Pneumologie 2011; 65(10): 602-606
DOI: 10.1055/s-0030-1256085
Historisches Kaleidoskop

© Georg Thieme Verlag KG Stuttgart · New York

Ueber Resorption durch die Lungen

On Resorption in the LungsR.  Kropp1
  • 1Deutsches Tuberkulose-Archiv
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Publication Date:
12 January 2011 (online)

Prolog

Im Folgenden wird den geehrten Lesern des Historischen Kaleidoskops der Text einer Dissertation aus dem Jahre 1886 zur Lektüre angeboten: „Ueber Resorption durch die Lungen”. Die Dissertations-eigentümlichen Passagen (Lebenslauf, Danksagungen etc.) wurden entfernt, ebenso elf der ursprünglich zwanzig Versuchsbeschreibungen, um den Text lesbarer und möglichst kurzweilig zu halten. Alle Experimente mit intratrachealer Applikation der Chemikalien wurden jedoch belassen.

Thema und Inhalt der Arbeit sind recht witzig, die Sprache ist zeitgebunden. Und so mag dieser Text das Wissen des Lesers vermehren, und das mit einigem Vergnügen.

Dr. Robert Kropp

Wenn man bei dem heutigen Standpunkte der medizinischen Wissenschaften annimmt, dass eine grosse Anzahl von Krankheiten durch Infection von aussen her in den Körper eingeschleppt wird, so scheint es nicht unberechtigt, die Resorptionsgeschwindigkeit von seiten der Lungen etwas näher in den Kreis der Betrachtung zu ziehen, zumal die Lungen als eines der Hauptorgane des Organismus für die Aufnahme infectiöser Stoffe anzusehen sind.

Es liegt nicht in dem Rahmen dieser Arbeit, auf die Controversen einzugehen, welche lange Zeit darüber bestanden, auf welchem Wege überhaupt in die Lungen eindringende Stoffe ihren Uebertritt in den Saftstrom und also in den Organismus bewerkstelligten, ebensowenig zu entscheiden, wie weit den Lymphgefässen die Hauptbedeutung für diesen Vorgang zukomme, oder den Blutgefässen allein, oder endlich beiden Gefässsystemen gemeinschaftlich. Vielmehr bezweckt die experimentelle Studie darzuthun, wie ungemein rasch von seiten der Lunge die verschiedensten Stoffe resorbirt werden.

Die Resorption von Stoffen ist im Allgemeinen abhängig von verschiedenen Momenten; unter denselben beansprucht eine einschneidende Bedeutung der jeweilige Aggregatzustand des aufzunehmenden Körpers. In der That lassen sich hier ganz bestimmte Differenzen erkennen, so dass auch hier die Eintheilung der resorptionsfähigen Stoffe nach ihrer physikalischen Eigenthümlichkeit in feste, flüssige und gasförmige Körper zu Recht bestehen muss. Dieser Disposition sind auch die Arbeiten gefolgt, welche über die Resorptionsverhältnisse von seiten der Lungen Aufschluss geben sollten. Eine grosse Anzahl von Arbeiten nämlich liegen vor, welche sich mit den Resorptionsverhältnissen fester und gasförmiger Körper durch die Lungen beschäftigen. Die darauf bezügliche Literatur ist in erschöpfender Weise gesammelt in der neuesten Arbeit von Arnold[1]); als Anhang dieses beachtenswerten Werkes finden wir nicht weniger wie 140 Arbeiten angeführt, die sich mehr oder weniger mit Inhalation fester Bestandtheile, speciell mit Staubinhalation und Staubmetastase befassen, 264 Nummern im Garnen, die über die Resorption fester oder gasförmiger Körper durch die Lungen handeln.

Auffallend ärmlich muss es im Gegensatz zu dieser reichen Litteraturblüthe erscheinen, wenn nur sehr wenige Arbeiten vorliegen, welche die Resorptionsverhältnisse flüssiger Körper durch die Lungen in Betracht ziehen.

