, Rivaroxaban) zur Therapie der VTE bald zu erwarten sein dürfte. Zur postoperativen Prophylaxe der VTE bei elektivem Hüft- und Kniegelenkersatz sind beide Substanzen bereits seit Längerem zugelassen.

Thrombusbeseitigende Maßnahmen sind vorwiegend bei hämodynamisch instabilen Patienten mit LE indiziert. In seltenen Fällen können diese auch bei sehr ausgedehnter, frischer iliofemoraler VT bei jungen Patienten oder zum Extremitätenerhalt indiziert sein.

Ein schwieriges Feld ist weiterhin die Dauer der Rezidivprophylaxe. Hier wurden zwar in den aktuellen S2-LL die Empfehlungen des American College of Chest Physicians übernommen, jedoch bleiben auch weiterhin insbesondere bei VTE idiopathischer Genese einige Fragen zumindest teilweise offen [7].

Zunächst sind neben der Frage eines Erst- oder Rezidivereignisses primär die Umstände des Auftretens der VTE von Bedeutung für die Festsetzung der Dauer der Sekundärprophylaxe. Es ist daher von zentraler Bedeutung, diesbez. eine genaue Anamnese zu erheben, was nach unserer Erfahrung in Praxis leider oftmals vernachlässigt wird. Die genaue Suche nach exogenen und erworbenen Risikofaktoren muss also bereits initial im Mittelpunkt stehen! Daran anschließend auch gleich die Frage, ob es sich hierbei um transiente (z. B. Operationen, Gipsverband, Pille) oder dauerhafte (z. B. Adipositas, Tumorerkrankung) Risikofaktoren handelt. Findet sich ein transienter Trigger für die VTE, so kann die Antikoagulation nach den Empfehlungen der LL nach einem Erstereignis, egal ob VT oder/und LE, bereits nach 3 Monaten beendet werden! Wichtig für die tägliche Praxis ist auch der Hinweis der LL, dass nach einem 2., durch Risikofaktoren getriggerten Ereignis dies nicht notwendigerweise zur dauerhaften Sekundärprophylaxe führt. Zur Abwägung des Nutzen-Risiko-Verhältnisses gehört hierzu auch festzustellen, in wieweit der Patient in der Lage ist, eine risikoadaptierte Thromboseprophylaxe rechtzeitig durchführen zu können und zu wollen! Bestehen die initial zur VTE führenden Risiken dagegen fort (z. B. aktive Krebserkrankung), so ist mit hoher Evidenz eine zeitlich unbefristete Antikoagulation in Betracht zu ziehen!

Während sich nach Rezidiv einer idiopathischen VTE die Indikation für eine dauerhafte und zeitlich unbegrenzte Sekundärprophylaxe mit hoher Evidenz stellen lässt, ist die Entscheidungsfindung bei Patienten mit 1. idiopathischer Thromboembolie zumeist wesentlich schwieriger. Aufgrund einer ca. 5–9 %igen Mortalität bei Rezidivthrombosen, ist aber eine möglichst optimale Sekundärprävention von großer Bedeutung [8]! Welche Vorgaben ergeben sich nun aus den aktuellen Leitlinien und wie lassen diese im klinischen Alltag ein möglichst pragmatisches Vorgehen zu?

Eine erste Entscheidungshilfe geben die LL hinsichtlich der Art bzw. Ausdehnung des thrombotischen Ereignisses. Bei einer 1. distalen VT kann die Antikoagulation nach 3 Monaten beendet werden, bei höhergradigen und potenziell komplikationsträchtigeren VT (proximal der V. poplitea) kann nach individuellem Entscheid länger oder auch zeitlich unbegrenzt antikoaguliert werden. Eine aktuelle Metaanalyse konnte die Abhängigkeit des Rezidivrisikos von der Symptomatik und Ausdehnung des Erstereignisses jüngst belegen und bestätigt somit dieses Vorgehen [9].

