Psychother Psychosom Med Psychol 2011; 61(1): 47-48
DOI: 10.1055/s-0030-1265952
Mitteilungen aus dem DKPM
© Georg Thieme Verlag KG Stuttgart · New York

Nachruf auf Prof. Dr. med. Jörg Michael Herrmann

Ein Pionier Integrierter Medizin und RehabilitationObituary to Prof Dr. med. Jörg Michael HerrmannA Pioneer of Integrative Medicine and RehabilitationWerner  Geigges1
  • 1Rehaklinik Glotterbad, Fachklinik für Psychosomatik, Psychotherapeutische und Innere Medizin
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Publikationsverlauf

Publikationsdatum:
19. Januar 2011 (online)

Prof. Dr. med. Jörg Michael Herrmann †

Am 18. Juli 2010 starb Jörg Michael Herrmann in Freiburg.

Das deutsche Kollegium für Psychosomatische Medizin (DKPM) und die Thure von Uexküll Akademie für Integrierte Medizin (AIM) verlieren mit Jörg Michael Herrmann einen engagierten Arzt, Lehrer und Forscher.

Jörg Michael Herrmann wurde 1944 in Jugenheim an der Bergstraße geboren.

Schon während des Medizinstudiums in Berlin begeisterten ihn Thure von Uexkülls „Grundfragen der Psychosomatischen Medizin”. So kam es, dass er von 1972–1976 seine internistische Weiterbildung als Assistenzarzt, an dem von Thure von Uexküll geleiteten Zentrum für Innere Medizin und Kinderheilkunde der Universität Ulm absolvierte.

Diese frühe Sozialisation in einer nicht dualistischen Heilkunde und integrierten internistischen Psychosomatik wurde für Jörg Michael Herrmanns gesamtes Berufsleben prägend:

Neben einer fundierten psychotherapeutischen Weiterbildung blieb er lebenslang ein engagierter und ausgezeichneter Internist und behielt, wie er es nannte, „den weißen Arztkittel mit Stethoskop und Reflexhammer” immer bei sich, wenn er Patienten begegnete.

Während der Ulmer Assistenzarztzeit erlebte er 1973 die Gründung des deutschen Kollegiums für Psychosomatische Medizin (DKPM), mit dem er sich stets verbunden fühlte. 1993 wurde er in das Kuratorium des DKPM und Kuratorium der Ernst-Roemer-Stiftung berufen.

Ebenso prägend erlebte er die Initiierung des Lehrbuchprojekts „Psychosomatische Medizin” mit der 1. Auflage 1979. Bis zur 6. Auflage 2003, noch von Thure von Uexküll selbst mit herausgegeben, arbeitete Jörg Michael Herrmann über 24 Jahre im Herausgeberteam dieses Standardlehrbuches „Psychosomatische Medizin” mit und war verantwortlich für ein breites Spektrum psychosomatischer Aspekte, mit den Schwerpunkten:

Psychophysiologie Das funktionelle kardiovaskuläre Syndrom Hyperventilationssyndrom Essenzielle Hypertonie Fibromyalgie Diabetes mellitus Infektionskrankheiten

Insbesondere Thure von Uexkülls Interesse an psychophysiologischen Fragestellungen und psychosomatischen Aspekten der primären Hypertonie, wurden von Jörg Michael Herrmann früh engagiert aufgegriffen und weiterentwickelt.

1979–1982 wechselte Jörg Michael Herrmann als erster Oberarzt ans Kantonale Zentrum für Geriatrie und Rehabilitation in der Medizinischen Abteilung von Prof. Rolf Adler am C. L. Lory-Haus des Inselspitals in Bern und erweiterte hier seine Kompetenz in Integrierter Psychosomatischer Medizin auf dem Gebiet der Rehabilitation.

Nach seiner Berufung auf die C2-Professur der Abteilung Psychosomatik des Zentrums für Innere Medizin der Universität Ulm 1982, war Jörg Michael Herrmann in den Jahren 1983–1987 als geschäftsführender Oberarzt verantwortlich für die Arbeitsgruppe Hochdruckambulanz. Psychosomatische Aspekte der essenziellen Hypertonie waren dann auch Thema seiner Habilitation und zentraler Forschungsschwerpunkt über Jahrzehnte.

Er war Lehrbeauftragter der deutschen Liga zur Bekämpfung des hohen Blutdrucks. Für die deutsche Hochdruckliga leitete er viele Jahre die Kommission öffentliche Gesundheit.

