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DOI: 10.1055/s-0030-1249906
© Georg Thieme Verlag KG Stuttgart · New York
Strategien der häuslichen Plaquekontrolle
Publication History
Publication Date:
24 June 2010 (online)


Einführung
Es ist eine der großen Errungenschaften präventiver Aufklärungsarbeit, dass die Notwendigkeit einer häuslichen Mundpflege inzwischen gesellschaftlich weitgehend anerkannt ist. So gaben beispielsweise bei Befragungen der in der Bundesrepublik Deutschland lebenden Bevölkerung über 90 % an, dass sie 2-mal täglich für 2 Minuten die Zähne bürsten. Auch wenn sich diese Anstrengungen nicht immer in den objektiven Befunden der intraoralen Verhältnisse widerspiegeln, so zeigt es zumindest, dass das Bewusstsein geschärft wurde und die Umsetzung als soziale Norm akzeptiert ist.
Ist Plaquekontrolle noch zeitgemäß?
Im vergangenen Jahrzehnt wurden Stimmen laut, die angesichts der Fortschritte der mikrobiologischen und genetischen Diagnostik der Plaquekontrolle ihre Bedeutung absprachen. Unterstützt wurde diese Vorstellung durch die spezifische Plaquehypothese, die davon ausgeht, dass nicht die Plaque als Ganzes, sondern nur einzelne Erreger pathogen sind. Daher sei eine gezielte Diagnostik und die Beseitigung dieser pathogenen Keime als kausaler Therapieansatz einer unspezifischen Reduktion der Plaque vorzuziehen. Allerdings wird dieses Konzept zunehmend kritisch hinterfragt.
Zum einen ist der Erfolg einer gezielten Erregerbeseitigung vom mechanischen Zerstören des Biofilms abhängig, da ein intakter Biofilm über potente Abwehrmechanismen verfügt, die eine gezielte Elimination einzelner Mikroorganismen unmöglich machen.
Zum anderen gibt es vermehrt Hinweise, dass Bakterien einen erheblichen Anteil ihrer Gene umgebungsabhängig „an- oder abschalten“ können. So sind z. B. bei Porphyromonas gingivalis im Vergleich zwischen planktonischem Wachstum und dem Wachstum im Biofilm ca. ein Drittel seiner Gene zu mindestens 50 % verschieden aktiviert bzw. inaktiviert [[1]]. Dieses Verhalten wurde als ökologische Plaquehypothese postuliert [[2]], die davon ausgeht, dass die Plaque ein physiologischer und symbiontischer Bestandteil unserer Mundhöhle ist.
Merke: Erst eine Veränderung der ökologischen Rahmenbedingungen macht aus der physiologischen eine pathologische Plaque.Beispiele hierfür sind Veränderungen des Verhaltens von S. mutans im Übergang von kohlenhydratarmen zu kohlenhydratreichen Bedingungen, wobei die Säureproduktion überproportional zunimmt und keine Neutralisation und Remineralisation mehr erzielt wird [[3]]. Dieses Phänomen ist bereits seit Langem als Stephan-Kurve beschrieben. Bei den meisten Bakterien kennen wir allerdings die ökologischen Rahmenbedingungen, die ihre Virulenz beeinflussen, nicht. Der Einsatz gezielter präventiver oder therapeutischer Interventionen ist daher derzeit nicht abzusehen.
Drittens ist der Nachweis spezifischer Pathogene nicht zielführend, da bei den derzeitigen Detektionsverfahren keine Aussage über den momentanen Zustand der Bakterien getroffen werden kann. Je nach den Bedingungen im Biofilm können Mikroorganismen eine unterschiedliche Stoffwechselaktivität entwickeln oder sogar in einen Ruhezustand verfallen [[4]]. Diese Differenzierung ist nicht oder nur begrenzt nachzuweisen. Auch Varianten zwischen verschiedenen Stämmen werden nicht berücksichtigt.
Vor dem Hintergrund der ökologischen Plaquekontrolle erscheint derzeit die unspezifische und primär mechanische Reduktion des Biofilms nach wie vor als die erfolgversprechendste Strategie für die Prävention der häufigsten oralen Erkrankungen.
Merke: Die Kunst der häuslichen Zahn- und Mundpflege liegt darin, mikrobielle Beläge in Nischen möglichst effektiv anzugehen („Plaquekontrolle“), ohne die orale Mikroflora negativ zu beeinflussen und ohne die beteiligten Gewebe langfristig zu schädigen!