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DOI: 10.1055/s-0030-1249797
© Georg Thieme Verlag KG Stuttgart · New York
Medikamenteneinsatz beim akuten Koronarsyndrom
Teil 2: Innerklinische NotfalltherapiePublikationsverlauf
Publikationsdatum:
19. März 2010 (online)
In der letzten Ausgabe der Notfallmedizin up2date wurde auf die Pathophysiologie des akuten Koronarsyndroms und die präklinische Notfalltherapie mit dem Schwerpunkt Pharmakologie eingegangen. Im aktuellen Beitrag soll nun innerklinischer Einsatz von Thrombozytenfunktionshemmern und die medikamentöse Fibrinolyse vorgestellt werden. Während in der präklinischen Notfalltherapie vor allem die sofortige pharmakologische Hauptwirkung im Vordergrund steht, müssen nun auch Arzneimittelinteraktionen (AMI) und unerwünschte Arzneimittelwirkungen (UAW) verstärkt berücksichtigt werden. Darüberhinaus gelten im innerklinischen Bereich natürlich auch die gleichen Prinzipien der Analgesie/Anxiolyse sowie ggf. der Kreislaufstabilisierung wie im präklinischen Bereich.
Abb. 1 Hämostase und Angriffsorte der Antikoagulanzien. Die zelluläre Hämostase (Thrombozytenaggregation, oben im Bild) und die plasmatische Hämostase (Ausbildung eines Fibrinnetzwerks, unten im Bild) können an verschiedenen Stellen gehemmt werden (blau: Namen der Antikoagulanzien). Schwarze Pfeile: (bio-)chemische Umwandlungen, rote Pfeile: Hemmung, grüne Pfeile: Aktivierung
Thrombozytenaggregationshemmer
Eine plättchenhemmende Therapie ist nicht nur in der präklinischen Akutphase des akuten Koronarsyndroms mittels Acetylsalicylsäure notwendig, sondern auch in der nachfolgenden innerklinischen Therapiephase unverzichtbar, da Plättchenaktivierung und ‐aggregation eine wichtige pathophysiologische Rolle spielen. 3 verschiedene und sich ergänzende Therapieprinzipien mit synergistischen Effekten stehen zur Verfügung:
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Cyclooxygenase-1 Hemmung mit Acetylsalicylsäure (siehe Ausgabe 04/2009),
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Hemmung der ADP-vermittelten Plättchenaktivierung über P2Y12-Rezeptorblocker (Ticlopidin, Clopidogrel, Prasugrel),
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Aggregationshemmung mit Glykoprotein-II b/III a-Inhibitoren (Abciximab, Eptifibatide, Tirofiban).
P2Y12-Rezeptorblocker (Thienopyridine)
Clopidogrel Aus dem Prodrug Clopidogrel entsteht erst nach enteraler Resorption durch Oxidation und anschließende Hydrolyse über die Isoform 2C19 des Enzyms Cytochrom P450 (CYP 2C19) der pharmakologisch aktive Metabolit. Dieser blockiert die Bindung von ADP an dessen Rezeptor auf den Thrombozyten (P2Y12-Rezeptor), sodass die ADP-abhängige Thrombozytenaktivierung über den Glykoprotein-II b/III a-Rezeptorkomplex unterbleibt. Da die Blockierung des P2Y12-Rezeptors irreversibel ist, bleiben die Thrombozyten während ihrer gesamten Lebensdauer beeinträchtigt. Die Gerinnungsfähigkeit stellt sich erst mit der Neubildung von Thrombozyten im Laufe von 5 bis 7 Tagen wieder ein.
Da einige Protonenpumpen-Inhibitoren und Antidepressiva vom Typ der selektiven Serotonin-Reuptake-Inhibitoren (SSRIs) ebenfalls über das Enzym CYP 2C19 abgebaut werden und es kompetitiv hemmen, sind bei gleichzeitiger Behandlung der Plasmaspiegel des aktiven Clopidogrel-Metaboliten sowie die antiaggregatorische Wirksamkeit vermindert. Zudem unterliegt CYP 2C19 einem genetischen Polymorphismus. Bei „poor metabolizers“ (schlechte Metabolisierer) kann die Konkurrenz zwischen dem Protonenpumpenhemmer und Clopidogrel um CYP 2C19 die Situation zusätzlich verschärfen.
Prasugrel Prasugrel ist ein neues, oral wirksames Thienopyridin, das ein ähnliches Wirkungsspektrum wie Clopidogrel aufweist. Es ist auch ein Prodrug, aus dem der aktive Metabolit in der Leber über Cytochrome entsteht. Allerdings sind hier mehrere verschiedene Enzyme beteiligt, sodass die Hemmung einzelner Cytochrome die Bioaktivierung nicht beeinträchtigt. Prasugrel bzw. der daraus entstehende aktive Metabolit R-138727 hemmt wiederum irreversibel den P2Y12-Rezeptor für ADP. Prasugrel wirkt oral rascher und potenter als Clopidogrel. Dies erlaubt eine geringere Dosierung trotz vergleichbarer In-vitro-Aktivität des aktiven Metaboliten (= höhere Potenz). Diese pharmakodynamischen Vorzüge von Prasugrel im Vergleich zu Clopidogrel beruhen vor allem auf der Pharmakokinetik, die zu einem höheren Anteil des aktiven Metaboliten führt. Die Umsetzungsrate in den aktiven Metaboliten beträgt bei Clopidogrel nur etwa 10–15 %. Klinisch lassen sich durch Prasugrel eine bessere klinische Wirkung und eine Verminderung von Resistenzen erwarten, denen jedoch in Subgruppen vermehrte letale Blutungen als UAW entgegenstehen.
