Gesundheitswesen 2010; 72 - A48
DOI: 10.1055/s-0030-1251704

Risikokommunikation eine Aufgabe des ÖGD

B Heinzow 1
  • 1Landesamt für soziale Dienste, Umweltbezogener Gesundheitsschutz, Kiel

Das Verfahren, um sowohl den Ansprüchen der Öffentlichkeit auf Information gerecht zu werden, wie auch das darin liegende Risiko möglicher Angst-/Panikauslösung zu minimieren, ist die Risikokommunikation (RK). RK ein Verfahrensprozess, um Menschen bzw. die Öffentlichkeit über Gefährdungen und Themen öffentlicher Besorgnis zu Gesundheit und Sicherheit, aber auch Ökologie, Ökonomie, Gerechtigkeit, Rechtmäßigkeit, Fairness und Ästhetik aufzuklären, bzw. in einem Diskurs zu moderieren.

Risikokommunikation sollte vom ÖGD als Aufgabe und als Chance wahrgenommen werden.

Ein erfolgreicher Prozess ist mehr als reine Faktenvermittlung er beruht auf Gegenseitigkeit und enthält in der Regel einen Austausch. Der Kommunikator als Geber muss die Bedürfnisse der Öffentlichkeit kennen und adäquat bedienen. Risikokommunikation funktioniert nicht von oben nach unten! Als Partner stellt die Öffentlichkeit selbst eine wichtige Informationsquelle dar, die eingebunden und genutzt werden sollte. Damit die Öffentlichkeit ihren Beitrag leisten kann, muss ihr die Gelegenheit zu aktiver Beteiligung gegeben werden, um die Risiken zu verstehen, zu quantifizieren und zur Lösung beizutragen.

In der Perzeption und Wichtung von Risiken durch die Öffentlichkeit dominieren subjektive Kriterien. Risiken mit den Charakteristika: Freiwilligkeit, Eigenkontrolle, Vorteil/Gewinnsituation, Gleichverteilung, Natürlichkeit, Bekanntheit werden eher akzeptiert, als solche, die sich durch Schrecklichkeit, Neuheit, Ausgeliefertsein auszeichnen, oder wenn Kinder betroffen sind. Deswegen ist es notwendig, dass sich der Risikokommunikator auf die Kommunikations- und Empfindungsebene der Öffentlichkeit begibt. Während der Experte das Risiko als Gefährdung aus technischer Perspektive sieht, sieht die Öffentlichkeit diese von einer nichttechnischen Perspektive, der Bedrohung. Das objektive (wissenschaftliche) Risiko ist nicht gleich dem subjektiven (öffentlichen) Risiko. Risiken die überschätzt werden, sind von niedriger Gefährdung aber hoher Bedrohung, während die unterschätzten Risiken von niedriger Bedrohung aber hoher Gefährdung sind.

Risikokommunikation hat deshalb zwei Aufgaben: bei kleinen Risiken zu beruhigen, bei substanziellen Risiken zu warnen.

Erfolgreiche Risikokommunikation als Therapie kann in Analogie zur Psychotherapie in drei Entwicklungsschritte aufgeteilt werden.

Zunächst ist eine Diagnose zu stellen bzw. das Problem zu charakterisieren. Im ersten Schritt soll der Patient die Ursache seines Schmerzes erkennen, im zweiten ihn ertragen und im dritten in eine Perspektive umsetzen. Der Risikokommunikator hat die Aufgabe, die Öffentlichkeit durch diese drei Schritte zu führen.

Ein Therapieprozess ist ein Lernprozess. Handeln bindet Ängste. Verhalten beeinflusst die Wahrnehmung und Verarbeitung und ändert damit die Einstellung. Deshalb ist es für eine erfolgreiche Risikokommunikation wichtig, Handeln als eine Perspektive zu ermöglichen. Im Handeln verarbeitet der einzelne, dass ein Risiko vorhanden ist und dass es gleichzeitig zu bewältigen ist. Eine gute Risikokommunikation sollte deshalb mehrere Möglichkeiten eröffnen, etwas zu tun und darunter selbst auszuwählen. Das kommt sowohl der unterschiedlichen interindividuellen Risikobereitschaft entgegen und gibt individuell die Chance, Kontrolle auszuüben, damit Angst abzubauen und ggf. zu überwinden, und dadurch sowohl Panik als auch Verdrängung zu verhindern. In akuten Situationen entsteht oft Hypervigilanz, es gilt diese zu nutzen und in sinnvolles Handeln zu dirigieren.

Risiken und Gefährdungen können von einzelnen Zielgruppen und innerhalb eines Publikums in einer öffentlichen Veranstaltung sehr unterschiedlich verstanden bzw. wahrgenommen werden und manipuliert werden. Der Risikokommunikator steht in Konkurrenz zu anderen Interessen und Informationsquellen, die oft unterschiedliche, rudimentäre und entgegengesetzte Botschaften vermitteln. Es kommt darauf an, diese Diversität möglichst zu antizipieren und, soweit es geht, bereits in die eigenen Informationen aufzunehmen und ggf. sachlich richtigzustellen, ohne in Streit zu verfallen.