Somit grenzt sich die individuelle Entscheidungsfindung auf die 1. idiopathische proximale VT oder LE ein. Nach einer Antikoagulation über mindestens 3 Monate sollte dann in der Praxis eine Evaluation der klinischen Situation des Patienten erfolgen. Im Zentrum dieser Risiko-Nutzen-Abwägung steht stets die Abwägung des individuellen Blutungsrisikos vs. Rezidivthromboserisikos! In absoluten Zahlen ausgedrückt liegt das jährliche Risiko schwerer Blutungen unter Einnahme von Vitamin-K-Antagonisten bei ca. 1–3,4 %, während das Auftreten einer Rezidivthrombose nach aktuellen Daten bei 2,0–5,0 % anzusiedeln ist [10], [11]. Verschiedene Faktoren können nun dazu beitragen, das Risiko für die Blutung bzw. die Rezidivthrombose zu verändern und somit zur Entscheidung pro oder kontra einer längerfristigen oder dauerhaften Sekundärprophylaxe zu führen. Neben der in den LL erwähnten Überprüfung der Qualität der bereits durchgeführten oralen Antikoagulation mit VKA (z. B. Erreichen des INR-Zielbereichs [INR: International Normalized Ratio], Blutungsepisoden) sind bez. einer erhöhten Blutungsneigung beispielsweise das Alter des Patienten (> 75 Jahre), Begleiterkrankungen wie chronische Nieren- oder Lebererkrankungen, Z. n. gastrointestinalen Blutungen oder die evtl. gleichzeitig notwendige Gabe von Thrombozytenfunktionshemmern im Mittelpunkt [7], [12]. In der täglichen Praxis spielen aber auch sog. Lifestyle-Risiken eine Rolle, d. h., welchen u. U. verletzungsträchtigen Tätigkeiten in Beruf und auch Freizeit geht der Patient nach. Gerade bei der Indikationsstellung zu einer unbefristeten Antikoagulation besteht hier oft ein erheblicher Beratungsbedarf!

Per se gilt bereits das spontane Auftreten einer VTE als wichtig(st)er Risikofaktor für ein Rezidiv. In den LL werden die weiteren wichtigen Aspekte, die zur Beurteilung des individuellen Rezidivrisikos, angeführt. Von besonderer Problematik ist hierbei ohne Zweifel der gegenwärtige unklare Stellenwert des Thrombophiliescreenings als sog. Umfelddiagnostik [12], [13]. Besonders bei positiver Familienanamnese für VTE erscheint dieses jedoch sinnvoll zu sein. In den letzten Jahren wurde aber deutlich, dass nur sehr wenige erworbene oder angeborene Thrombophilien das Rezidivrisiko tatsächlich erhöhen und damit letztendlich die Entscheidung über die Dauer der Antikoagulation beeinflussen können. Darum sollte sich ein Thrombophiliescreening auf diese Parameter beschränken. Hinsichtlich der beiden häufigsten hereditären Thrombophilien, der heterozygoten Faktor-V-Leiden-Mutation und G20210A-Prothrombin-Mutation, konnte gezeigt werden, dass diese nur mit einem allenfalls sehr geringgradig erhöhten Rezidivrisiko assoziiert sind [14]. Dagegen ist die Situation bei homozygoten Trägern oder kombiniert heterozygoten Trägern insbesondere aufgrund der relativ geringen Zahl noch etwas unklar und widersprüchlich. Wie in den LL angeführt, belegen aber neuere Daten zumindest für die selteneren Thrombophilien (angeborene heterozygote Mangelzustände an Protein S, C bzw. Antithrombin) ein deutlich erhöhtes Rezidivrisiko [15]. Das Rezidivrisiko ist ebenfalls bei gesichertem, d. h. mehrfachem Nachweis von Antiphospholipidantikörpern gesteigert [16]. Neben den in den LL aufgeführten Parametern scheint auch eine dauerhafte und nicht Akutphase-assoziierte Erhöhung der Aktivität des Faktors VIII mit einer erhöhten Rezidivwahrscheinlichkeit einherzugehen [17]. Einigkeit scheint jedoch zumindest über den Zeitpunkt der Durchführung eines Thrombophiliescreenings zu bestehen. Da die initiale Therapie hierdurch nicht beeinflusst wird, ist dieses in der Akutphase einer VTE nicht indiziert. Es kann sogar problematisch sein, da einige Parameter durch die Akutphase erhöht (z. B. F.-VIII-Aktivität) oder durch Verbrauch vermindert (Protein S oder C) sein können. Bei VTE im Rahmen einer Schwangerschaft oder unter hormoneller Kontrazeption oder Ersatztherapie ist zudem zu beachten, dass Protein S hierdurch vermindert wird. Die Erfahrung zeigt, dass gerade bei der Bestimmung des zudem besonders lagerungslabilen und Vitamin-K-abhängigen Protein S erworbene Veränderungen zur Fehldiagnose „Angeborener Protein-S-Mangel“ führen. Da in der Praxis dieser Fallstrick immer wieder vorkommt, sei ergänzend erwähnt, dass die Untersuchung auf Vitamin-K-abhängige Parameter (Protein S und C!) erst ca. 4–6 Wochen nach Absetzen des VKA erfolgen sollte.

