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DOI: 10.1055/s-0030-1248517
© Georg Thieme Verlag KG Stuttgart · New York
Lebenslange neuroleptische Rezidivprophylaxe bei Schizophrenie
Lifelong Relapse Prevention with Antipsychotics in SchizophreniaPublication History
Publication Date:
27 August 2010 (online)
Pro
Die wesentlichen Ziele der langfristigen oder sogar lebenslangen neuroleptischen Rezidivprophylaxe bei Patienten mit einer Schizophrenie sind vor allem die konsequente Symptomremission, die Verhinderung einer progredienten Symptomverschlechterung und die Rezidivprophylaxe. Bei dieser lebenslangen Therapie ist ein integratives Therapiekonzept [1], welches individuell auf den Patienten abgestimmt ist, mit den Bestandteilen Pharmakotherapie, Psychotherapie, Familientherapie und Psychoedukation der entscheidende Schlüssel zum Erfolg. Nach der Erstmanifestation ist die langfristige Therapie über die ersten beiden Therapiejahre hinaus im Einzelfall zu diskutieren, jedoch muss bei einem Rezidiv oder multiplen Rezidiven der Erkrankung, was sicherlich der Mehrheit der Patienten entspricht, eine lebenslange Therapie dringend in Betracht gezogen werden [2].
Ältere Arbeiten konnten zeigen, dass es selbst nach einem jahrelangen symptomfreien Intervall unter konsequenter antipsychotischer Medikation (2–5 Jahre) nach Absetzen dieser Medikation mit hoher Wahrscheinlichkeit zu einem Rückfall kommt [3]. Durch ein Rezidiv kann es zu sehr negativen Konsequenzen für den Betroffenen, mit Zunahme der positiven wie auch der negativen Symptomatik und z. T. erhöhten Neuroleptikadosierungen kommen. Ebenfalls drohen Verlängerungen der stationären Behandlungen mit den bekannten psychosozialen und sozioökonomischen Folgen.
Neuroleptika haben die vielversprechendsten Effekte
Neben intensiver Arbeit an der Compliance des Patienten haben Neuroleptika die größte Effektivität in der Rezidivprophylaxe. Diese rezidivprophylaktische Wirkung der Antipsychotika wurde mittlerweile in einer Vielzahl von Studien innerhalb der letzten 50 Jahre mehrfach gezeigt [1] [4]. Bemerkenswert ist hierbei, dass eine kontinuierliche und langfristige, d. h. auch lebenslange, antipsychotische Therapie das Rezidivrisiko um knapp 60 % verringern kann [5]. Selbst bei Patienten mit einer schizophrenen Ersterkrankung, bei denen nach 1-jähriger Depotbehandlung ein fachärztlich begleiteter Absetzversuch unternommen wurde, betrug die Rezidivrate 78 % nach einem Jahr und 96 % nach 2 Jahren (Kriterium: Zunahme der psychotischen Symptome auf der Brief Psychiatric Rating Scale) [6]. Aus diesen Gründen hat die Empfehlung, dass nach einem ersten Rezidiv eine medikamentöse antipsychotische Behandlung kontinuierlich für 2–5 Jahre (und nach multiplen Rezidiven gegebenenfalls lebenslang) erfolgen sollte, Einzug in die nationalen und internationalen Therapierichtlinien (z. B. [2]) gefunden und sollte auch in der klinischen Anwendung dringend Beachtung finden.
Risiko-Nutzen-Abwägung
Die lebenslange neuroleptische Rezidivprophylaxe bei der Schizophrenie steht im Spannungsfeld der medizinisch evidenten Rückfallprophylaxe, dem Nebenwirkungsprofil der Typika (z. B. extrapyramidale Bewegungsstörungen) und Atypika (z. B. metabolische Störungen) im Langzeitverlauf, dem individuellen Krankheitsverlauf und der Wünsche und Bedürfnisse des betroffenen Patienten. Die Auswahl des Präparates, die Höhe der Dosierung und die Galenik (orale Medikation versus Depotmedikation) müssen dem individuellen Einzelfall angepasst werden.
Wie behandeln?
Aus heutiger Sicht sprechen die Daten eher für eine kontinuierliche Langzeittherapie mit einer im Vergleich zur Akutphase niedrigeren Neuroleptikadosierung und gegen die intermittierende Therapie mit Anpassung der Dosierung bei Frühzeichen der Erkrankung. Die Problematik ist jedoch, dass aktuelle, methodisch einwandfreie Studien zu dieser Thematik fehlen. Eine Metaanalyse aus dem Jahre 1996 konnte zeigen, dass die intermittierende Therapie mit Neuroleptika mit einer doppelt so hohen Rückfallrate im Vergleich zu der kontinuierlichen Therapie unterlegen ist [7].