Soweit Quellen über diesen Gegenstand von uns durchforscht werden konnten, handelt es sich wesentlich nur um zwei Arbeiten, auf welche wir aus dem Grunde näher eingehen, weil es in unserer Intention liegt, Versuche mitzutheilen, welche zu diesen Versuchen in engster Verwandtschaft stehen. J. Wasbutzky[2]) war der erste, der hierüber 1879 Untersuchungen veröffentlichte. Das Wesentlichste seiner Ergebnisse führen wir in Folgendem an.

W. verfolgt in seiner Arbeit zwei Zwecke. Erstens sucht er den Beweis zu bringen, dass die Resorption in den Lungen früher von den Lymphbahnen als von den Blutgefässen aus geschähe. Zu diesem Zwecke spritzte er Kaninchen gewisse Lösungen vermittelst einer Pravazschen Spritze in die blossgelegte Trachea; er prüfte dann gleichzeitig den durch einen Katheter entleerten Harn und aus der Carotis externa entnommes Blut auf die Anwesenheit des injicirten Stoffes. Im Verlauf seiner Experimente will er den Nachweis für seine oben aufgestellte Behauptung dadurch führen, dass er das Vorhandensein des eingespritzten Stoffes im Harn früh er als im Blut zu konstatiren glaubt. Wir lassen dahingestellt, wie weit man aus solchem Verfahren bindende Schlüsse ziehen darf, wir müssen aber darauf aufmerksam machen, dass nicht alle Fehlerquellen beseitigt sind, aus denen unwillkürlich unrichtige Schlussfolgerungen hervorgehen müssen. Damit der Leser sich hinreichend orientiren kann, führen wir ein Beispiel an:

Nach der Aufzählung und Beschreibung seiner Versuche mit Atropin schliesst W. ohne Weiteres, letzteres sei bereits in den Harn übergegangen zu einer Zeit, als im Blut nicht eine Spur Atropin zu finden gewesen wäre. Sehen wir uns die Versuche im Detail an, so finden wir, dass unter den 13 mit Atropin angestellten Thierversuchen 7 Experimente vorliegen, in denen W. weder im Harn noch im Blut Atropin nachweisen konnte; in 2 Fällen wies er gleichzeitig im Blut und Harn Atropin nach, in einem Falle nur im Harn, in einem andern nur im Blut, in 2 Fällen untersuchte er das Blut überhaupt nicht. Warum nun aus solchem Ergebniss W. die These aufstellen zu dürfen glaubt, dass seine oben citirte Ansicht hierdurch bewiesen sei, ist uns nicht recht ersichtlich, es lässt sich vielmehr nach unserer Ansicht aus diesem so verschiedenartigen Resultate kein bestimmtes Gesetz ableiten, am wenigsten aber das, was W. glaubt.

Der zweite Hauptzweck der Arbeit Wasbutzky’s war der, den Termin zu bestimmen, bis zu welchem ein Teil der eingeführten Stoffe unzweifelhaft in die Blutmasse übergegangen sei; für die einen Substanzen genügt der Nachweis ins Harn und im Blute, für die anderen wird die eingetretene Resorption durch die auftretenden Vergiftungserscheinungen nachgewiesen. Der Autor geht nicht darauf ein, absolute Bestimmungen über den zeitlichen Verlauf der Resorptionsgeschwindigkeit zu machen, sondern er beschränkt sich mehr auf eine comparative Bestimmung derselben. Aber auch hier müssen wir auf einige Fehler hinweisen, die der Arbeit anhaften, und die gerade die Berechtigung gaben, einen Theil der Experimente Wasbutzky’s zu wiederholen und zu controlliren.

Zunächst gebrauchte W. kurze Zeit nacheinander dieselben Versuchsthiere zu verschiedenen Experimenten, sodass er selbst z. B. nach Einspritzung von Chloralhydrat und Eisenchlorid in die unangenehme Lage kam, nicht beweisen zu können, ob die Folgezustände von der Injection des einen oder anderen Stoffes herrührten. Sodann scheint es uns ungenau zu sein, dass bei verschiedenen Versuchen in gewissen Zeitabschnitten Injectionen verschiedene Male nacheinander wiederholt werden, ohne die Zeit, welche zwischen den einzelnen Injectionen liegt, anzugeben, sodass eigentlich von einer, wenn auch nur ungefähren Bestimmung der Zeit, in welcher die Resorption sich vollzog, gar keine Rede sein konnte.

