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DOI: 10.1055/s-0030-1265643
Erfolgreiche Behandlung körperlich begründeter chronischer Schmerzen ohne Betäubung
So erfolgreich die Behandlung akuter Schmerzen durch die verschiedenen Formen des Betäubens mittlerweile ist und so unumstritten betäubende Maßnahmen in der Palliativmedizin sind, so offensichtlich wenig erfolgreich sind betäubende Maßnahmen bei anderen chronischen Schmerzen. Jedenfalls ist ihre Wirkung nicht wissenschaftlich belegt bei dieser Indikation (Patienteninformation der Interdisziplinären Gesellschaft für Psychosomatische Schmerztherapie, S 3 Leitlinie LONTS über den fehlenden Wirksamkeitsnachweis bei nicht tumorbedingten Schmerzen). Rückenschmerzen haben nach dem BKK-Faktenspiegel November 2008: Schwerpunktthema Rückengesundheit in den letzten 10 Jahren um 10% zugenommen, trotz zahlreicher Rehabilitationsverfahren sind sie nach wie vor wesentliche Ursache für Erwerbsunfähigkeitsrenten. In einem Kooperationsmodell mit der Unfallkasse Rheinland-Pfalz wurde von 2005–2008 ein verbessertes Rehamanagement bei posttraumatischen Chronifizierungen untersucht, wesentliche Untergruppe waren chronische Schmerzen verschiedener Ursachen. Hierbei wurden zunächst die Therapieziele hinterfragt, die nicht mit Schmerzminderung, sondern erfolgreicher Wiedereingliederung im Sinne von Teilhabe festgelegt wurden. Betäubende Maßnahmen erwiesen sich als wenig hilfreich, ja sogar insofern oft als hinderlich, als ein Großteil der Patienten durch die Schmerzmedikation in der neuropsychologischen Untersuchung sich als nur begrenzt einsatzfähig erwies, was die Fahrtauglichkeit anging sowie das Arbeiten an gefährlichen Geräten. Auf das Absetzen der Medikamente reagierten zwei Drittel der Untersuchten mit Entzugserscheinungen, die durch schwach potente Neuroleptika gedämpft werden mussten. 5 Patienten nahmen weiter Schmerzmittel, alle verfehlten das Therapieziel und brachen die Reha ab. Alle anderen registrierten das Absetzen der Schmerzmittel als ohne wesentlichen Einfluss auf ihre Schmerzen, aber als erhebliche Verbesserung ihrer Befindlichkeit. Untersucht wurden drei Krankheitsgruppen: 63 Patienten mit zum Teil über viele Jahre währenden chronischen Schmerzen nach Verletzungen des Bewegungssystems (Polytrauma, obere Extremität, Rücken, untere Extremität, sonstige), 24 mit chronifiziertem Schleudertrauma und 26 mit chronischem regionalen Schmerzsyndrom.
Da bei allen 3 Gruppen ein einvernehmliches Krankheitskonzept fehlte, wurde von folgenden Annahmen ausgegangen:
1. Chronische Schmerzen von Seiten des Bewegungsapparates nach Verletzungen lassen sich durch zunehmende Aktivierung und Verbesserung der Funktionen des Bewegungssystems sowie gesteigerte Belastbarkeit erheblich reduzieren, sobald die Belastbarkeit deutlich über dem geforderten Leistungsprofil liegt.
2. Das Schleudertrauma ist eine Muskelfunktionsstörung der Halsmuskeln, die durch eine gezielte Rekonditionierung vollständig rückbildungsfähig ist. Hierbei spielt weniger Kraft die entscheidende Rolle als Ausdauer und Koordination, beides nur erreichbar durch eine wesentlich verbesserte Körperwahrnehmung.
3. Das CRPS ist eine zerebrale Funktionsstörung durch einen Lernprozess des Gehirns bei länger andauernder Ruhigstellung einer Extremität, die sich durch und sonst nicht erklärliche Schmerzen und eine Durchblutungsstörung äußert. Die Schmerzen beginnen als Belastungsschmerz, gefolgt von Bewegungsschmerz, schließlich folgt Ruheschmerz. Die Durchblutungsveränderung zeigt sich in Verfärbung, Temperaturdifferenz, Schwellungen, sonstigen vegetativen Zeichen.
In allen Fällen erwies sich eine Fortsetzung der Schmerzmitteleinnahme als kontraproduktiv, die Patienten machten nicht den erhofften Fortschritt. Die Therapie erfolgte nach dem biopsychosozialen Krankheitskonzept, enthielt viele Elemente der psychologischen Schmerztherapie und physikalische Maßnahmen. Bei allen 3 Krankheitsgruppen zeigten sich zerebrale Lerneffekte, die durch Methoden nach dem Forced-Use-Konzept erfolgreich angegangen werden konnten. Schließlich folgten Maßnahmen im Sinne des betrieblichen Eingliederungsmanagement: Work Hardening anhand von präziser Arbeitsplatzbeschreibung, therapeutischer Begleitung auch nach der Reha bis zur anhalten erfolgreichen Wiedereingliederung. In mehreren Projekten im Rahmen der integrierten Versorgung (AOK Rheinland-Pfalz, DAK, Hamburg Münchener Krankenversicherung, Gemünder Ersatzkasse) wurden für den chronischen Rückenschmerz vergleichbar günstige Ergebnisse ohne betäubende Maßnahmen erzielt (n=108). Literatur: [1] Patienteninformation der Interdisziplinären Gesellschaft für Psychosomatische Schmerztherapie unter www.igps-schmerz.de/projekte/Pat_Info_Opioide.pdf 2009. [2] BKK-Faktenspiegel November 2008: Schwerpunktthema Rückengesundheit 3. Kooperationsmodell posttraumatische Chronifizierungen -Zwischenbilanz eines innovativen Projektes. Hrsg. Medizinisches Versorgungszentrum Koblenz, Therapiezentrum Koblenz, Unfallkasse Rheinland-Pfalz (im Druck)