Klin Padiatr 2010; 222 - GNPI_PO_130
DOI: 10.1055/s-0030-1261597

Neonatale Hyperekplexie (Stiff Baby-Syndrom)

AC Hoyer 1, C Czernik 1, B Weschke 1, C Bührer 1
  • 1Charite Kliniken f. Kinderheilkunde und Kinderchirugie, Berlin

Einleitung: Muskuläre Tonuserhöhungen mit paroxysmalen Exazerbationen werden, insbesondere nach einer Asphyxie, zumeist als zerebrale Krampfanfälle aufgefasst. Wir berichten von einem Patienten, bei dem ein normales EEG und die Kenntnis eines seltenen Krankheitsbildes zur richtigen Diagnose führte. Kasuistik: Mutter 31-jährige G 3 P 3, konsanguine türkische Eltern, Familienanamnese leer. Bereits in der Schwangerschaft bemerkt die Mutter "steifere Bewegungen" des Feten im Vergleich zu den vorangegangenen Schwangerschaften. Geburt per Notsectio bei V.a. vorzeitige Lösung und pathologischem CTG nach 33 Schwangerschaftswochen, Apgar 5/8/8. Erschwerte postnatale Adaptation, Maskenbeatmung ohne gewünschten Effekt, schwierige Intubation wegen Kiefersperre. Für zwei Tage Beatmung, danach Atemunterstützung mittels CPAP. Seit dem 2. Lebenstag "Anfälle" – symmetrisches Zucken der Extremitäten begleitet von auffälligem Schreien, Kopfretraktion und Flexion des Körpers, zusammengekniffene Augenlider, Tachykardie zum Teil gefolgt von Bradykardien und Apnoen. Kurzfristige Besserung nach Vitamin B6-Gabe und Phenobarbital. Orale Ernährung kaum möglich. Im aEEG Veränderungen durch muskuläre Spasmen. Im EEG altersgerechte Schlaf-Müdigkeits-Aktivität, keine Krampfaktivität. Im MRT Signalerhöhungen im Sinne einer leichten stattgehabten Hypoxie, sonst unauffällig. Provozierbarkeit der Anfälle durch taktile ("nose tapping", Glabella-Reflex) oder akustische Reize, durch Flexion von Kopf und Extremitäten zum Stamm hin (Vigevano-Manöver) zu unterbrechen. Unter der Diagnose neonatale Hyperekplexie Therapieversuch mit Clonazepam-Therapie (oral, einschleichend dosiert) einem korrigierten Gestationsalter von 37 Wochen. Bei 0,1mg/kg/d weitgehende klinische Remission, ohne Hypersalivation oder bronchiale Hypersekretion. Ergebnisse genetischer Untersuchungen bei Redaktionsschluss ausstehend. Diskussion: Die Hyperekplexie (OMIM #149400) ist eine durch muskuläre Hypertonie und gesteigerte Reaktion auf Reize gekennzeichnete hereditäre Erkrankung, der meist Mutationen im GLRA1-Gen (Glycin-Rezeptor alpha-Kette) zugrunde liegen. Neugeborene mit Hyperekplexie haben eine diffuse muskuläre Hypertonie, Hyperreflexie und eine gesteigerte Startle-Reaktion auf Lärm und Bewegung. Die taktilen Stimuli beim Füttern können zu schweren oropharyngealen Koordinationsstörungen, Apnoen und Aspirationen führen. Es besteht ein erhöhtes Risiko für plötzlichen Kindstod. Die Hypertonie und Hyperreflexie sind ab dem Ende des 1. Lebensjahrs spontan regredient. Die motorische Entwicklung ist meist verzögert. Eine spezifische Therapie gibt es nicht, unter Clonazepam (GABA-Rezeptor Agonist) kann eine Besserung erreicht werden. Clonazepam wurde bisher wegen Hypersalivation und bronchialer Hypersekretion erst nach dem 1. Lebensjahr empfohlen, stellt jedoch offensichtlich auch in der Neonatalperiode eine wirksame Behandlungsoption dar.