Es ist Aufgabe des Risikokommunikators, eine informierte Öffentlichkeit zu schaffen, nicht Besorgnis zu zerstreuen oder Handeln zu ersetzen. Neben der sachlichen Informationsvermittlung sollte auch Empathie gezeigt werden, Anerkenntnis der Verunsicherung, der Ängste und Probleme. Laien messen Eintrittswahrscheinlichkeiten bei der Risikowahrnehmung eine geringe Bedeutung bei. Die Öffentlichkeit legt mehr Wert auf Vertrauen, Glaubwürdigkeit, Kompetenz, Fairness und Empathie als auf Statistik, Details und nackte Fakten.

Auch die Rolle der Medien ist zu berücksichtigen, denn Medien sind weniger an Risiken als an Politik, mehr an Streit als an Einvernehmen, mehr an Vereinfachung als an Komplexität, mehr an Gefahr als an Sicherheit interessiert. Untersuchungen zeigen, dass auch Fach-Journalisten der Laiensicht näher stehen als den Expertenurteilen.

Besorgnis und Empörung sind legitime menschliche Reaktionen, die Gefühle der Öffentlichkeit, das Irrationale ist zu respektieren, indem den Betroffenen und Besorgten ein Forum gegeben wird, ihre Sorgen zu äußern, indem ihnen zugehört wird, indem die Besorgnis zur Kenntnis genommen wird und anerkannt wird, indem auf einen emotionalen Ausbruch und Feindseligkeit nicht mit Fakten sondern Verständnis reagiert wird. Indem das Angebot gemacht wird, jederzeit kurzfristig bereit zustehen, und indem man sich über die eigenen Ziele und Interessen und gemachte Fehler klar wird und dies auch zugibt. In einer Risikokommunikation wird man nicht alle überzeugen können und zufriedenstellen, Dissens in gegenseitigem Respekt, ist der Kontroverse immer vorzuziehen.

Im Rahmen einer Risikokommunikation können unterschiedliche Instrumente eingesetzt werden, wie öffentliche Veranstaltungen, Sprechstunden, vor-Ort-Büro, Flugblätter, Informationsbroschüren, Internetpräsentationen und Pressemitteilungen. Wesentlichste Voraussetzung für ein erfolgreiches Verfahren bleiben jedoch Glaubwürdigkeit und Vertrauen, die von einer kritischen Öffentlichkeit erst gewonnen werden müssen durch Empathie und Verständnis, Kompetenz und Expertise, Ehrlichkeit und Offenheit, Engagement und Einsatz und sehr schnell wieder verloren werden können.

Es hat sich bewährt, vor der wissenschaftlichen Kommunikation, eine persönliche Kommunikation voranzustellen. Zur eigenen persönlichen Vorstellung und der Organisation/Behörde sollten eigene Erfahrung, Erfahrungen und Ziele präsentiert werden. Die Bedeutung, die man selbst dem Gesundheitsschutz beimisst, die Bedeutung von Sicherheit und Umweltschutz und den moralisch höheren Stellenwert der (öffentlichen) Gesundheit gegenüber finanziellen Abwägungen, können als persönliches Statement abgegeben werden. In der Wahl des Subjektes sollte von Ich oder Wir gesprochen werden und man sollte sich persönlich nicht hinter einer Organisation verstecken. Auch die eigene Verantwortung, oder Fehler sollten nicht verschwiegen werden, bzw. nicht auf andere abgewälzt werden. Dazu gehört auch die Entschuldigung, wenn etwas falsch gemacht wurde.

Öffentliche Veranstaltungen sind oft emotional geprägt, und der Risikokommunikator unberechtigten Anschuldigungen und persönlichen Verunglimpfungen ausgesetzt. In solchen Situationen ist es wichtig, ruhig zu bleiben und die eigenen Emotionen zu kontrollieren, nicht zurückschlagen, statt Empörung, die eigene Betroffenheit zu artikulieren: Angriffe sollten auf die Sache, nicht auf Personen oder Organisationen gerichtet sein. Anschuldigungen und unzutreffende Behauptungen und Unterstellungen sollten offen zurückgewiesen werden, aber in der Antwort nicht erneut wiederholt werden. Feindseligkeit sollte auch nicht verleugnet werden, sondern zur Kenntnis genommen und angesprochen werden.

Risikovergleiche sind wertvoll zur Erläuterung und zum Verständnis und zur Gewichtung, jedoch nur, wenn sie aus der gleichen Risikofamilie stammen. Es sind auch die Unsicherheiten und das Nicht-Wissen anzusprechen. Eine unklare oder unzureichende Datenlage ist als solche zu benennen, und es ist leichter, von einer Überschätzung zu deeskalieren als eine optimistische Prognose scheibchenweise einzukassieren.

Neben der verbalen Artikulation gibt es auch ist mehr als Faktenvermittlung nonverbale Kommunikation, u.a. die Körpersprache, die mit der Botschaft übereinstimmen sollte.

Es wird empfohlen für das Gesundheitsamt eine Risikokommunikation in Partnerschaft mit anderen Institutionen und Fachleuten (Landesamt, Universität) frühzeitig zu beginnen und nicht erst „wenn das Kind in den Brunnen gefallen ist“. Eine Voraussetzung für Vertrauensbildung in der Öffentlichkeit ist das allgemeine Ansehen des Gesundheitsamtes mit Kompetenz in Fragen zu Umwelt und Gesundheit.

Nach einer Risikokommunikation sollte immer eine Evaluation erfolgen, in der festgehalten wird, was gut und was schlecht gelaufen ist und was das nächste Mal besser gemacht werden kann.