Mindestens so wichtig wie die Durchführung eines Thrombophiliescreenings ist bei idiopathischer VTE eine adäquate Tumorsuche, die nach Empfehlung der LL vorzugsweise ab der 5. Lebensdekade und auf Basis der alters- und geschlechtsspezifischen Krebsvorsorgemaßnahmen durchgeführt werden sollte.

Auf 2 weitere Faktoren, die in den LL bereits erwähnt werden und deren Bedeutung erst in den letzten Jahren deutlicher wurde, sollte in der individuellen Risiko-Nutzen-Abschätzung des Patienten ebenfalls geachtet werden: die Bestimmung der Restthrombuslast und der D-Dimere ca. 1 Monat nach Beendigung einer Antikoagulation.

Einige Untersuchungen jüngeren Datums konnten belegen, dass der Nachweis einer erhöhten Restthrombuslast (definiert als 40 % des Venenquerschnitts im proximalen Venenbereich) mit einer erhöhten Rezidivrate bzw. auch mit einer erhöhten Mortalität assoziiert ist [7], [12], [5]. Darum ist die Durchführung einer KS im Rahmen der Risiko-Nutzen-Abschätzung bei einem Patienten mit Z. n. 1. idiopathischer VTE dringend zu empfehlen.

Mehrere aktuelle Studien und auch eine aktuelle Metaanalyse unterstrichen die Bedeutung eines positiven D-Dimere-Tests für die Rezidivwahrscheinlichkeit einer VTE [5]. Der Vorteil dieses Tests liegt sicher in der weitverbreiteten Verfügbarkeit und den niedrigen Kosten. In der Beurteilung ist aber besonderes auf äußere Einflüsse zu achten, z. B. Infekte, chronische Entzündungen, die zu einem unspezifisch positiven Resultat führen können!

Für die Geburtshilfe und Gynäkologie sicherlich von untergeordneter Bedeutung wurde in den letzten Jahren ebenfalls deutlich, dass Männer häufiger ein VTE-Rezidiv erleiden als Frauen. Bislang ist dieser geschlechtsbezogene Effekt jedoch noch nicht in den LL berücksichtigt.

Last, but not least sind auch die Belange, Wünsche und Befürchtungen des Patienten („Patientenpräferenzen“) in Betracht zu ziehen, der letztendlich mit dem dann u. U. lebenslang erhöhten Blutungsrisiko durch eine dauerhafte Antikoagulation leben muss. Für Patienten, die zeitlich unbefristet mit einem VKA behandelt werden, sollte generell die Möglichkeit eines sog. Gerinnungsselbstmanagements diskutiert werden. Dieses führen derzeit ca. 190 000 Patienten in Deutschland durch.