Als Resumé der übrigens sehr fleissigen Arbeit, die nicht weniger als 70 Versuche aufweist, wird mit Recht constatirt, dass die Resorption von seiten der Lungen eine ungeheuer rasche ist, rascher als die vom Magen aus, mindestens ebenso rasch, wenn nicht noch rascher sich vollzieht als die vom Unterhautszellgewebe aus.

Der Vollständigkeit halber fügen wir dann an, dass lange vor W. gelegentlich darauf hingewiesen war, mit welcher Schnelligkeit die Lungen flüssige Massen resorbirten, nämlich von einem französischen Autor Dr. Auphan[3], der diese Beobachtung bei der Untersuchung der Wirkungen des Mineralwassers des Bades Euzet machte.

Wenden wir uns jetzt zu der andern Arbeit, welche von Peiper[4]) 1884 veröffentlicht, in erster Linie auf den Versuchen W. fusst.

Peiper wiederholte zunächst einige Versuche W.’s, besonders solche, bei denen W. zu keinem eigentlichen Resultate gelangt war, z. B. Injectionen mit HaemoglobinLösung, bei denen es W. nicht gelungen war, den Blutfarbstoff im Harn nachzuweisen.

P. bemüht sich dann weiter, abgesehen von einigen kleinen Versuchen unter normalen Verhältnissen, die Resorptionsfähigkeit der Lungen auch unter pathologischen Verhältnissen einer näheren Untersuchung zu unterziehen. „Einerseits hoffte er, durch die Ausschaltung bestimmter Nerven den Einfluss derselben auf die Resorptionsvorgänge kennen zu lernen, andererseits bestand die Möglichkeit, dass die in gewisse pathologische Verhältnisse gebrachten Lungen ein abweichendes Verhalten von der bisher beobachteten Resorptionsthätigkeit zeigen würden.”

Er durchschnitt deshalb die einzelnen Nerven nach der Reihe, die auf die Resorptionsthätigkeit der Lungen einen etwaigen Einfluss auszuüben im Stande gewesen wären, den vagus, sympathicus und phrenicus, und spritzte den Thieren Lösungen von der Trachea aus in die Lungen. In keinem Falle jedoch gelang es ihm, von den normalen Verhältnissen abweichende Resultate zu erzielen, und in keinem Falle konnte ein Einfluss der durchschnittenen Nervenbahnen auf die Resorptionsvorgänge nachgewiesen werden. Ebenso blieben die Resorptionsverhältnisse der Lungen ganz dieselben, wenn er bei fiebernden oder in asphyktischen Zustand versetzten Thieren die Injection von der Luftröhre aus machte. Es liess sich kein Unterschied von den normalen Verhältnissen ausfindig machen. Die Thatsache, dass die Wirkung in die Lungen injicirter Gifte bei Thieren, denen er vorher eine pneumonische Infiltration durch doppelseitige Vagusdurelischnei dung erregt hatte, eine raschere sei, glaubt P. nur dem heruntergekommenen Zustand der Thiere zuschreiben und keineswegs als die Aeusserung einer beschleunigten Resorption auflassen zu müssen. Es zeigt hierdurch P., dass in seinen pathologischen Fällen ein anderes Verhältniss der Resorptionsvorgänge wie bei normalen Lungen nicht existirt.

Die von uns selbst angestellten Experimente, welche in dem Laboratorium der medizinischen Klinik ausgeführt wurden, beschäftigen sich hauptsächlich damit, zu eruiren: „In welcher Zeit erfolgt der Uebertritt resorptionsfähiger, flüssiger Stoffe durch die Lungen in den Organismus?”

