Z Orthop Unfall 2011; 149(3): 279-287
DOI: 10.1055/s-0030-1270734
Varia

© Georg Thieme Verlag KG Stuttgart · New York

Eine optimierte Bewertung „Schwerverletzter“ zur Dokumentation von Unfallschwerpunkten im Straßenverkehr

An Optimised Assessment of “Severely Injured Patients” for the Documentation of Road Traffic Accident Black SpotsR. M. Sellei1 , C. Lank2 , T. Becher2 , M. Knobe1 , M. Rüger1 , C. K. G. Spies3 , T. Schmitt1 , J. Peters1 , H. J. Erli4
  • 1Klinik für Unfallchirurgie, Universitätsklinikum RWTH Aachen
  • 2Lehrstuhl für Straßenwesen, Erd- und Tunnelbau, Institut für Straßenwesen, RWTH Aachen
  • 3Klinik für Orthopädie, Universitätsklinikum RWTH Aachen
  • 4Klinik für Unfallchirurgie und Orthopädie, Vivantes Humboldt Klinikum, Berlin
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Publikationsverlauf

Publikationsdatum:
09. März 2011 (online)

Zusammenfassung

Einleitung: Der Erfolg einer fundierten Verkehrssicherheitsarbeit basiert neben Fortschritten im Automobilbau, der Arbeit der Verkehrsingenieure, der Politik, der Polizei und der medizinischen Versorgung auf der Dokumentation, der Analyse und der Behebung von sog. Unfallschwerpunkten. Um eine sinnvolle Einordnung innerhalb der Unfallstatistik zu ermöglichen, werden die Unfälle nach einem Drei-Klassen-System bezogen auf die Unfallschwere in leicht verletzt, schwer verletzt und getötet gewichtet. Mit der hier vorgestellten Studie soll die Wertigkeit der bestehenden Einteilung in die Kategorie „Unfall mit Schwerverletzten“ nach dem tatsächlichen Verletzungsschweregrad systematisch differenziert und bewertet werden. Material und Methode: Zur Analyse diente eine Aufarbeitung von Verkehrsunfällen mit schwer verletzten Personen innerhalb eines Jahres einer städtischen Modellregion, wobei die polizeiliche Dokumentation anonym mit den medizinischen Daten der stationär behandelten Verunfallten synchronisiert und anschließend über etablierte Trauma-Scores bewertet wurde. Nach deskriptiver Aufarbeitung der Datenlage wurde zur verbesserten Abbildung das „schwer verletzte“ Kollektiv mithilfe der medizinischen Klassifikationen weiter differenziert. Eine Korrelationsanalyse mit der Liegedauer sollte Hinweise auf eine verletzungsgerechte Einteilung geben. Eine topografische Darstellung der Umverteilung nach differenzierter Betrachtung soll die qualitative und quantitative Veränderung abbilden. Ergebnisse: Das Studienkollektiv ergab trotz der geringen Fallzahl eine ausgeglichene Verteilung von Alter, Geschlecht und Verletzungsmuster. Die Verteilungen des MAIS und des NACA-Index bilden die Inhomogenität dieser als schwer verletzt deklarierten Personengruppe ab. 70 % des untersuchten Kollektivs ergaben einen ISS von < 16 und galten damit als nicht polytraumatisiert. Die Korrelationsanalyse nach Spearman bestätigte die Wertigkeit der Scores untereinander (rMAIS/NACA = 0,645 und rISS/NACA = 0,592). Die anhand des MAIS, ISS und NACA fortgeführte Differenzierung ergab, dass 51 % des gesamten Kollektivs medizinisch als leicht verletzt eingestuft werden und 83 % dieser Gruppe bereits nach einer Liegedauer von 5 Tagen entlassen werden konnte. Schlussfolgerung: Aufgrund der Studienergebnisse zeigt sich, dass die Einteilung der schwer verletzten Personen nach aktuellem Stand für die Verkehrssicherheitsingenieure nicht ausreichend abgebildet und der größte Anteil an Schwerverletzten im Straßenverkehr nicht adäquat erfasst werden. Für eine zukunftsorientierte und nachhaltige Verkehrssicherheitsarbeit halten wir eine neue weiterführende Verknüpfung von polizeilichen und medizinischen Daten für unumgänglich. Als Ansatz könnten der Einsatz etablierter Trauma-Scores und eine differenzierte Betrachtung der Liegedauer dienen.

Abstract

Introduction: The success of traffic safety improvement strategies is based on documentation. Analysis and remedy of accident black spots in addition to improvements in automobile production involve the work of traffic engineers, politicians, traffic regulations, police, and medical care. To create priorities, the traffic statistics differentiate accidents in a 3-class system in relation to severe accidents: slightly injured, severely injured and fatally injured (death). This study assesses the validity of the existing classification of “severely injured” compared with the actual injury severity. Material and Method: We analysed accidents resulting in 182 “severely injured” people in one year in a city model. A synchronisation of anonymous police documentation with the medical notes of admitted casualties which were validated by established trauma scores and medical classification was undertaken. A correlation analysis of length of stay should give indications of the actual injury severity. Results: The study group showed a ubiquitous range of age, sex and injuries despite a relatively low case number. The range of MAIS, ISS and NACA index scores shows the inhomogeneity of the people classified as “severely injured”. 70 % of the study group revealed ISS < 16 which means that they are not polytraumatised patients. The correlation analysis according to Spearman certifies the validity of these scores (r MAIS/NACA = 0.645 and r ISS/NACA = 0.592). The further differentiation on the basis of MAIS, ISS and NACA showed that 51 % of the study group should be classified as slightly injured and 83 % of these were discharged in less than 5 days. Conclusion: This study shows that the traffic safety classification of “severely injured” people is not sufficient and most severely injured people are not even approximately recorded. We propose that a new continuous link system between police and medical data will be inevitable for future improvements in traffic safety. The use of established trauma scores and a differentiated look at lengths of stay could be an option.

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Richard Martin Sellei, MD

Klinik für Unfallchirurgie
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