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DOI: 10.1055/s-0029-1246032
© Georg Thieme Verlag KG Stuttgart · New York
Arzneimitteltherapiesicherheit
Safety of Drug TherapyPublikationsverlauf
Publikationsdatum:
04. Februar 2011 (online)


In der Allgemeinbevölkerung sind mindestens 3 % aller Todesfälle auf unerwünschte Arzneimittelwirkungen (UAWs) zurückzuführen [1]. Bei hospitalisierten Patienten stellen UAWs die 4. bis 7.-häufigste Todesursache dar [2] und sind ein wesentlicher Kostenfaktor im Gesundheitswesen [3]. Von den als prinzipiell vermeidbar angesehenen UAWs geht etwa die Hälfte auf Fehler im Rahmen der Verordnung zurück, d. h. auf ein falsches Medikament, eine falsche Dosierung oder nicht beachtete Interaktionen und Kontraindikationen [4]. Aus diesen Gründen werden datenbankbasierte Softwarelösungen (Computerized Physician Order Entry – CPOE) entwickelt, die darauf abzielen, die Arzneimitteltherapiesicherheit zu verbessern [5]. In diesem Heft stellen Weih und Mitarbeiter [6] dar, dass eine Softwarelösung kritische Medikamentenkombinationen und Risikosituationen für unerwünschte Nebenwirkungen bei stationär psychiatrisch behandelten Patienten identifizieren und damit vermeiden kann. Aufgrund der oben genannten alarmierenden Daten ist es sinnvoll, große Wissensdatenbanken zu UAWs und Arzneimittelinteraktionen in Krankenhausinformationssysteme zu integrieren und somit den verschreibenden Arzt gezielt zu unterstützen. Die Erreichung dieses Zieles wäre ein großer Meilenstein für unser Gesundheitssystem.
Zahlreiche Berichte in der Literatur zeigen klar, dass solche Systeme zur Optimierung der Arzneimitteltherapiesicherheit zwar einen Schritt in die richtige Richtung darstellen, aber immer noch kritische Defizite aufweisen, sowohl bei der Benutzerfreundlichkeit wie auch bei der klinischen Relevanz, Vollständigkeit und Richtigkeit der angebotenen Informationen [7] [8] [9]. Ein wesentliches Problem besteht darin, dass manche seltenen UAWs oder risikobehaftete Interaktionen erst nach vielen Anwendungsjahren eines Medikaments überhaupt erst bekannt werden. Zukünftige CPOE-Lösungen sollen deshalb UAWs und kritische Interaktionen vorhersagen, noch bevor sie empirisch ermittelt worden sind. Dies ist mit chemoinformatischen Methoden möglich. Die Chemoinformatik ist ein schnell wachsendes Wissenschaftsgebiet zwischen Chemie, Biologie, Pharmazie und maschinellen Lernverfahren [10], von dem die praktische Medizin noch kaum etwas bemerkt hat. Mit chemoinformatischen Methoden können heute vielfältige Eigenschaften von Molekülen berechnet werden; dazu gehören die Löslichkeit einer Substanz in Wasser oder Fettgewebe, Voraussagen zur oralen Bioverfügbarkeit eines Medikaments [11] oder zu Interaktionen mit verstoffwechselnden Enzymen [12]. Ähnlichkeiten zwischen Medikamenten können quantitativ beschrieben werden und daraus wahrscheinliche Ähnlichkeiten des Wirkungsspektrums gezogen werden. Dafür stehen inzwischen auch leistungsfähige und kostenfreie Online-Angebote, wie PubChem, zur Verfügung [13] [14] [15]. Mit chemoinformatischen Methoden können völlig neue Medikamente schneller entwickelt werden (z. B. [16]) oder auch für schon bekannte Medikamente neue Wirkungsmechanismen und bisher unbekannte UAWs in silico, also allein mithilfe eines Computers, identifiziert werden [17]. Die Vision liegt also in einem CPOE-System, das alle schon beschriebenen und bekannten Arzneimittelwirkungen und -wechselwirkungen berücksichtigt und zusätzlich Risikosituationen aufgrund chemoinformatischer Modelle vorhersagt.
Prof. Dr. J. Kornhuber