Zusammenfassend geben die aktuellen S2-LL praxisorientierte Empfehlungen, die, z. T. auf hoher Evidenz basierend, den klinischen Alltag in der Diagnostik und Therapie der VTE erleichtern können. Insbesondere die klaren Algorithmen ermöglichen dem Kliniker ein zielorientiertes Vorgehen zum Nutzen des Patienten, aber auch der wirtschaftlichen Ressourcen unseres Gesundheitssystems. Neben möglichen neuen Labortests und diagnostischen Verfahren ist zu erwarten, dass die Zulassung neuer Antikoagulanzien eine zeitnahe Anpassung der LL durch entsprechende Addenda notwendig machen wird. Auch bezüglich der Entscheidung pro oder kontra für eine dauerhafte langfristige Antikoagulation nach einer VTE geben die LL insgesamt gute Orientierungshilfen. Insbesondere nach einer 1. idiopathischen proximalen VT oder LE kann diese als Basis für eine genaue Evaluierung der individuellen Situation des Patienten genommen werden.

PD Dr. med. Jürgen Ringwald
Transfusionsmedizinische und Hämostaseologische Abteilung
Universitätsklinikum Erlangen
Krankenhausstraße 12
91054 Erlangen
E-Mail: Juergen.Ringwald@uk-erlangen.de

Literatur

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Kommentar 2

G.-F. von Tempelhoff

Die aktuelle Fassung der S2-Leitlinie (S2-LL) „Diagnostik und Therapie der Venenthrombose und der Lungenembolie“ liefert auch dem gynäkologisch/geburtshilflich ärztlich Tätigen in Klinik und Praxis eine allgemeine sowie gebietsbezogene Übersicht und Anleitung zum Management venöser thromboembolischer Komplikationen (VTE). Ohne Zweifel zählen VTE zu den weitverbreitesten Zivilisationskrankheiten unserer Zeit, die für die Mortalität postoperativ, im stationären – intensivmedizinischen – Bereich, bei Malignomerkrankungen, aber auch in der Schwangerschaft maßgeblich verantwortlich sind. Hierbei liegt die Zahl nicht diagnostizierter und damit inadäquat therapierter letaler pulmonaler Embolien (PE) in einer aktuellen Erhebung bei rund 40 % [27]. Diese Ergebnisse weisen nicht nur auf eine fehlerhafte Einschätzung des individuellen Thromboserisikos hin, sondern auch auf die schlichte Tatsache, dass VTE-verdächtige Symptome nicht erkannt und im Gefolge, einer erforderlichen Objektivierung und Therapie nicht zugeführt werden. Kenntnisse über die klassischen temporären und permanenten Thromboserisikofaktoren gehören zum ärztlichen Basiswissen, wobei im frauenärztlichen Gebietsbereich zusätzliche Risikokonstellationen hinzukommen. Eine unterlassene Thromboseprophylaxe in Gegenwart eines offensichtlich erhöhten Thromboserisikos ist ein schwerwiegender ärztlicher Fehler. Hingegen ist die eindeutige Zuordnung thromboseverdächtiger klinischer Symptome in Gegenwart komorbider Zustände oder aber auch physiologischer Veränderungen – als Beispiel sei hier die Schwangerschaft genannt – mitunter schwierig. Außerhalb der Schwangerschaft kann hier Upfront mit geringem Aufwand über die Anwendung eines standardisierten Punkte-Scores (z. B. n. Wells) per Abfrage definierter klinischer Symptome und Risikokonstellationen die Wahrscheinlichkeit einer VTE quantifiziert und graduiert werden. Bei hoher Wahrscheinlichkeit ist eine sofortige bildgebende Objektivierung sinnvoll und erforderlich, währenddessen die D-Dimer-Bestimmung zum Ausschluss einer Thrombose nur bei geringer Wahrscheinlichkeit eingesetzt werden sollte.

Wie in den S2-LL beschrieben, ist die frühzeitige Erkennung, Sicherung und konsekutive Einschätzung klinisch verdächtiger Symptome für entweder eine Thrombose oder PE in Hinblick auf Morbidität, Mortalität und damit das weitere Schicksal der Betroffenen von entscheidender Bedeutung. Ziel der S2-LL ist aber nicht nur die Vermittlung standardisierter Algorithmen in Bezug auf Diagnostik und Therapie, sondern auch eine Sinnesschärfung für das breite Manifestationsspektrum von VTE-Komplikationen im klinischen Alltag. Kaum eine andere Fachdisziplin ist in so mannigfaltiger Weise mit der Thromboseproblematik konfrontiert wie der gynäkologisch/geburtshilfliche Tätigkeitsbereich mit der Besonderheit eines über alle Altersklassen hinweg verteilten Thromboserisikos.

