Rehabilitation (Stuttg) 2010; 49(5): 275-276
DOI: 10.1055/s-0030-1263158
Editorial

© Georg Thieme Verlag KG Stuttgart · New York

Die Kommunikation zwischen Patienten und Behandlern in der medizinischen Rehabilitation

Communication between Patients and Providers in Medical RehabilitationE. Farin1 , W. H. Jäckel1
  • 1Abteilung Qualitätsmanagement und Sozialmedizin, Universitätsklinikum Freiburg
Further Information

Publication History

Publication Date:
20 October 2010 (online)

Eine erfolgreiche Rehabilitation ist in hohem Maße auf funktionierende Kommunikationsprozesse angewiesen, sowohl organisationsintern im multiprofessionellen Reha-Team als auch im Kontakt mit dem Patienten, dem Krankheitsinformationen, Selbstmanagementkompetenzen und Strategien zum Umgang mit Funktionseinschränkungen vermittelt werden. Kommunikation hat einen quantitativen Aspekt, der sich zum Beispiel in der Länge von Gesprächszeiten ausdrückt, und einen qualitativen, der unter anderem durch Aspekte wie Offenheit, Empathie, wechselseitige Informierung und Beteiligung, Ausmaß der Selbstöffnung, Berücksichtigung der Kommunikationspräferenzen des Gesprächspartners gekennzeichnet ist. Auch wenn die quantitative Dimension aus ökonomischen Gründen sicherlich bedeutsam ist und zu eingängigen empirischen Daten führt (so finden z. B. Deveugele et al. [1], dass die hausärztliche Konsultationszeit in Deutschland mit durchschnittlich 7,6 min kürzer ist als in allen anderen untersuchten europäischen Ländern), ist es oft doch wesentlich die Qualität der Kommunikation, die über erwünschte oder unerwünschte Konsequenzen entscheidet.

Diese Qualität ist in vielen Fällen nur subjektiv, über das Erleben und Wahrnehmen beider beteiligter Individuen (Patientin/Patient und Behandlerin/Behandler) bestimmbar und darüber hinaus auch von epochebedingten Normen und Lehrmeinungen abhängig. So war vor knapp 50 Jahren in einer Fachzeitschrift zum Thema „Zeitgemäße Behandlung der Leukosen” zu lesen: „Bei den akuten Formen ist es meiner Meinung nach mit wenigen Ausnahmen besser, wenn man nur von einer schweren Knochenmarksschädigung spricht. … Wichtig ist es, in solchen Fällen die Medikamente ,sine confectione‘ [ohne Beipackzettel, in neutraler Verpackung] zu verschreiben, da er [der Patient] sonst aus der Packung … die Wahrheit über seinen Zustand erfährt” ([2], S. 223).

In diesen Ausführungen wird eine Einstellung zur Offenheit und Transparenz in der Patient-Behandler-Kommunikation deutlich, die heutzutage, in Zeiten zunehmender Patientenorientierung [3] und Bemühungen um optimierte Patienteninformationen [4], kaum noch vorstellbar erscheint.

Das vorliegende Schwerpunktheft widmet sich mit Übersichts- und Originalarbeiten dem Thema Kommunikation zwischen Patienten mit chronischen Krankheiten und ihren Behandlern und legt dabei den Fokus auf aktuelle Entwicklungen im nationalen und internationalen Bereich. Der Beitrag von Farin [5] liefert zunächst einen Überblick über 3 zentrale Themen der Forschung zur Patient-Behandler-Kommunikation: die Kommunikationspräferenzen chronisch Kranker, den Zusammenhang zwischen Kommunikation und relevanten Endpunkten sowie die Interventionsmöglichkeiten zur Verbesserung der Patient-Behandler-Kommunikation. Eine aus dem Beitrag ableitbare Konsequenz für die Praxis der Rehabilitation besteht darin, dass ein flexibles Kommunikationsverhalten des Behandlers, welches sich auf die kommunikationsbezogenen Präferenzen und Erwartungen des Patienten einstellt, wahrscheinlich mit höherer Adhärenz und unter Umständen auch mit höherer Patientenzufriedenheit und verbesserten gesundheitsbezogenen Outcomes „belohnt” wird.

In der Studie von Glattacker et al. [6] wird von der Entwicklung und Implementierung einer innovativen Intervention zur bedarfsgerechten Patienteninformation sowie über erste Ergebnisse zu deren Umsetzung in Rehabilitationskliniken berichtet. Es handelt sich um eine Intervention, die an der Informationsvermittlung als einem zentralen Aspekt der Kommunikation zwischen Patient und Behandler ansetzt und durch ein systematisches Feedback die Informationslage des Behandlers hinsichtlich der subjektiven Krankheits- und Behandlungskonzepte der Rehabilitanden verbessert. Als Stärke des Beitrags ist die konsequente Theorieorientierung der entwickelten Intervention hervorzuheben.

Der Artikel von Zimmer et al. [7] ist dem Bereich der E-Health-Forschung zuzurechnen. Die Autoren berichten von der Inanspruchnahme und dem Nutzungsverhalten von psychosomatischen Patienten, die im Anschluss an ihre stationäre Behandlung an einer internetgestützten gruppentherapeutischen Nachbetreuung teilnehmen. In diesem Ansatz wird die Kommunikation der Patienten untereinander als Wirkelement genutzt; die Rolle des Behandlers beschränkt sich hier auf die Moderation der Kommunikation. Die Studie liefert interessante Hinweise, wie die Möglichkeiten des Internets für die therapeutische Nutzung von Kommunikationsprozessen fruchtbar gemacht werden können.