Die Dosierung innerhalb dieser lebenslangen Therapie sollte zwischen 300 und 600 mg Chlorpromazinäquivalente liegen, denn Dosierungen unterhalb dieses Bereiches erhöhen wiederum das Rückfallrisiko [8]. Wie in der Akutbehandlung werden auch in der lebenslangen Behandlung nach heutiger Sicht atypische Substanzen vor dem Hintergrund der einzelnen Nebenwirkungsprofile den typischen Substanzen vorgezogen.
Compliance und Nebenwirkungen
Auch eine optimal gestaltete Langzeitbehandlung kann nur wirken, wenn der betroffene Patient die Medikation auch wie vereinbart einnimmt. Ein wesentlicher Punkt für das schizophrene Rezidiv ist die Noncompliance des Patienten, denn ungefähr 2 Drittel der Patienten halten sich nicht an das verordnete Therapieregime [9]. Diese kann sich durch ein vollständiges Absetzen der Medikation, aber auch durch eine selbstständige Reduktion der Medikamente (partielle Noncompliance), manifestieren.
Ein weiterer wesentlicher Punkt in der lebenslangen Behandlung ist ein intensives Monitoring (beginnende Dyskinesien, Gewichtszunahme, Laborveränderungen) sowohl der substanzspezifischen Nebenwirkungen als auch der Veränderungen in der Psychopathologie (Frühwarnzeichen) des Betroffenen. Aus diesen Gründen muss eine lebenslange neuroleptische Therapie bei der Schizophrenie stets fachärztlich begleitet werden, um Rezidive und unerwünschte Wirkungen zu vermeiden.
Fazit
Die Schizophrenie ist eine häufig chronifizierende Erkrankung, die zu einer deutlichen Beeinträchtigung der Lebensqualität für Betroffene und einer enormen Belastung der Angehörigen führt. Da diese Erkrankung bereits im jungen Erwachsenenalter auftritt und häufig das Erlangen einer ausreichenden beruflichen Qualifikation, einer langfristigen Berufstätigkeit und den Aufbau stabiler Partnerschaften verhindert, muss die Therapie effektiv und andauernd sein. Durch jedes Rezidiv mit erneuter Hospitalisierung kommt es bei den Betroffenen zu einer massiven Störung der beruflichen und sozialen Entwicklung.
Durch eine lebenslange neuroleptische Behandlung ist es möglich, die Zahl dieser Rezidive gering zu halten und den betroffenen Patienten ein symptom- und beschwerdefreies Leben zu ermöglichen. Bei vielen nicht psychiatrischen Erkrankungen, wie beispielsweise der arteriellen Hypertonie und verschiedenen Autoimmunerkrankungen, werden durch eine lebenslange pharmakologische Therapie außerordentliche Erfolge verzeichnet. Dieses sollte auch das Ziel der neuroleptischen Therapie bei der Schizophrenie sein.
Aus diesen Gründen und der umfassenden Evidenz für diese Therapieform, die Einzug in die nationalen und internationalen Behandlungsrichtlinien gefunden hat, ist der Verzicht auf eine lebenslange neuroleptische Therapie unter Berücksichtigung der intraindividuellen Bedürfnisse und Nebenwirkungen des jeweiligen Patienten nicht mehr zu begründen.
Literatur
- 1 Lambert M, Naber D. Pharmakotherapie der Schizophrenie. Taschenatlas spezial. Stuttgart; Thieme 2009
- 2 Deutsche Gesellschaft für Psychiatrie, Psychotherapie und Nervenheilkunde DGPPN. Leitlinienprojektgruppe: W. Gaebel (federführend), P. Falkai, S. Weinmann, T. Wobrock .S3 Praxisleitlinien in Psychiatrie und Psychotherapie. Band 1 – Behandlungsleitlinie Schizophrenie. Darmstadt; Steinkopff-Verlag 2006
- 3 Cheung H K. Schizophrenics fully remitted on neuroleptics for 3–5 years – to stop or continue drugs?. Br J Psychiatry. 1981; 138 490-494
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- 5 Gilbert P L, Harris M J, McAdams L A. et al . Neuroleptic withdrawal in schizophrenic patients. A review of the literature. Arch Gen Psychiatry. 1995; 52 173-188
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Dr. med. Alkomiet Hasan
Zentrum für Psychosoziale Medizin
Abteilung für Psychiatrie und Psychotherapie
Universitätsmedizin Göttingen
Von-Siebold-Straße 5
37075 Göttingen
Email: ahasan@gwdg.de
Priv.-Doz. Dr. med. Thomas Wobrock
Zentrum für Psychosoziale Medizin
Abteilung für Psychiatrie und Psychotherapie
Universitätsmedizin Göttingen
Von-Siebold-Straße 5
37075 Göttingen
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