Die Bedeutung der Thrombose in der Gynäkologie beschränkte sich lange Zeit auf Komplikationen im Rahmen chirurgischer Eingriffe oder stationärer Behandlungen. So lag in den mit großem Aufwand betriebenen placebokontrollierten Prophylaxestudien nach gynäkologischen Standardoperationen im Arm ohne Thromboseprophylaxe außerhalb malignomchirurgischer Eingriffe die Thromboseinzidenz noch bei durchschnittlich 14,0 % (95 %-KI [Konfidenzintervall]: 11–17) gegenüber 25 % (95 %-KI: 24–26) in der Allgemein- und Viszeralchirurgie [28], bzw. nach radikal chirurgischen Eingriffen eines gynäkologischen Malignoms zwischen 15 und 40 % [29]. Die Ergebnisse dieser Studien wurden unmittelbar für die internationalen Empfehlungen zur Thromboseprophylaxe herangezogen und in relativ kurzer Zeit fast flächendeckend in die Klinikstandards übernommen. Das Bewusstsein für das erhöhte Thromboserisiko im Zuge operativer Eingriffe hat sich im klinischen Alltag über die Jahre fest etabliert und so ist die Schwester mit der Thrombosespritze in der rechten und weißen Kompressionsstrümpfen in der linken Hand eine der ersten Begegnungen der Patientin selbst im Vorfeld eines mit geringem Thromboserisiko belasteten Eingriffs.

Im Zeitalter minimalinvasiver Operationstechniken, kürzerer stationärer Aufenthalte und in Folge der meist bis zur Entlassung der Patientin konsequent durchgeführten medikamentösen und physikalischen Thromboseprophylaxe ist die symptomatische Thrombose in der operativen Gynäkologie mit einer Inzidenz von weniger als 1 % ein seltenes Ereignis geworden [27]. Warnhinweise einer Verschiebung der Thrombosediagnose in den poststationären Zeitraum liefern u. a. statistische Erhebungen, nach denen ca. ⅔ aller Thrombosen im Gefolge eines gynäkologischen Eingriffs und 60 % nach onkogynäkologischer Operation erst nach Entlassung klinisch manifest werden ([Tab. 1]) [5], [6].

Tab. 1 Inzidenz symptomatischer postoperativer Thrombosen vor und nach Krankenhausentlassung (poststationär) bis 91 Tage nach Operation bei Patienten mit und ohne bösartige Tumorerkrankung.

Patienten ohne Malignom

Malignompatienten

postoperativ bis zum 91. Tag nach Operation (n [%])

poststationär bis zum 91. Tag nach Operation (%)

postoperativ bis zum 91. Tag nach Operation (n [%])

poststationär bis zum 91. Tag nach Operation (%)