Als Versuchsthiere benutzten wir für unsere Untersuchungen Kaninchen. Den Thieren, welche aufgeschnallt werden, wird die Trachea freigelegt, und in derselben der Länge nach ein etwa 1 cm langer Einschnitt gemacht. (W. injicirte nur vermittelst einer Pravaz’schen Spritze, P. bediente sieh beider Methoden.) Sodann wird eine Spritze mit langem Ansatzrohr durch die Oeffnung in die Trachea eingeführt, und die betreffende Flüssigkeit direct in die Lungen eingespritzt. Die Lösungen waren jedesmal bis auf normale Körpertemperatur erwärmt, da sie dann besser von den Thieren vertragen wurden, als kalte Flüssigkeiten, die sehr oft einen heftigen Hustenreiz erregten. Vor dem Eingiessen der zu prüfenden Substanz durch die geöffnete Luftröhre wird ein elastischer Katheter in die Blase des Versuchsthieres eingeführt (wir benutzten meistens Männchen, die uns zu diesem Zwecke geeigneter schienen), um den abfliessenden Harn sofort auffangen und zeitlich abgrenzen zu können. Die Uretheren zu diesen Versuchen benutzen zu können, geht nicht an, wie dies Wasutzky schon gefunden hat, und wie wir es bestätigen können.

Peiper hatte bereits darauf aufmerksam gemacht, dass die Resorption schneller vor sich geht, wenn das Thier während des Versuches aufgerichtet wird, als wenn es horizontal gelagert ist. Er sucht den Grund hierzu darin, dass sich bei der senkrechten Stellung des Thieres die Flüssigkeit rascher bis in die kleinsten Bronchien verbreiten könnte, und so eine grössere Resorptionsfläche vorhanden sei. Unsere Experimente bestätigen seine Ansicht in dieser Richtung vollkommen. Wahrscheinlich spielt bei der aufrechten Stellung des Thieres die Schwerkraft der injicirten Flüssigkeit selbst eine Rolle.

In demselben Augenblicke, in welchem dem Thiere die Injection in die Trachea von uns gemacht wird, lassen wir den Harn durch den Katheter abfliessen; der Harn träufelt meistens tropfenweise langsam ab, sodass der Eintritt der Reaction auf die injicirte Substanz fast auf die Sekunde bestimmt werden kann. Selbstverständlich sind die so gefundenen Zeitwerte, welche die Reaction im Harn ergiebt, grösser als die Resorptionsgeschwindigkeit in den Lungen; die Resorption ist offenbar noch viel schneller als die gefundenen Zahlen angeben, weil zunächst der injicirte Stoff einen Teil des Kreislaufs mitmacht, um erst in die Nieren gelangen zu können, und der Weg, den der Harn braucht, um von den Nieren durch die Uretheren in die Harnblase zu gelangen, doch immerhin eine gewisse Zeit in Anspruch nimmt. Rechnen wir nun die Zeit, welche der Harn braucht, um in die Blase zu kommen, von unseren Zahlen ab, so werden unsere Experimente Resultate ergeben, dahinzielend, dass von Seiten der Lunge die von uns geprüften Stoffe ungemein rasch aufgesaugt worden sind. Gleichzeitig verbinden wir mit dieser Untersuchungsweise vergleichende Bestimmungen, wie rasch die Resorption im Magen und vom Unterhautszellgewebe aus sich im Verhältniss zu der durch die Lungen erfolgten bewerkstelligt. Wir lassen jetzt die Versuche selbst folgen.

1 Arnold: Untersuchungen über Staubinhalation und Staubmetatase 1885.

2 J. Wasbutzky: Ueber Resorption durch Lungen. Inaug.-Dissert. Königsberg 1879.

3 Gazette Médicale de Paris. 1861. S. 697.

4 E. Peiper: Ueber Resorption durch die Lungen. Zeitschr. f. Kl. Med. 1884. S. 293.

5 Nothnagel-Rossbach: Lehrbuch der Arzneimittellehre S. 446.

6 Nothnagel-Rossbach: Lehrbuch der Arzneimittellehre S. 446.

7 Buna. mem. de la societe de Paris. 1866. S. 404.

8 Kerner: Beiträge zur Kenntniss der Chininresorption. Pflüger's Archiv. 2. Jahrgang.

9 Näheres über das Chinin. amorph. bor.: Finkler u. Prior: Mittheilungen über d. Chinin. am. b. Deutsche Med. Wochenschr. 10. Jahrg. Nr. 6. S. 81.

10 Sticker: Untersuchungen über die Elimination des Jodes im Fieber. Berl. Klin. Wochensch. 1885. Nr. 35.

11 Ziemssen, Handbuch der allgemeinen Therapie. 1. B. 4.
T. Oertel, Respiratorische Therapie. S. 50.

Dr. med. Robert Kropp

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