Gesundheitswesen 2010; 72 - A62
DOI: 10.1055/s-0030-1251718

Die Durchbruchsstörung bei 6-Jahrmolaren als erstes Zeichen einer gestörten und seine Bedeutung für die weitere Gebissentwicklung

R Grabowski 1, B Schremmer 2
  • 1Universität Rostock, Poliklinik für Kieferorthopädie
  • 2Gesundheitsamt Rostock, Zahnmedizinischer Dienst

Ziel der vorliegenden Arbeit war die Feststellung der Häufigkeit von Durchbruchsstörungen im Bereich der ersten bleibenden Molaren einer repräsentativen Probandengruppe zu Beginn des Zahnwechsels.

Aus der Häufigkeit und der Altersabhängigkeit sollten Risikofaktoren für die Gebissentwicklung formuliert werden. Dabei sollte der Zusammenhang von Durchbruchstörungen am 6-Jahrmolar mit anderen kieferorthopädischen Anomalien, die im Laufe der Gebissentwicklung auftreten können, geprüft werden, um eine mögliche Markerfunktion dieses Merkmals entweder auszuschließen oder zu begründen.

In jedem Fall fordert das Erkennen einer solchen Durchbruchsstörung zu Beginn des Zahnwechsels eine besonders aufmerksame Kontrolle der Gebissentwicklung.

Zur Gruppe der vorzeitigen Milchzahnverluste gehören die relativ seltenen Milchzahnverluste, die durch Mesialabweichung der Sechsjahrmolaren bedingten Resorptionen an den zweiten Milchmolaren führen. Diese „unterminierende Resorption“ wird durch Hoffmeister (1985) als ein Mikrosymptom der vererbten Störanfälligkeiten der Gebissentwicklung angesehen. Ein vorzeitiger Verlust der Milchmolaren führt zur Lückeneinengung für die nachfolgenden Zähne durch die Vorwanderung der Sechsjahrmolaren und in deren Folge nicht selten zu Wachstumsstörungen in dem betreffenden Quadranten.

Ein so gestörter Zahndurchbruch von oberen bleibenden ersten Molaren wird in der Literatur mit einer Prävalenz von 2–6% angegeben.

Die vorliegende Querschnittsuntersuchung erfolgte im Rahmen der gesetzlich definierten zahnärztlichen Reihenuntersuchungen in Schulen und Kindertageseinrichtungen. In Zusammenarbeit mit der Poliklinik für Kieferorthopädie der Universität Rostock und Zahnärzten des Gesundheitsamtes Rostock wurden in den Schuljahren 2004/2005 und 2005/2006 insgesamt 8041 Kindergarten- und Schulkinder zufällig ausgewählt und untersucht. Wichtig war die Erfassung des Symptoms der unterminierenden Resorption des 6-Jahrmolars am zweiten Milchmolar an einer auslesefreien, d.h. nicht kieferorthopädisch ausgewählten, Gruppe von Kindern. Nur sie erlauben Schlussfolgerungen für die Häufigkeit.

Die Anzahl des Vorkommens von Durchbruchsstörungen in den Regionen der Zähne 16, 26, 36 und 46 wurde für jedes Kind auf einem Untersuchungsbogen dokumentiert. Außerdem wurden kieferorthopädische Anomalien in Anlehnung an die Leitsymptome von Klink-Heckmann erfasst.

Von den in den Schuljahren 2004/2005 und 2005/2006 untersuchten 8041 Kindern wurde bei 102 Kindern (1,27%) eine Durchbruchsstörung der ersten bleibenden Molaren festgestellt. Erwartungsgemäß waren vor allem die ersten bleibenden Molaren im Oberkiefer von einer Durchbruchsstörung betroffen.

Wenn man berücksichtigt, dass der 6-Jahrmolar sehr zuverlässig mit dem 6. Geburtstag durchbricht, muss bei allen Kindern von 7 Jahren an eine Durchbruchsstörung angenommen werden.

Von den im Untersuchungszeitraum 2004 bis 2006 ermittelten Durchbruchsstörungen bei 102 Kindern wiesen 28 Kinder eine regelrechte Gebissentwicklung auf. Das Leitsymptom Platzmangel wurde bei 23 Kindern am häufigsten nachgewiesen, gefolgt von 17 Kindern mit Kreuzbiss und 15 Kindern mit ausgeprägter sagittaler Schneidekantenstufe. Der untere Frontzahnvorbiss (Progenie) wurde bei 6 Kindern registriert.

Zwischen Jungen und Mädchen liegen keine signifikanten Unterschiede vor.

Interessant ist der Vergleich mit der Gesamtgruppe der untersuchten Kinder im Alter zwischen 5–8 Jahren, weil bei der prozentualen Verteilung von kieferorthopädischen Anomalien deutliche Unterschiede auftreten. In der Gesamtgruppe aller untersuchten Kinder weisen 57,7% keine behandlungsbedürftige kieferorthopädische Anomalie auf, während es in der Gruppe der Kinder, die Durchbruchsstörungen am 6-Jahrmolar vorweisen, nur 27,4% sind. 72,6% der Kinder weisen ein kieferorthopädisches Anomaliesymptom auf.

Die Ergebnisse der Untersuchungen erlauben konkrete Schlussfolgerungen.

  • Bei der zahnärztlichen Kontrolluntersuchung, die regulär im Abstand von 6 Monaten vom Zahnarzt durchgeführt wird, muss bei einem 6 Jahre alten Kind darauf geachtet werden, dass sich der erste bleibende Molar zeitgemäß entwickelt. Wegen der klinisch schweren Erkennbarkeit des Symptoms ist eine sehr gewissenhafte zahnärztliche Untersuchung des Durchbruchs der oberen 6-Jahrmolaren dringend geboten.

  • Durchbruchsstörung des 6-Jahrmolars ist häufig das erste Symptom, das auf eine risikobehaftete Gebissentwicklung in Bezug auf weitere Symptome der genetisch determinierten Störanfälligkeiten der Gebissentwicklung hinweist.

  • Die zeitliche Verzögerung des Durchbruchs des 6-Jahrmolars und seine nach mesial orientierte Durchbruchsrichtung bedeutet eine Entwicklungshemmung in dieser Region. Ihre schnellstmögliche Korrektur z.B. bei geringgradiger Unterminierung des 2. Milchmolars leistet deshalb wichtige Dienste zur Vermeidung von Entwicklungshemmungen.

  • Progene Entwicklungen haben einen progredienten Verlauf. Nicht selten werden sie erst während oder nach dem Schneidezahnwechsel klinisch erkennbar. Die bei den Kindern mit progenen Anomalien in der Studie signifikant häufiger registrierte Störanfälligkeit des Durchbruchs der 6-Jahrmolaren sollte deshalb immer auch als ein möglicher Marker einer so belasteten Entwicklung betrachtet werden.