Neurochirurgie

395/0,83

0,51

215/3,21

2,47

Kopf/Hals-Chirurgie

25/0,10

0,06

144/0,83

0,43

Thoraxchirurgie

1 806/0,68

0,39

654/1,00

0,61

Gastrointestinalchirurgie

1 177/0,38

0,20

988/1,77

0,81

Urologie

319/0,34

0,23

814/1,30

0,76

Gynäkologie

402/0,25

0,19

244/1,28

0,74

Orthopädie

4 689/1,30

0,96

324/2,49

1,38

Damit liegt auch die Verantwortung für das primäre Vorgehen bei Thromboseverdacht im Allgemeinen zunächst einmal in den Händen der niedergelassenen Kollegen. Überhaupt werden die entscheidenden Weichen zur Thromboseprävention in der Gynäkologie und Geburtshilfe im zunehmenden Maße in der Praxis der Niedergelassenen gestellt. Dies ist in der täglichen Praxisroutine bereits mit der Rezeptur einer medikamentösen Antikonzeption oder Hormonersatztherapie und dem damit immanent verbundenen Thromboserisiko der Fall, die eine sorgfältige Thromboseanamnese der Patientin und gegebenenfalls eine Thrombophilieabklärung erforderlich machen [7]. Rund ein Drittel der im Swedish Cause of Death Register (CDR) während eines 10-jährigen Zeitraums erfassten Frauen mit letaler VTE im Alter von 15–44 Jahren waren Anwender einer oralen kombinierten Antikonzeption (COC; 23 %) oder verstarben in der Schwangerschaft (8 %). In der Altersgruppe zwischen 15 und 24 Jahren war die Rate letaler VTE bei Anwenderinnen einer COC statistisch signifikant höher als bei Nichtschwangeren und Frauen ohne COC-Einnahme [8]. Vor dem Einsatz einer COC ist auch zu berücksichtigen, dass gemäß aktuellen WHO-Empfehlungen eine laufende antikoagulative Therapie die Kontraindikation für COC im Zusammenhang mit einer Thrombose nicht außer Kraft setzt [7].

Schwangerschaft und Wochenbett katapultieren das Basisrisiko auf etwa das 4–8-Fache gegenüber Nichtschwangeren gleichen Alters mit einer kalkulierten Thrombosehäufigkeit zwischen 700–1400 Fällen bei durchschnittlich 680 000 Lebendgeburten jährlich. Gerade in Ländern mit hohem medizinischen Standard steht sie an 1. Stelle der mütterlichen Todesursachen und ist ausweislich britischer Perinatalstatistiken der letzten 4 Jahrzehnte unverändert für 20–40 % der jährlichen Todesfälle verantwortlich. Obwohl im Zeitalter der thrombophilen Ursachenforschung der Thematik auch gynäkologisch/geburtshilflicherseits erhöhte Aufmerksamkeit zuteil wurde, bescheinigt eine kritische Aufarbeitung der Jahre 2000–2002 bei rund 60 % der maternalen Todesfälle in England ein unzureichendes Thrombosemanagement in Bezug auf Prophylaxe und Therapie [9]. Festzustellen ist, dass die klassischen Risikofaktoren wie höheres Alter und Komorbiditäten nicht zu eben den Merkmalen des Risikoklientels in der Schwangerschaft oder der Anwender einer hormonellen Antikonzeption gehören und damit die Thrombose eigentlich ein untypisches Ereignis darstellt.

