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DOI: 10.1055/s-0030-1250284
© Georg Thieme Verlag KG Stuttgart · New York
Medikamenteneinsatz bei der kardiopulmonalen Reanimation
Publikationsverlauf
Publikationsdatum:
21. September 2010 (online)
Myokardinfarkt und Herzrhythmusstörungen sind mit ca. 80 % Anteil die führenden Grunderkrankungen, die zu einem Herz-Kreislaufstill-Stand führen. Sekundäre Herz-Kreislauf-Stillstände, z. B. induziert durch Lungenembolie, Hypoxie oder Intoxikation sind beim Erwachsenen seltener. Im pädiatrischen Bereich ist der Herz-Kreislauf-Stillstand hingegen am häufigsten die Folge einer akuten Hypoxie. Die Behandlung erfolgt nach dem ABCDEF‐Schema, wobei im Folgenden nur das D wie „Drugs“ insbesondere unter pharmakologischen Gesichtspunkten diskutiert wird. Für detaillierte Hintergrundinformationen wird auf weiterführende Literatur (internationale Reanimationsleitlinien) verwiesen.
Abkürzungen
CYP Cytochrom-P450-Enzym
INN international nonproprietary name
UAW unerwünschte Arzneimittelwirkungen
Studienlage Mit Ausnahme einer skandinavischen Studie aus dem vergangenen Jahr [JAMA 2009; 302: 2222–2229], wurden bisher keine größeren placebokontrollierten klinischen Studien an Patienten mit einem Herz-Kreislauf-Stillstand durchgeführt. In Anlehnung an die Frage, ob Fallschirme beim Sprung aus dem Flugzeug bewiesenermaßen (= placebokontrolliert) die Todesrate minimieren können [BMJ 2003; 327: 1459–1461], wird insbesondere gemäß der prinzipiellen pharmakologischen Überlegungen jedoch eine klare Empfehlung für die nachfolgend betrachteten Medikamente im Rahmen der kardiopulmonalen Reanimation gegeben.
Die medikamentöse Unterstützung umfasst
Vasokonstriktoren und Antiarrhythmika (bei Kammerflimmern).
Darüber hinaus können noch andere Pharmaka additiv indiziert sein (Tab. [1], Tab. [2]).
Tabelle 1 Medikamentöse Optionen beim Herz-Kreislauf-Stillstand und ihre Indikation. Typ Indikation Standardmedikament Vasokonstriktor jeder Herz-Kreislauf-Stillstand bei Kammerflimmern/pulsloser ventrikulärer Tachykardie Asystolie/pulsloser elektrischer Aktivität Adrenalin Antiarrhythmikum primärer Herz-Kreislauf-Stillstand bei Kammerflimmern pulsloser ventrikulärer Tachykardie Amiodaron Parasympatholytikum primärer Herz-Kreislauf-Stillstand bei Asystolie pulsloser elektrischer Aktivität Atropin Elektrolyt bei sekundärem Herz-Kreislauf-Stillstand durch Hypermagnesiämie Intoxikation mit Calciumkanalblockern Calcium Hypomagnesiämie Torsade de pointes Arrhythmie Magnesium
Tabelle 2 Medikamente1 bei der kardiopulmonalen Reanimation. Katecholaminerge Vasokonstriktoren Wirkmechanismus Aktivierung von α1-Adrenorezeptoren Wirkung Vasokonstriktion und darüber verbesserte kardiale und zerebrale Perfusion unerwünschte Arzneimittelwirkungen kardiale Ischämien, Kammerflimmern (β1-vermittelt bei Adrenalin), Hypertonie Kontraindikationen Phäochromocytom, Thyreotoxikose tachykarde Herzrhythmusstörungen Arzneimittelinteraktionen Wirkverstärkung durch L‐Thyroxin, Theophyllin, Sympathomimetika, MAO‐Hemmstoffe; Wirkabschwächung durch Alphablocker; Wirkprofilveränderung durch Betablocker Epinephrin Adrenalin, Suprarenin® Injektionslösung 1 mg/ml HWZ 3–10 min 1 : 10 verdünnt 10 ml i. v. Norepinephrin HWZ 2 min Noradrenalin, Arterenol® Injektionslösung 1 mg/ml 10 mg i. v. Vasopressin Wirkmechanismus Aktivierung von V1-Vasopressin-Rezeptoren Wirkung Vasokonstriktion und darüber verbesserte kardiale und zerebrale Perfusion unerwünschte Arzneimittelwirkungen Hyperhydratation (V2-vermittelt), Tremor, Krämpfe (V3-vermittelt), periphere Ischämien Kontraindikationen Gefäßerkrankungen, Herzinsuffizienz Vasopressin HWZ 10–35 min Pitressin® Injektionslösung 20 IE/ml (in Deutschland nicht im Handel) 40 IU i. v. Antiarrhythmika Wirkmechanismus Blockade kardialer Ionenkanäle (z. B. hERG [Amiodaron] oder Nav [Lidocain]) Wirkung Sinusrhythmusstabilisierung, antiarrhythmisch unerwünschte Arzneimittelwirkungen Arrhythmie (alle), Hyperthyreose, Tremor, Reizbarkeit (Lidocain) Kontraindikationen Schilddrüsenerkrankungen, kardiale Leitungsverzögerung (z. B. AV‐Block, Long-QT‐Syndrom), Hypokaliämie, Jodallergie (Amiodaron); AV‐Block II°/III°, Herzinsuffizienz (Lidocain) Arzneimittelinteraktionen QT‐Verlängerung durch Neuropharmaka und Erythromycin (Amiodaron); alle hypokaliämisch wirkenden Pharmaka Amiodaron HWZ 20–100 d Cordarex® Injektionslösung 150 mg 300 mg langsam titriert i. v. Lidocain HWZ 10 min (Verteilung) – 2 h (Elimination) Xylocain® Injektionslösung 1 oder 2 % 50–100 mg i. v. Parasympatholytika Wirkmechanismus Blockade muskarinerger Acetylcholinrezeptoren Wirkung Blockade der parasympathischen Ganglien, negativ chronotrope Wirkung → Herzfrequenzanstieg unerwünschte Arzneimittelwirkungen und Kontraindikationen anticholinerge Symptome (Delir, Harnverhalt, überwärmte Haut, Glaukomanfall) Tachykardie, Ileus, Myasthenia gravis Arzneimittelinteraktionen Wirkverstärkung durch anticholinerge Neuropharmaka Atropin HWZ 2–3 h Atropin Injektionslösung 0,5 mg 0,1–3 mg i. v. HWZ = Halbwertszeit 1 Handelsnamen sind beispielhaft genannt, die Liste erhebt keinen Anspruch auf Vollständigkeit.
Dr. med. Ruwen Böhm
Institut für Experimentelle und Klinische Pharmakologie, Universitätsklinikum Schleswig-Holstein, Campus Kiel
eMail: ruwen.boehm@pharmakologie.uni-kiel.de
PD Dr. med. Patrick Meybohm
Klinik für Anästhesiologie und Operative Intensivmedizin, Universitätsklinikum Schleswig-Holstein, Campus Kiel
eMail: meybohm@anaesthesie.uni-kiel.de