Suchttherapie 2009; 10(4): 152-153
DOI: 10.1055/s-0029-1242740
Editorial

© Georg Thieme Verlag KG Stuttgart · New York

Jugendsurveys zum Substanzkonsum in Deutschland: hohe Nützlichkeit, geringe Nutzung

Youth Surveys on Substacne Use in Germany: High Usefulness, Low UseL. Kraus1 , D. Piontek1
  • 1IFT Institut für Therapieforschung, München
Further Information

Publication History

Publication Date:
30 November 2009 (online)

Weltweit werden jedes Jahr Millionen von Menschen zu ihrem Verhalten, ihren Einstellungen, Meinungen, Erwartungen oder Motiven befragt. Solche Umfragen, im modernen Sprachgebrauch auch Surveys genannt, haben einen hohen gesellschaftspolitischen Stellenwert, geben sie doch Auskunft über Aspekte des menschlichen Erlebens und Verhaltens, die ohne dieses Instrument nur schwer zu beobachten bzw. mit hohem Aufwand aus dem Verhalten zu erschließen wären. Unter kontrollierten wissenschaftlichen Bedingungen durchgeführt, sind Surveys in der Lage, generelle Aussagen zu machen über das Verhalten oder die Motive einer Gruppe von Menschen oder der ganzen Bevölkerung.

Survey-Daten liefern insbesondere Informationen über das Ausmaß und die Entwicklung sozialer und gesundheitsbezogener Indikatoren in der Bevölkerung. Der Konsum von und die Einstellungen zu Tabak, Alkohol und illegalen Drogen spielen dabei eine zentrale Rolle. Vor diesem Hintergrund werden in Deutschland seit den 70er Jahren entsprechende Studien unter Jugendlichen und jungen Erwachsenen durchgeführt. Von diesen regelmäßig wiederholten Befragungen wissen wir zum Beispiel, dass der Konsum von Cannabis über die Jahre kontinuierlich zugenommen hat, Anfang des Jahrhunderts ein Maximum erreicht hat und seit dem leicht zurückgeht [1] [2].

In den 90er Jahren entwickelten sich zudem Ansätze, nationale Ergebnisse zum Substanzkonsum (European School Survey Project on Alcohol and Other Drugs [ESPAD]) und zum Gesundheitsverhalten (Health Behaviour in School-aged Children [HBSC]) von Jugendlichen international gegenüberzustellen. Mit diesem Ansatz wurden vergleichende Analysen nicht nur zu personenbezogenen Risikofaktoren des Substanzkonsums sondern auch zu kulturellen, sozialen und gesundheitspolitischen Einflüssen auf das Konsumverhalten möglich. So konnten beispielsweise ter Bogt et al. [3] zeigen, dass die Verfügbarkeit von Cannabis und das Drogenklima in der Gesellschaft mit der Verbreitung des Konsums assoziiert sind und Prävalenz-Unterschiede zwischen Ländern erklären können.

Solche internationalen Initiativen haben auch dazu beigetragen, die methodische Qualität der nationalen Studien zu verbessern, die Datenerhebung zu optimieren und somit die Validität und Reliabilität der Ergebnisse zu erhöhen. Allerdings bleibt trotz dieser Entwicklungen eine wesentliche Einschränkung von Survey-Daten bestehen. Durch das querschnittliche Design der Studien sind kausale Schlussfolgerungen über den Zusammenhang der erhobenen Variablen nicht möglich. Für diese Zwecke sind prospektive Längsschnittdaten nötig, wie sie in Deutschland beispielsweise durch die Studie Early Developmental Stages of Psychopathology (EDSP) verfügbar sind [4].

Trotz dieser methodischen Einschränkung liefern Querschnittserhebungen eine wichtige Datenbasis zu gesundheitlichen und substanzspezifischen Faktoren von Kindern (Kinder- und Jugendgesundheitssurvey (KiGGS) [5]) und Jugendlichen (ESPAD, HBSC), die zunehmend in die nationale und internationale Gesundheitsberichterstattung einbezogen wird (z. B. durch das European Monitoring Centre for Drugs and Drug Addiction (EMCDDA)). Das Potenzial dieser Daten ist dabei jedoch bei weitem nicht ausgeschöpft. Analytische Untersuchungen auf der Grundlage von Daten aus Jugendsurveys sind in Deutschland eher die Ausnahme als die Regel.