Die Differenzierung zwischen klinisch verdächtigen und physiologischen Symptomen, beispielweise Dyspnoe, unilaterale Beinschwellung, Beckenschmerzen, etc. ist insbesondere in der Schwangerschaft schwierig. Auch wenn bei klinischen Verdachtssymptomen die Zahl objektivierter Diagnosen bei Schwangeren im Vergleich zu Nichtschwangeren mit 8 vs. 25 % für eine Thrombose und 3 vs. 30 % für die Lungenembolie in entsprechenden Erhebungen sehr gering ausfällt [10], [11], muss bis zu deren sicherem Ausschluss die unverzüglich einzuleitende therapeutische Heparinisierung – i. A. mit niedermolekularem Heparin (NMH) – fortgesetzt werden. Eine bildgebende Diagnostik mit vorzugsweise der Kompressionssonografie zur Verifizierung einer Thrombose bzw. transthorakaler Echokardiografie zur Klärung einer PE ist unmittelbar anzustreben. In den S2-LL wird auch deutlich gemacht, dass für die Schwangerschaft kein getesteter Ausschlussalgorithmus für eine VTE zur Verfügung steht. Da sich die Plasmakonzentrationen fast aller Gerinnungsparameter einschließlich der Fibrinspaltprodukte mit fortschreitender Schwangerschaft im Sinne einer balancierten Hyperkoagulabilität verändern und tragzeitabhängige Grenzbereiche auch für das D-Dimer nicht etabliert sind, liefern die meist schon zu Beginn des 2. Trimesters erhöhten D-Dimer-Konzentrationen eine höhere Ausfallrate (falsch positive Ergebnisse). Allerdings schließen niedrige Werte (z. B. < 1000 µg/l) auch in der Schwangerschaft mit hoher Sicherheit eine Thrombose aus [12]. Unter den klinischen Risikofaktoren kommt der vorangegangenen Thrombose die größte Bedeutung für die Entstehung einer Thrombose in der Schwangerschaft mit einer adjustierten Odds Ratio von 24,8 (95 %-KI:17,1–36) zu [13]. Obgleich die NMH in der Schwangerschaft 1. Wahl bei der Behandlung von VTE-Komplikationen sind, muss die akut lebensbedrohliche, kreislaufinstabile Lungenembolie, falls eine Thrombolyse/Embolektomie nicht erforderlich ist, aufgrund der sofort einsetzenden Wirkung intravenös mit unfraktioniertem Heparin (UFH; Bolusgabe von 80 U/kg KG dann 18 U/kg KG/h) und über die aktivierte partielle Thromboplastinzeit (aPTT) adjustiert (4–6 h nach Bolusgabe; 6 h nach jeder Dosisänderung; täglich: Ziel aPTT: das 1,5–2,5-Fache der normalen aPTT) therapiert werden [14]. Die NMH-Erhaltungstherapie einer in der Schwangerschaft diagnostizierten VTE sollte bis mindestens 6 Wochen post partum erfolgen und lediglich peripartal 24 h vor Entbindung unterbrochen werden. Eine Regionalanästhesie ist 24 h nach der letzten NMH-Injektion möglich [15], wobei ein Epiduralkatheter erst 12 h nach der letzten NMH-Injektion entfernt bzw. nach dessen Entfernung erst 4 h später mit NMH erneut begonnen werden sollte [16], [17]. Auch ist die Einlage von Wunddrainagen nach Kaiserschnitt sinnvoll, wobei die NMH-Therapie 3 h postoperativ mit einer 1. Injektion in prophylaktischer und 12 h danach in therapeutischer Dosierung fortgesetzt werden sollte. In der Regel ist die Thrombose keine Indikation für einen Kaiserschnitt und eine vaginale Entbindung sollte prinzipiell angestrebt werden.

Erwähnt sei noch, dass unter NMH-Langzeitbehandlung das Risiko für osteoporotische Frakturen in der Schwangerschaft mit 0,04 % angegeben ist [14] und die durchschnittliche Rate schwerer Blutungen in der bis dato größten Datenauswertung mit 1,98 % (95 %-KI:1,50–2,57 %) deutlich unter den Vergleichszahlen der allgemeinen Perinatalstatistiken (2–5 %) liegt. Eine heparininduzierte Thrombozytopenie Typ II (HIT 2) wurde in keiner der ausgewerteten Studien beobachtet [18].

Innerhalb der gynäkologischen Klientel ist die Thromboseinzidenz bei Patientinnen mit Malignomerkrankungen am höchsten, und aufgrund der in Klinik und in der Praxis kontinuierlich steigenden Zahl betreuter Tumorpatientinnen hat vor allem hier die Thromboseproblematik an Bedeutung gewonnen. Die maligne Tumorerkrankung ist ein unabhängiger Risikofaktor für eine Thrombose [19], wobei sich das kumulative Risiko aus der Summe der häufig koinzidenten Risikofaktoren (Komorbidität, Alter, Immobilität) ergibt. Thrombosen treten insbesondere im Zuge des therapeutischen Managements (Operation, systemische Behandlung) auf [20], aber auch in der Endstrecke der Tumorbehandlung, und sind in vielen Fällen unmittelbare Todesursache [21]. Ähnlich wie in der Schwangerschaft können postoperative Veränderungen, tumorassoziierte Symptome und Hyperkoagulabilität die Interpretation der klinisch/laborchemischen Thrombosediagnostik erschweren [22]. Ein wichtiger Hinweis der S2-LL ist die im Vergleich zu NMH deutlich geringere Effektivität der Vitamin-K-Antagonisten in der Präventionstherapie einer Rethrombose bei Tumorerkrankungen, sodass vorzugsweise NMH bei der Langzeitbehandlung eingesetzt werden sollte und die Dauer der Therapie entsprechend des klinischen Tumorstadiums gegebenenfalls lebenslang fortgesetzt werden muss. Die häufig im Zuge der Tumorerkrankung erforderlich werdenden zentralvenösen Verweilkathetersysteme verursachen bei bis zu 30 % dieser Patienten symptomatische Thrombosen im Schulter-/Arm-Bereich, wobei die tatsächliche Inzidenz nach systematischem Thrombosescreening zwischen 27–66 % liegt [23]. Rund 12 % der Tumorpatientinnen mit zentralvenösen Verweilkathetersystemen entwickeln eine symptomatische PE. Bemerkenswerterweise konnte in den Thromboseprophylaxestudien unabhängig von den verwendeten Antikoagulanzien die VTE-Rate nicht effektiv gesenkt werden [24]. Obgleich die Studienlage hierzu keine mit hoher Evidenz basierte Stellungnahme zu lässt, kann bei katheterassoziierter Thrombose, wie auch in den S2-LL beschrieben, nach Ausschluss einer Infektion und bei korrekter Katheterlage unter therapeutischer NMH-Antikoagulation auf dessen Entfernung verzichtet werden.

