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DOI: 10.1055/s-0030-1261381
Ethische Probleme in der pädiatrischen Intensivmedizin bei angeborenen Erkrankungen
Die Geburt eines Kindes mit Fehlbildungen oder einer Chromosomenanomalie ist für seine Eltern ein traumatisches Erlebnis, das die Neonatologen vor die schwierige Herausforderung stellt, den Bedürfnissen des Kindes wie auch denen der Eltern gerecht zu werden. Dies gilt um so mehr, wenn die Anomalien nach zuvor unauffälligem Schwangerschaftsverlauf erst postnatal erkannt wurden.
Die zentrale medizinische Aufgabe besteht darin, aus einer korrekten diagnostischen und prognostischen Zuordnung eine optimale therapeutische Strategie zu entwickeln, wobei „optimal“ häufig gerade nicht als „maximal“, sondern vielmehr als „den erreichbaren Therapiezielen angemessen“ zu verstehen und gemeinsam mit den Eltern zu ermitteln ist. Eine ebenso wichtige ärztliche Aufgabe liegt in der Begleitung der Eltern und ihre angemessene Einbeziehung in Therapieentscheidungen, in der es einen individuell richtigen Weg zwischen den Extremen eines paternalistischen „doctor knows best“ und einer die Eltern überfordernden Überbetonung ihrer Autonomie („Sie müssen selbst entscheiden, es ist doch Ihr Kind“) zu finden gilt. Schlüssel zu einer gelingenden Arzt-Patienten-Beziehung sind die ersten Gespräche zur, oft erst vorläufigen, Diagnose des Kindes. Bei aller Individualität der Situation lassen sich aus empirischen Studien zur Diagnosemitteilung bei Chromosomenanomalien doch einige allgemeine Regeln für das Vorgehen ableiten, deren wichtigste und am häufigsten missachtete darin besteht, möglichst kein Informationsgefälle zwischen den Elternteilen entstehen zu lassen. Ähnlich bedeutsam ist die frühzeitige Einbeziehung nichtärztlicher Kompetenzen: Ärzte, die Eltern Kontakte zu Psychotherapeuten und Selbsthilfegruppen anbieten, werden von ihnen entgegen hergebrachten ärztlichen Selbstbildern nicht als unsicher, sondern vielmehr als fachübergreifend kompetent wahrgenommen. Umgekehrt müssen Ärzte lernen, auch ihnen irrational erscheinende Reaktionsweisen von Eltern auf ihr neugeborenes Kind, wie etwa Berührungsängste oder zeitweiligen Rückzug, nicht vorschnell als persönliches Fehlverhalten zu verurteilen. Ein interdisziplinärer Ansatz empfiehlt sich auch für Entscheidungen über Therapiebegrenzungen. Hier haben sich Modelle eines „shared decision making“ mittels gemeinsamer Beratungsgespräche der Eltern mit Pädiatern, Humangenetikern und Psychologen bewährt. Auch die Einholung einer zweiten Meinung, beispielsweise im Rahmen eines klinisch-ethischen Konsils, kann wesentlich zu einer Entscheidungsfindung beitragen, die der medizinischen Problematik des Kindes angemessen Rechnung trägt und zugleich den Eltern den nachhaltigen Eindruck vermittelt, ihre Verantwortung für das Schicksal ihres Kindes wahrzunehmen, ohne mit ihr alleingelassen zu werden.