Die Übersichtsarbeit von Klöckner Cronauer und Schmid Mast [8] befasst sich mit geschlechtsspezifischen Aspekten des Gesprächs zwischen Arzt und Patient und stellt ein Beispiel dafür dar, wie Gender-basierte Versorgungsforschung (vgl. [9]) im Kontext der Patient-Behandler-Kommunikation umgesetzt werden kann. Hervorzuheben sind die Systematik der Analyse des Geschlechtsfaktors, aber auch die Beschreibung der Probleme, vor denen jüngere Ärztinnen in der Kommunikation mit männlichen Patienten stehen.

Dibbelt et al. [10] berichten über eine Studie, die den Zusammenhang zwischen wahrgenommener Interaktionsqualität und langfristigen Behandlungsergebnissen untersucht. Das zentrale Ergebnis lautet: Patienten, die das Gespräch mit dem Arzt als gelungen bewerten, zeigen stärkere Behandlungseffekte als die Patienten, die die Gespräche weniger positiv bewerten. Diese Studie ist eine der wenigen Arbeiten aus dem deutschen Rehabilitationssystem zur Bedeutung der Patient-Arzt-Kommunikation für gesundheitsbezogene Endpunkte.

Der Beitrag von Neumann et al. [11] schließlich untersucht den Aspekt des empathischen Kommunikationsverhaltens in der Interaktion zwischen Patient und Arzt: Nach einem narrativen Literaturreview zum Stand der Forschung zur ärztlichen Empathie in der medizinischen Rehabilitation berichten die Autorinnen und Autoren von den Ergebnissen einer qualitativen Umfrage bei Ärzten. Diskussionsstoff bietet insbesondere das Material zu den von Ärzten wahrgenommen Barrieren der Empathie: So wird Leitlinienorientierung von manchen Behandlern als Hinderungsgrund für die Umsetzung empathischen Verhaltens gesehen. Es stellt sich die Frage, ob dieser (vermeintliche?) Widerspruch zwischen Leitlinien- und Patientenorientierung durch eine Synthese (z. B. Leitlinien zur patientenorientierten Kommunikation wie bei [12]) aufgehoben werden kann.

Literatur

  • 1 Deveugele M, Derese A, van den Brink-Muinen A, Bensing J, De Maeseneer J. Consultation length in general practice: cross sectional study in six European countries.  BMJ. 2002;  325 472
  • 2 Moeschlin S. Zeitgemäße Behandlung der Leukosen.  Schweizerische Medizinische Wochenschrift. 1965;  95 (7) 221-225
  • 3 Taylor K. Paternalism, participation and partnership – The evolution of patient centeredness in the consultation.  Patient Education and Counseling. 2009;  74 (2) 150-155
  • 4 Bunge M, Mühlhauser I, Steckelberg A. What constitutes evidence-based patient information? Overview of discussed criteria.  Patient Education Counseling. 2010;  78 (3) 316-328
  • 5 Farin E. Die Patient-Behandler-Kommunikation bei chronischen Krankheiten: Überblick über den Forschungsstand in ausgewählten Themenbereichen.  Rehabilitation. 2010;  49 (5) 277-291
  • 6 Glattacker M, Heyduck K, Meffert C. Entwicklung, Implementierung und Umsetzung einer Intervention zur bedarfsgerechten Patienteninformation für Rehabilitandinnen und Rehabilitanden.  Rehabilitation. 2010;  49 (5) 292-300
  • 7 Zimmer B, Mößner M, Kordy H. Die Kommunikation von Patienten mit einer chronischen Erkrankung in einem Internet-Chat zur Nachsorge einer stationären psychosomatischen Behandlung.  Rehabilitation. 2010;  49 (5) 301-307
  • 8 Klöckner Cronauer C, Schmid Mast M. Geschlechtsspezifische Aspekte des Gesprächs zwischen Arzt und Patient.  Rehabilitation. 2010;  49 (5) 308-314
  • 9 Klinge I, Maguire P. The policy implications of gender mainstreaming for healthcare research in the EU.  Pharmacoeconomics. 2004;  22 (Suppl 2) 87-93
  • 10 Dibbelt S, Schaidhammer M, Fleischer C, Greitemann B. Patient-Arzt-Interaktion in der Rehabilitation: Gibt es einen Zusammenhang zwischen wahrgenommener Interaktionsqualität und langfristigen Behandlungsergebnissen?.  Rehabilitation. 2010;  49 (5) 315-325
  • 11 Neumann M, Scheffer C, Längler A, Tauschel D, Joos S, Lutz G, Edelhäuser F. Bedeutung und Barrieren ärztlicher Empathie im Praxisalltag – Stand der Forschung und qualitative Kurzumfrage mit Ärzten.  Rehabilitation. 2010;  49 (5) 326-337
  • 12 Leitliniengruppe Hessen. . Hausärztliche Leitlinie. Hausärztliche Gesprächsführung.  Version 1.03. 2008, verfügbar unter: http://www.pmvforschungsgruppe.de (Publikationen)

Korrespondenzadresse

PD Dr. Erik Farin

Universitätsklinikum Freiburg

Abteilung Qualitätsmanagement

und Sozialmedizin

Engelbergerstraße 21

79106 Freiburg

Email: erik.farin@uniklinik-freiburg.de