Der Hinweis der S2-Leitlinie auf einen Zusammenhang zwischen Thromboseentwicklung und unerkannter Malignomerkrankung gilt im besonderen Maße für Genitalkarzinome der Frau. So konnte ausweislich schwedischer epidemiologischer Statistiken bei Frauen mit einer stationären Aufnahme wegen Thrombose 11-mal häufiger ein Ovarialkarzinom (standardisierte Inzidenzverhältnisse [SIR]: 11,4; 95 %-KI: 9,6–13,4) und 4-mal häufiger ein Zervix- (SIR: 4,3; 95 %-KI: 2,8–6,6) oder Endometriumkarzinom (SIR: 4,4; 95 %-KI: 3,2–5,7) im 1. Jahr nachgewiesen werden als im landesweiten Durchschnitt [25]. In diesen Fällen sollte zum Ausschluss eines gynäkologischen Malignoms die klinische Untersuchung und Ultraschalldiagnostik insbesondere im Anschluss an eine spontane/idiopathische, aber auch atypische Thrombose erfolgen. Obgleich angesichts verbesserter Behandlungsmethoden bei Zufallsdiagnose eines frühen Tumorstadiums ein kurativer Therapieansatzpunkt möglich ist, weist die koinzidente Thrombose bei Tumorleiden häufig auf eine ungünstige Prognose und fortgeschrittenes Tumorstadium hin [26].

Prognosen zur demografischen Entwicklung und die bereits seit einigen Jahren erkennbaren Tendenzen in der Altersstruktur unserer Bevölkerung sind deutliche Warnhinweise auf eine Zunahme der VTE-Komplikationen. Gehört bereits jetzt jede 4. Frau in Deutschland in die Altersgruppe der über 60-Jährigen, liegt die Prognose bei mehr als ein Drittel aller Frauen für das Jahr 2030 [27]. Der allgemeine Trend zur ambulanten Behandlung wird auch das Thromboseproblem vermehrt in die Praxis der Niedergelassenen verlagern. Insofern ist die aktuelle Fassung der S2-Leitlinie „Diagnostik und Therapie der Venenthrombose und der Lungenembolie“ ein wichtiger Leitfaden für ein zielgerichtetes interdisziplinäres Vorgehen bei der Betreuung potenziell lebensbedrohter Patientinnen mit VTE nicht nur, aber vor allem auch für die niedergelassenen Frauenärzte.

PD Dr. Georg-Friedrich von Tempelhoff FCATH
Klinikum Aschaffenburg (Lehrkrankenhaus der Maximilians-Universität Würzburg)
Klinik für Gynäkologie und Geburtshilfe
Am Hasenkopf 1
63739 Aschaffenburg
E-Mail: g-f.von.tempelhoff@gmx.de

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Prof. Dr. M. W. Beckmann

Frauenklinik, Universitätsklinikum Erlangen

Universitätsstraße 21–23

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