Ausgangpunkt des vorliegenden Themenhefts ist daher die Beleuchtung des Substanz- bzw. Cannabiskonsums aus der Perspektive der unterschiedlichen inhaltlichen und methodischen Ansätze deutscher Befragungen zum Substanzkonsum und Gesundheitsverhalten von Kindern und Jugendlichen. Beiträge aus den klassischen Surveys ESPAD und HBSC werden dabei ergänzt um Daten eines internetbasierten Selbsttests („Cannabis Check”). So untersuchen Ottova et al. [6] die Auswirkungen des regelmäßigen Tabak-, Alkohol- und Cannabiskonsums auf die subjektive Lebensqualität von Jugendlichen und berücksichtigen dabei insbesondere die Rolle des familiären Wohlstands und des sozialen Umfelds. Piontek et al. [7] beschreiben das Ausmaß cannabis-bezogener Probleme und identifizieren Faktoren, die die Entwicklung problematischer Konsummuster vorhersagen. Im Beitrag von Jonas et al. [8] kommen clusteranalytische Verfahren zum Einsatz, um unterschiedliche Konsummuster bei Nutzern eines interaktiven Selbsttests zu explorieren und zu beschreiben. Die Ergebnisse aller drei Studien haben wichtige Implikationen für die Prävention von substanz-bezogenen Störungen, da sie Risikogruppen unter den Konsumenten aufzeigen, die von spezifischen Frühinterventionen besonders profitieren könnten.

Literatur

  • 1 Bundeszentrale für gesundheitliche Aufklärung. .Die Drogenaffinität Jugendlicher in der Bundesrepublik Deutschland 2008. Alkohol-, Tabak- und Cannabiskonsum. Köln: Bundeszentrale für gesundheitliche Aufklärung 2008
  • 2 Kraus L, Pabst A, Steiner S. Die Europäische Schülerstudie zu Alkohol und anderen Drogen 2007 (ESPAD): Befragung von Schülerinnen und Schülern der 9. und 10. Klasse in Bayern, Berlin, Brandenburg, Hessen, Mecklenburg-Vorpommern, Saarland und Thüringen. IFT-Berichte Bd. 165. München: IFT Institut für Therapieforschung 2008
  • 3 ter Bogt T, Schmid H, Gabhainn SN. et al . Economic and cultural correlates of cannabis use among mid-adolescents in 31 countries.  Addiction. 2006;  101 241-251
  • 4 Wittchen U, Fröhlich C, Behrendt S. et al . Cannabis use and cannabis use disorders and their relationship to mental disorders: A 10-year prospective-longitudinal community study in adolescents.  Drug Alcohol Depend. 2006;  88S S60-S70
  • 5 Lampert T, Thamm M. Tabak-, Alkohol- und Drogenkonsum von Jugendlichen in Deutschland. Ergebnisse des Kinder- und Jugendgesundheitssurveys (KIGGS).  Bundesgesundheitsblatt, Gesundheitsforschung, Gesundheitsschutz. 2007;  50 600-608
  • 6 Ottova V, Warich J, Erhart M. et al . Der Zusammenhang zwischen Alkohol-, Tabak- und Cannabiskonsum und deren Auswirkung auf die Lebensqualität von Jugendlichen: Ergebnisse aus dem Deutschen HBSC Survey.  Suchttherapie. 2009;  10 154-161
  • 7 Piontek D, Kraus L, Pabst A. et al . Verbreitung und Einflussfaktoren cannabis-bezogener Probleme bei Jugendlichen Ergebnisse der Europäischen Schülerstudie zu Alkohol und anderen Drogen (ESPAD) in Deutschland.  Suchttherapie. 2009;  10 162-168
  • 8 Jonas B, Tossmann P, Lang P. et al . Konsummuster von Cannabis unter Nutzern eines internetbasierten Selbsttests zur Suchtprävention.  Suchttherapie. 2009;  10 169-175

Korrespondenzadresse

PD Dr. L. Kraus

Institut für Therapieforschung

Parzivalstraße 25

80804 München

Email: Kraus@ift.de

    >