Zeitschrift für Palliativmedizin 2010; 11(6): 283
DOI: 10.1055/s-0030-1270188
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Publication Date:
29 November 2010 (online)

 

Ausweg am Lebensende Boudewijn Chabot, Christian Walther 2010, 172 Seiten, 16,90 €, Reinhardt Verlag, München ISBN: 978-3-497-02152-9

Das Buch, verfasst vom niederländischen Psychiater und Sozialwissenschaftler Dr. med. Boudewijn Chabot und insbesondere in juristischer Sicht für den deutschsprachigen Raum ergänzt von Dr. rer. nat. Christian Walther, Neurobiologe, befasst sich mit dem freiwilligen Verzicht auf Nahrung und Flüssigkeit als Möglichkeit der Beendigung des eigenen Lebens und wendet sich an alle, die an diesem Verfahren interessiert sind. Es geht also nicht darum, dass ein Mensch sein physisches Lebensende nahen spürt und Essen und Trinken einstellt, sondern seine derzeitige Existenz aufgrund "andauernder Leidenssituationen, die für die meisten Menschen nachvollziehbar sind" als nicht lebenswert empfindet und deshalb beenden möchte.

Von Anfang an, bereits im Vorwort von Dieter Birnbacher, Professor für Praktische Philosophie, Düsseldorf, wird klargestellt, dass die Autoren die selbstbestimmte Lebensbeendigung und deren Unterstützung durch Dritte als human geboten und als Möglichkeit einer auch diese umfassenden Ars moriendi ansehen. Ausdrücklich wird in diesem Buch auf eine Diskussion dieser Ansicht verzichtet, hierzu auf einschlägige Literatur verwiesen. Hier wird der Verzicht auf Nahrung und Flüssigkeit als eine nach der Tötung auf Verlangen "zweitbeste" Möglichkeit dafür vorgestellt.

Die Publikation besticht durch eine einfach verständliche Sprache, den Verzicht auf Polemik sowie durch ausführliche Literaturangaben. Zunächst werden von Boudewijn Chabot Fallbeispiele und die Methode selbst präsentiert, dieses dann mit weiteren Fallbeispielen und Studienergebnissen untermauert sowie das zu empfehlende Vorgehen für einen geplanten Verzicht von Nahrung und Flüssigkeit genau beschrieben. Ausführlich geht Christian Walther auf die rechtlichen Aspekte in Deutschland ein, etwa die Ausstellung eines Totenscheines, der in diesem Fall einen unnatürlichen Tod attestiert, was automatisch eine strafrechtliche Überprüfung nach sich zieht. Abschließend werden moralische Überlegungen der Beteiligten beleuchtet: von den Betroffenen selbst, den Angehörigen, den Ärzten sowie den Pflegenden.

Was bleibt beim Lesen hängen?

Zunächst die Verwunderung, dass selbst in den Niederlanden offenbar Bedarf gesehen wird für eine Unterstützung beim Suizid. Die vorgestellte Methode soll gerade älteren Menschen helfen, welche die Kriterien für eine dort straflose Tötung auf Verlangen nicht erfüllen, jedoch aus dem Leben scheiden wollen.

Fachlich überraschen die Empfehlungen zur Durchführung sowie die Details über den zu erwartenden Sterbeverlauf kaum: gute Kommunikation und möglichst Konsens im Vorfeld mit allen Beteiligten, genaueste Dokumentation des Patientenwillens, engmaschige Unterstützung durch adäquate palliative Pflege und Medizin, insbesondere bestmögliche Mundpflege. Es werden auch überwiegend Studien aus dem Palliative-Care-Bereich als Beleg angeführt, hier jedoch leider keine klare Trennung zwischen freiwilligem und krankheitsbedingten Nahrungs- und Flüssigkeitsverzicht durchgezogen. Somit findet man eine recht gute Übersicht, was alles belegt ist zum Thema Sterben ohne Nahrungs- und Flüssigkeitszufuhr. Fragwürdig ist jedoch die wiederholte Empfehlung, gerade Morphin zur Symptomlinderung einzusetzen, obschon die Autoren einen Tod im Nierenversagen erwarten; hier könnte einer belastenden Kumulation der Abbauprodukte durch geeignetere Opioide vorgebeugt werden.

Bei den auf Deutschland bezogenen berufs- und strafrechtlichen Überlegungen kommen die Autoren zu der Schlussfolgerung, dass es Angehörigen, Pflegenden und Ärzten erlaubt sei, den Patienten beim - wirklich freiwilligen - Verzicht auf Nahrung und Flüssigkeit zu begleiten. Die ärztlichen Standesrichtlinien stünden dem Vorgehen zumindest nicht entgegen, der Patient müsse die anderen Beteiligten von ihrer Garantenstellung ausdrücklich befreien, dann befänden sich alle strafrechtlich auf sicherem Terrain. Wer genauer liest, erkennt jedoch, dass nicht die - dünne - Rechtsprechung zur Suizid-Hilfe dieses Ergebnis untermauert, sondern Literaturmeinungen. Fakt ist momentan, dass nur die Modifikation der Garantenstellung die Beihilfe zum Suizid straffrei hält, deren Zulässigkeit jedoch durchaus kontrovers diskutiert wird.

Was schmerzhaft fehlt, ist eine nähere Auseinandersetzung mit der Situation der Angehörigen, denen nur zwei knappe Seiten gewidmet werden. Auch darin geht es lediglich um Pragmatisches wie Belastung durch die Pflege oder Schuldgefühle, aber erstaunlicherweise nicht um Beziehungen. Kann man Selbstbestimmung denn wirklich losgelöst von sozialen Interaktionen diskutieren? Und sollte man nicht in einem Buch über eine Suizid-Methode das Dilemma thematisieren, das bei etlichen Pflegenden und Ärzten entsteht, wenn sie mit der Zusage der Suizid-Unterstützung diesen wahrscheinlicher werden lassen?

Zusammenfassend stellt sich die Methode des Einstellens von Essen und Trinken als Möglichkeit der Lebensbeendigung dar, die sich in der Realisierung desto weniger vom natürlichen Sterbeprozess durch körperliche Krankheit unterscheidet, je näher sich der Betroffene bereits am natürlichen Lebensende befindet, und dann auch undramatisch verläuft. Ars moriendi? Auch hier am besten zu erreichen, wenn Soma und Psyche im Einklang stehen.

Dr. med. Elisabeth Albrecht, Regensburg

  • 01 Chabot Boudewijn , Walther Christian . Ausweg am Lebensende. München: Reinhardt Verlag; 2010. 172 Seiten, 16,90 €, ISBN: 978-3-497-02152-9