Zeitschrift für Palliativmedizin 2010; 11 - D3_2
DOI: 10.1055/s-0030-1265314

Palliative Sedierung am Lebensende von Kindern und Jugendlichen mit Krebserkrankungen – eine Bestandsaufnahme

M Baumann-Köhler 1, MC Frühwald 1, H Jürgens 1
  • 1Universitätsklinikum Münster, Pädiatrische Hämatologie und Onkologie, Münster, Germany

In Deutschland erkranken jährlich ca. 2000 Kinder und Jugendliche an Krebs. Bis zu 80% dieser Patienten überleben langfristig. Dementsprechend versterben 20% nach wie vor an ihren Erkrankungen oder den Komplikationen der multimodalen Therapie. In der Klinik für Pädiatrische Hämatologie und Onkologie des Universitätsklinikums Münster werden jährlich ca. 120 neuerkrankte Patienten umfassend versorgt. Trotz stark verbesserter Heilungschancen versterben davon im Mittel 30 Patienten/Jahr. In den letzten 4 Jahren haben wir ein pädiatrisches Palliative-Care-Team (PäPCT) für die Versorgung dieser Patienten und ihrer Familien etabliert. Wie bei Erwachsenen leidet ein Teil der Kinder und Jugendlichen in der terminalen Situation ihrer Erkrankung an schwer beherrschbaren Symptomen. Neben Analgetika werden in dieser Phase Sedativa, insbesondere Benzodiazepine und Neuroleptika, in verschiedenen Indikationen (Dyspnoe, Angst, Unruhe, Schlafstörungen, Krampfanfälle) eingesetzt. Grundsätzlich sind die zahlreichen unterschiedlichen Definitionen und Ausführungen zur „Sedierung am Lebensende“ komplex. Sie sind beladen mit über die medizinischen Aspekte hinausgehenden moralisch-ethischen und juristischen Inhalten. Eine Experten-Kommission der EAPC definierte 2007: „Palliative Sedierungstherapie ist die spezifische Anwendung sedierender Medikamente, um unerträgliches Leid ausgelöst durch refraktäre Symptome, durch die Reduktion des Bewusstseins zu lindern. Dafür sind die geeigneten Medikamente am Effekt zu titrieren.“ Für die praktische Durchführung liegen in der Literatur für Erwachsene Leitlinien vor. Dem Beginn einer palliativen Sedierung soll ein Entscheidungsprozess vorangehen, indem wann immer möglich der Patient, seine Angehörigen und das behandelnde Team idealerweise zu einem Konsens über das weitere Vorgehen finden. Es bedarf einer Aufklärung über die Indikation, die Ziele, Risiken und die Durchführungsmodalitäten. Im Kontext der Kinder- und Jugendmedizin ist dieses Vorgehen durch die unterschiedlichen Altersstufen und das damit bedingte individuelle Maß der Kommunikations- und Einwilligungsfähigkeit und die notwendige Einbindung der Eltern deutlich komplexer. Es ist festzulegen, ob das Ziel eine intermittierende oder kontinuierliche und in ihrer Ausprägung eine milde, intermediäre oder tiefe Sedierung sein soll – eine Überwachung der Sedierungstiefe ist obligat. Es liegen in der Literatur keine validierten Daten für den Gebrauch von Messinstrumenten bei Kindern vor. Trotzdem empfiehlt die französische Gesellschaft für Palliativmedizin die Anwendung der COMFORT B-Skala. Es existieren bisher nur kleine Fallserien über die Sedierung von Kindern am Lebensende, denen sehr unterschiedliche Definitionen zu Grunde gelegt wurden. Wir analysierten retrospektiv die Patientenakten der 48 von insgesamt 81 verstorbenen Patienten unseres Kollektivs, die im Zeitraum von 2007 bis 2009 entweder auf der onkologischen Station (14/81) oder zuhause (34/81) in der Betreuung des PäPCT verstorben sind. Es wurde geprüft, ob in den letzten 72h Lebensstunden eine palliative Sedierungstherapie im oben genannten Sinne durchgeführt wurde. Wenn ja, analysierten wir neben den Patientenmerkmalen (Geschlecht, Diagnose, Alter bei Tod) die Indikation, die Durchführung (Medikamente, Applikationsform, Dauer, Überwachung der Sedierungstiefe) und die Dokumentation des Entscheidungsprozesses. Unsere Untersuchung zeigt, dass eine kontinuierliche, i.v. durchgeführte, palliative Sedierungstherapie am Lebensende fast ausschließlich zur Linderung einer ansonsten therapierefraktären Dyspnoe bei Jugendlichen, bzw. jungen Erwachsenen mit soliden Tumoren, im stationären Bereich notwendig wurde. Eine Verbesserung des Vorgehens ist insbesondere im Bereich des Monitorings der Sedierungstiefe und der Dokumentation des Entscheidungsprozesses erforderlich.