Ticlopidin sollte aufgrund seiner geringen Potenz und der Gefahr einer Agranulozytose nicht mehr verwendet werden.
Glykoprotein-II b/III a-Inhibition
Eptifibatid, Tirofiban und Abciximab Diese Substanzen hemmen Glykoprotein II b/III a, das als Heterodimer auf der Oberfläche von Thrombozyten vorkommt, und eine wichtige Bindungsstelle für Fibrinogen, von-Willebrand-Faktor und andere Adhäsionsmoleküle im Rahmen der Thrombusbildung darstellt. Alle 3 Wirkstoffe sind Vertreter unterschiedlicher Substanzklassen: Im Gegensatz zum small-molecule Tirofiban sind Abciximab (Antikörper) und Eptifibatid (Heptapeptid) biologics, müssen dementsprechend gekühlt gelagert werden und können starke Immunreaktionen auslösen. Abciximab bindet irreversibel an die Thrombozyten und hemmt deshalb – trotz seiner geringen Plasma-HWZ – für bis zu 2 Tage die Thrombozytenaggregation. Tirofiban und Eptifibatid hemmen Gp IIb/III a reversibel.
ThrombininhibitorenHeparin und Heparinoide wurden bereits in der Ausgabe 4/09 besprochen. Neuere direkte Thrombininhibitoren wie Dabigatran werden gegenwärtig als oraler Heparinersatz diskutiert, sind jedoch in der Notfallmedizin (noch) nicht zugelassen.
Fibrinolytika
Die Thrombolyse soll den Thrombus, der das Herzkranzgefäß verschlossen hat, wieder auflösen und somit die Durchblutung des Infarktgebiets wieder herstellen. Eine Wiedereröffnung gelingt in über 80 % der Fälle. Der körpereigene gewebespezifische Plasminogenaktivator (engl. „tissue-type plasminogen activator“, t-PA) ist ein Enzym, das aus den Endothelzellen der Gefäßwand freigesetzt wird und als endogener Aktivator der Fibrinolyse wirkt. Es wandelt Plasminogen direkt in Plasmin um und hemmt so die Blutgerinnung.
Alteplase Alteplase stellt eine gentechnologisch hergestellte Variante dar (recombinant tissue-type plasminogen activator, rt-PA), und kann therapeutisch zur Auflösung von Thromben genutzt werden.
Tenecteplase Der Plasminogenaktivator Tenecteplase wird ebenfalls gentechnisch hergestellt, jedoch wurde durch eine Veränderung an der Aminosäurensequenz die Resistenz gegenüber Plasminogen-Aktivator-Inhibitor 1 und die Fibrinspezifität erhöht, sodass das Medikament als einmalige Bolusgabe appliziert wird.
Streptokinase Von den aus Bakterien isolierten Plasminogenaktivatoren ist Streptokinase zur Therapie nach Myokardinfarkt zugelassen, welche jedoch die Gefahr von allergischen Reaktionen durch Antistreptokinase-Antikörper, v. a. nach Streptokokkeninfekten oder vorheriger Streptokinase-Anwendung (> 5 Tage, < 1 Jahr).
Zur Verhinderung einer Reokklusion des Gefäßes durch die thrombogene Wirkung der Fibrinspaltprodukte ist bei allen Fibrinolytika eine Vorbehandlung mit einem Bolus von 5000 IE unfraktioniertem Heparin notwendig.
Fazit Nach einem Herzinfarkt werden v. a. Clopidogrel + ASS zur Thrombozytenaggregationshemmung eingesetzt. Wichtige AMI sind Protonenpumpenhemmer und SSRI (Clopidogrel); wichtige Kontraindikationen Nierenfunktionsstörungen (Clopidogrel, ASS); wichtige UAW Agranulozytose/Anämie (Clopidogrel, Prasugrel). Bei geplanter PTCA können Glykoprotein II b/III a-Antagonisten gegeben werden. Wichtige UAW sind Immunreaktionen (Eptifibatid, Abciximab). Eine Lysetherapie kann mit dem Biologic Tenecteplase durchgeführt werden. Wichtige Kontraindikationen sind Blutungen/Verletzungen/Operationen in den letzten 2–6 Monaten.
Dr. med. Patrick Meybohm
Klinik für Anästhesiologie und Operative Intensivmedizin
Universitätsklinikum Schleswig-Holstein, Campus Kiel
eMail: meybohm@anaesthesie.uni-kiel.de
Dr. med. Ruwen Böhm
Institut für Experimentelle und Klinische Pharmakologie
Universitätsklinikum Schleswig-Holstein, Campus Kiel
eMail: ruwen.boehm@pharmakologie.uni-kiel.de