Zeitschrift für Palliativmedizin 2010; 11(6): 272
DOI: 10.1055/s-0030-1270184
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Sterbehilfe-Grundsatzurteil des Bundesgerichtshofs vom 25.06.2010 – Stellungnahme der Deutschen Gesellschaft für Palliativmedizin

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Publikationsdatum:
29. November 2010 (online)

 

zum Grundsatzurteil des Bundesgerichtshofs

Vor wenigen Tagen wurde die schriftliche Urteilsbegründung des 2. Strafsenats zum Fall des Münchner Rechtsanwalts Putz veröffentlicht, der in einem Revisionsverfahren am 25. Juni 2010 vom Vorwurf des versuchten Totschlags erwartungsgemäß freigesprochen worden war. Er hatte einer als Betreuerin eingesetzten Mandantin geraten, die schon nicht mehr benutzte Magensonde ihrer in einem Pflegeheim liegenden komatösen Mutter durchzuschneiden, um diese sterben zu lassen. Nach 5-jähriger schwerster Pflegebedürftigkeit der 77-jährigen Mutter - ohne Aussicht auf Besserung - schien auch aus ärztlicher Sicht die künstliche Ernährung per Sonde medizinisch nicht mehr indiziert zu sein, zumal diese Maßnahme auch den früher geäußerten Willensbekundungen der Patientin widersprach. Die Heimleitung des Pflegeheims weigerte sich jedoch dieser Anordnung nachzukommen. Eine schriftliche Patientenverfügung lag nicht vor.

In der auf den konkreten Fall zu beziehenden Begründung der Entscheidung des 2. Strafsenats wurde deutlich gemacht, dass künstlich lebensverlängernde Maßnahmen gegen den Willen des Betroffenen nicht durchgeführt werden dürfen und der Abbruch einer medizinischen Behandlung durch Unterlassen, Begrenzen oder Beenden einer begonnenen Maßnahme dann gerechtfertigt ist, wenn dies dem tatsächlichen oder mutmaßlichen Patientenwillen entspricht und der Behandlungsabbruch sowohl durch Unterlassen als auch durch aktives Tun dazu dient, einem ohne Behandlung zum Tode führenden Krankheitsprozess seinen Lauf zu lassen. Dennoch besteht für einzelne in der Begründung verwendete Begriffe sicherlich weiterer Klärungsbedarf z. B. wirklicher Wille, Behandlungsabbruch, lebensbedrohliche Erkrankung etc.

Ob allerdings der Rat des Rechtsanwalts an die Tochter, die Ernährungssonde zu durchtrennen, eine gute Lösung ist, wenn sich zwar Ärzte, Angehörige und Betreuer, nicht jedoch auch die beteiligten Pflegenden und anderen Berufsgruppen bzw. die Heimleitung verständigen können, ist eher fraglich. Immerhin hatte diese Empfehlung eine Verurteilung wegen Totschlags zur Folge.

Der Freispruch sollte nicht als Legitimation für ein Handeln durch Angehörige und als Aufforderung zur Selbstjustiz verstanden werden, Beatmungsmaschinen abzustellen, Schläuche zu durchtrennen, Katheter zu ziehen, um das Sterben zuzulassen.

Vielmehr verdeutlicht der Fall, dass der Mangel an Kommunikation und Verständigung zu Situationen führen kann, in denen ein Konflikt zu Sinn und Nutzen künstlich lebensverlängernder Maßnahmen zu verzweifeltem Tun von Angehörigen führen kann, ohne dass das dem Konflikt zugrunde liegende Problem damit gelöst wird.

Sterben zu lassen bedeutet für alle Beteiligten auch, sich nicht einseitig auf Positionen ("Wohl oder Wille") festzulegen, sondern miteinander zu kommunizieren und sich darüber zu verständigen, was im Interesse des schwerstkranken bzw. sterbenden Menschen wann noch oder nicht mehr getan werden soll um einem krankheitsbedingten Sterben, das durch lebensverlängernde Maßnahmen evtl. nur verzögert wird, seinen Lauf zu lassen. Hierzu gehört auch auf Seiten der Ärzte und Pflegenden Demut und die Einsicht, sich auch begrenzen zu müssen. Die Beachtung des in einer Patientenverfügung schriftlich niedergelegten bzw. des ermittelten mutmaßlichen Willens hat dabei Vorrang.

Effektive Kommunikation und reflektiertes Entscheiden sowie transparentes (nachvollziehbares) Handeln können als Kernelemente der Palliativmedizin angesehen werden. In Betreuungseinrichtungen der Palliativ- und Hospizversorgung sind diese Aspekte selbstverständlich - in Pflegeeinrichtungen und sonstigen Orten des Sterbens bestehen hierzu oft noch erhebliche Defizite. Nur durch gute Kommunikation und abgewogenes Entscheiden werden Lösungen gefunden, die auf der Grundlage einer vertrauensvollen Beziehung von allen getragen werden. In schwierigen Fällen sollte ein Ethikkonsil einberufen werden, durch das Hinweise für die Lösung von Konflikten gefunden werden können.

Transparentes Handeln sollte dazu beitragen, dass es für andere nachvollziehbar wird. Es kann weder bedeuten, alles zu tun, was möglich ist, noch alles zu tun, was gewünscht wird. Bessere und allen zugängliche Möglichkeiten zur ethischen Beratung und Fallbesprechungen bei schwierigen Entscheidungsproblemen am Ende des Lebens sind angesichts der zunehmenden Probleme im Spannungsfeld zwischen technischen Möglichkeiten in der Medizin und deren Nutzen dringend erforderlich. Die mit dem vorliegenden Urteil angestrebte Stärkung der Patientenrechte wird so sicherlich besser berücksichtigt werden.