B&G Bewegungstherapie und Gesundheitssport 2010; 26(3): 91
DOI: 10.1055/s-0030-1247367
EDITORIAL

© Hippokrates Verlag in MVS Medizinverlage Stuttgart GmbH & Co. KG

Editorial

G. Huber
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Publication Date:
24 June 2010 (online)

Liebe Leserinnen, liebe Leser, 

ob Sie einen Baum fällen, ein entscheidendes Tor schießen oder sich den Rücken kratzen: Alle menschlichen Bewegungen beruhen letztendlich auf dem einfach erscheinenden Mechanismus der Muskelkontraktion. Muskeln können nicht drücken und nicht schieben; Kraft entfaltet sich einzig durch Kontraktion. 

Auch für den Arbeitsbereich der Sporttherapie sollten wir uns klarmachen, dass die Gesundheitswirkung zwar durch ein bio-psycho-soziales Bündel von Wirkmechanismen hervorgerufen wird. Diese beruhen ihrerseits aber auch auf Muskelkontraktion. Durch Ausdauertraining verbessern wir die Fähigkeit, diese Kontraktionen möglichst ökonomisch und damit möglichst lange ausüben zu können; durch Schnelligkeitstraining optimieren wir die Fähigkeit, Kontraktionen schnell abrufen zu können. Vergleichbares gilt für die Koordination. Dabei ist die Fähigkeit der kontraktilen Proteine entscheidend, um das Zusammenspiel der einzelnen Muskelgruppen effektiv zu gestalten. 

Muskulatur ist nicht nur Grundlage von Bewegung, sondern sie ist eine grundlegende Gesundheitsressource. 

Einen ersten überzeugenden Beleg dafür lieferte die Untersuchung von Fiatarone und Evans aus dem Jahr 1990. Eine Gruppe im Alter zwischen 86 und 96 Jahren steigerte in nur acht Wochen aufgrund von Kräftigungstraining die Kraftleistung um 174 %. 

Allerdings überrascht es, dass die Evidenz für das Krafttraining erst in den letzten Jahren Einzug in wissenschaftliche Studien hielt. 

Eine Untersuchung von Ruiz et al. an über 8000 Männern über einen Zeitraum von mehr als 18 Jahren zeigt, dass mit sinkender Muskelkraft das Sterberisiko dramatisch ansteigt. Das gilt unabhängig von der Ausdauerleistungsfähigkeit und auch für jede Todesursache. Ein überaus deutlicher Zusammenhang findet sich für die Todesursache Krebs. Fehlendes Kraftniveau ist ein Prädiktor für eine höhere Krebssterblichkeit oder umgekehrt. 

Vor dem Hintergrund dieser für uns wichtigen Befunde soll das vorliegende Themenheft einen Überblick darüber bieten, welchen Stellenwert das Muskeltraining in den einzelnen Indikationsgebieten hat. 

Die Sporttherapie konzentrierte sich in den vergangenen Jahren vornehmlich auf das Ausdauertraining – insbesondere bei Indikationen der inneren Erkrankungen. Die Evidenzbasierung zum Muskeltraining sollte jedoch dazu anregen, die Muskelkraft innerhalb der sport- und bewegungstherapeutischen Konzepte angemessen zu berücksichtigen. 

Diese Ausgabe von „Bewegungstherapie und Gesundheitssport“ soll deshalb verdeutlichen helfen, dass Kräftigung und Koordination nicht nur eine Intervention in der orthopädischen Rehabilitation sind. Vielmehr ist im Sinne „einer Gesundheitsressource Muskelkraft“ der Stellenwert des Muskeltrainings auch in der Prävention unverzichtbar. 

Ihr
Gerhard Huber