Er war Clinical Hypertension Specialist der European Society of Hypertension (ESH) und Hypertensiologe DHL der deutschen Hochdruckliga.

Großes Engagement in den späten „Ulmer Jahren” galt der Reform des Medizinstudiums. 1985–1987 war er Vorsitzender der Unterrichtskommission der Fakultät für Klinische Medizin der Universität Ulm. Viele heutige Reformstudiengänge greifen Ideen diese Ulmer Arbeitsgruppe wieder auf.

Wiederum auf Vorschlag von Thure von Uexküll ernannte die Landesversicherungsanstalt Württemberg 1987 Jörg Michael Herrmann zum Leitenden Arzt der Rehaklinik Glotterbad.

In über 21 Jahren entwickelte sich das Glotterbad unter seiner Ärztlichen Leitung zu einem bundesweit anerkannten Zentrum für internistische Psychosomatik und zu einer Modellklinik der Akademie für Integrierte Medizin (AIM), die er zusammen mit Thure von Uexküll 1992 gründete.

Seit 1990 war Jörg Michael Herrmann auch Mitglied der medizinischen Fakultät der Universität Freiburg und in der Ausbildung von Medizinstudenten engagiert.

Die Interessenschwerpunkte der Ulmer und Berner Jahre entwickelte Jörg Michael Herrmann im Glotterbad konsequent weiter:

Neben den Glottertäler Hochdruckgesprächen und einer viel beachteten Psychoonkologiereihe organisierte er, zusammen mit Thure von Uexküll mehrere internationale Biosemiotik-Tagungen, u. a. mit Th. A. Sebeok, M. Krampen, J. Hoffmeyer, R. Posner und H. J. Schneider im Glottertal.

Er war Mitbegründer des Arbeitskreises Psychosomatische Grundversorgung in Südbaden und bis kurz vor seinem Tode regelmäßig als Dozent in der Vermittlung psychosomatischer Grundkompetenz für Fachärzte tätig.

Seine Forschungstätigkeit auf dem Gebiet der Psychophysiologie und Hypertensiologie führte er auch in den Glotterbad-Jahren konsequent weiter fort u. a. im Rahmen mehrerer Kooperationsprojekte mit der Arbeitsgruppe Physiologie (Prof. Fahrenberg) des Psychologischen Instituts der Universität Freiburg.

2007 bis zu seiner Pensionierung 2009 war Jörg Michael Herrmann Ärztlicher Koordinator der 9 Rehakliniken der RehaZentren gGmbH der Deutschen Rentenversicherung Baden-Württemberg. Auch hier war sein Ziel, synergistische Effekte der einzelnen Kliniken zu nutzen, wie ihm immer das Lernen voneinander wichtig war. Gleichzeitig verlor er nie die Umsetzung eines biopsychosozialen Modells in allen Indikationen der Reha-Medizin aus dem Blick.

So lag ihm auch die Mitarbeit bei der Ethikkommission für gutachterliche Stellungnahmen zum Transplantationsgesetz am Herzen, die er bis zu seinem Tod weiterführte.

Bis zuletzt war er beim Aufbau und der wissenschaftlichen Begleitforschung der Mobbing-Hotline Baden-Württemberg an der Rehaklinik Glotterbad engagiert.

Was Jörg Michael Herrmann über seine beruflichen Verdienste hinaus kennzeichnete war seine das Leben liebende, genussvolle und warmherzige Lebensart, seine freundschaftliche Verbundenheit mit vielen Kolleginnen und Kollegen, aber auch mit den Menschen aus dem Glottertal.

In den letzten Jahren pflegte er einen eigenen Weinberg und freute sich auf die bevorstehende erste richtige Weinlese in diesem Jahr.

Er war ein unerschütterbarer Optimist, der voller Hoffnung und bis zuletzt selbstbestimmt und aktiv seine Krankheit bewältigte, unterstützt von seiner Familie.

Jörg Michael Herrmanns Lebensvision einer ganzheitlichen Medizin, in der der Patient im Mittelpunkt steht, bleibt für uns alle Ansporn und Verpflichtung.

Dr. med. Werner Geigges

Rehaklinik Glotterbad, Fachklinik für Psychosomatik, Psychotherapeutische und Innere Medizin

Gehrenstraße 10

79286 Glottertal

eMail: w.geigges@rehaklinik-glotterbad.de