Diabetologie und Stoffwechsel 2010; 5 - FV8
DOI: 10.1055/s-0030-1253736

Die Accelerator Hypothese: Hat sie eine Relevanz bei gesunden Kindern mit diabetespezifischem genetischem Risiko?

B Aschemeier 1, K Semler 1, E Keller 2, T Danne 1, O Kordonouri 1
  • 1Kinderkrankenhaus auf der Bult, Diabeteszentrum für Kinder und Jugendliche, Hannover, Germany
  • 2CrescNet gGmbH, Leipzig, Germany

Fragestellung: Auf der Suche nach auslösenden Faktoren des Typ-1 Diabetes wird letzthin eine akzelerierte Gewichtszunahme in den ersten Lebensjahren und damit verbundene Insulinresistenz in Erwägung gezogen. Wir untersuchten daher die Zusammenhänge zwischen genetischer Prädisposition, familiärer Diabeteshäufung und einer vom Normalen abweichenden Gewichtsentwicklung während des Säuglings- und Kleinkindalters.

Methodik: In einer retrospektiven Längsschnittstudie wurde der Verlauf des BMI-SDS innerhalb der ersten vier Lebensjahre untersucht. Hierzu wurden Daten von 99 Kindern mit diabetesspezifischer genetischer Prädisposition (Hochrisikogruppe, HG) sowie von 99 Kindern mit positiver Familienanamnese, aber ohne genetischer Prädiposition (Einfachrisikogruppe, EG) aus dem bundesweiten Part der TRIGR-Studie herangezogen. Als Kontrollgruppe (KG) standen die Daten von 423 Kindern aus dem CrescNet-Programm zur Verfügung.

Ergebnisse: Die mittlere Schwangerschaftsdauer jeder Gruppe betrug 39 SSW (p=0,37). 53 (53,5%) Jungen und 46Mädchen der HG wurden mit einem höheren BMI-SDS von 0,52±1,00 gegenüber den Kindern der EG (56,6% ♂, BMI-SDS 0,39±1,00; p=0,03), aber nicht der KG (46,8% ♂, BMI-SDS 0,33±1,06; p=0,10) geboren. In allen Gruppen zeigte sich eine Reduktion des mittleren BMI-SDS nach 12 und 24 Monaten. Dabei war die Differenz zwischen der Geburt und dem 2. Lebensjahr in der EG am stärksten (ΔBMI-SDS: EG –0,64, 95%KI –1,05 bis –0,22; p=0,001; HG –0,46 95%KI –0,92 bis –0,003; p<0,05; KG –0,27 95%KI –0,43 bis –0,04; p<0,05). Zwischen 24 und 48 Monaten kam es zu einer geringen BMI-SDS-Zunahme jedoch ohne signifikante Unterschiede innerhalb und zwischen den Gruppen. Kinder aus der HG, die im 4. Lebensjahr übergewichtig (BMI-SDS≥1,28, n=5) waren, wiesen gegenüber jenen Kindern der anderen Gruppen auffällige Gewichtsschwankungen auf (p<0,05): Während der BMI-SDS der übergewichtigen Kinder der KG (n=18) zwischen 1,13±0,8 und 1,87±0,5 lag (p<0,05), hatten die Kinder der HG initial noch einen BMI-SDS von 0,70±1,12, der nach 12 Mon. auf 2,08±2,04 anstieg, sich in den folgenden 12 Mon. auf 1,00±0,60 reduzierte und bis zum 4. Lebensjahr erneut auf 1,76±0,52 anstieg (p>0,05). In der Regressionsanalyse zeigten Geschlecht (Regressionskoeffizient 0,208; p=0,002), Geburts-BMI-SDS (Regressionskoeffizient 0,073; p=0,025) und BMI-SDS im 2. Lebensjahr (Regressionskoeffizient 0,584; p<0,001) einen unabhängigen Einfluss auf den BMI-SDS im 4. Lebensjahr. Es bestand kein Zusammenhang zur Schwangerschaftswoche, genetischen Prädisposition, diabetesspezifischen Familienanamnese und zum Stillverhalten.

Schlussfolgerung: Der frühkindliche Gewichtsverlauf von gesunden Kindern mit diabetespezifischer genetischer Prädisposition unterscheidet sich von gesunden Kontrollkindern, allerdings nicht im Sinne einer generellen Akzeleration. Es bleibt abzuwarten, ob sich in der prospektiven 10jährigen TRIGR-Studie ein Zusammenhang mit einer späteren T1D-Manifestation finden lässt.