Rehabilitation (Stuttg) 2009; 48(6): 326-334
DOI: 10.1055/s-0029-1241879
Originalarbeit

© Georg Thieme Verlag KG Stuttgart · New York

Der ältere Patient in der Rehabilitation – Probleme und Bedürfnisse

Bestandsaufnahme in der orthopädischen RehabilitationThe Elderly Patient During Medical Rehabilitation – Problems and NeedsAn Appraisal of Orthopaedic RehabilitationR. Deck1 , S. Richter1 , A. Hüppe1
  • 1Institut für Sozialmedizin des Universitätsklinikums Schleswig-Holstein, Lübeck
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Publikationsverlauf

Publikationsdatum:
12. Januar 2010 (online)

Zusammenfassung

Allen Statistiken zufolge wird die Bevölkerung in Deutschland immer älter. Eine veränderte gesellschaftliche Altersverteilung schlägt sich auch in der Alterszusammensetzung in Rehabilitationskliniken nieder. Ältere Rehabilitanden weisen krankheitsspezifisch und krankheitsassoziiert eine andere Beschwerdelast auf als jüngere Versicherte. Ein speziell auf ältere Rehabilitanden zugeschnittenes Rehabilitations- und Therapieangebot ist naheliegend und könnte für den längerfristigen Erfolg der Rehabilitation – im Sinn der Optimierung einer längerfristigen Teilhabe am beruflichen und gesellschaftlichen Leben – erforderlich sein. Der vorliegende Beitrag beschäftigt sich mit der Frage nach den spezifischen Erwartungen und Zielen von älteren Versicherten über 55 Jahre, ihren gesundheitsbezogenen Problemen und dem rehabilitativen Therapieangebot für diese Gruppe. Anhand der Daten von 1 008 Rehabilitationspatienten der häufigsten Reha-Indikation Orthopädie wird der Frage nachgegangen, ob hinsichtlich der Inanspruchnahme der medizinischen Rehabilitation, der rehabilitativen Versorgung, des Rehabilitationserfolgs und der Zufriedenheit mit der Reha-Maßnahme altersspezifische Unterschiede festzustellen sind.Die vorliegenden Daten zeigen, dass ältere Rehabilitanden spezifische Problemlagen aufweisen und hier auch deutlich stärker belastet sind. Allerdings treten sie die Rehabilitation mit geringeren bzw. eher hemmenden Erwartungen an, in ihren Reha-Zielen fokussieren sie primär auf ihre dominanten gesundheitlichen Belastungen. Das Rehabilitationsprogramm und Therapieangebote scheinen sich aktuell nicht an spezifischen Bedürfnissen der älteren Patienten zu orientieren, es zeigt sich vielmehr eine gewisse Gleichförmigkeit der Angebote. Ältere Rehabilitanden profitieren von der Rehabilitation nicht in dem Maße wie jüngere. Ihre Einstellungen sind stark von Rentenerwartungen geprägt, entsprechend hoch ist bei ihnen das Risiko, aus dem Beruf auszuscheiden. Ein auf ältere Rehabilitanden ausgerichtetes Rehabilitationsprogramm sollte die spezifischen Belastungen und Erwartungen von älteren Rehabilitanden frühzeitig aufgreifen und für sie tragbare Lösungen aufzeigen. Hilfreich und unterstützend könnte eine stärkere Zusammenarbeit und Einbindung des Hausarztes sein. Weitergehende konkrete Empfehlungen werden in einem aktuellen Forschungsvorhaben ausgearbeitet.

Abstract

The German population faces an increasing proportion of the elderly. These changes are also reflected in the age composition seen in clinics for medical inpatient rehabilitation. The disease-related discomforts of elderly rehabilitants differ from the troubles faced by younger age-groups. Age-specific rehabilitation programmes and therapies play a key role in enabling long-term participation in occupational and societal life. This article explores age-specific expectations and aims towards medical rehabilitation among members of statutory pension funds aged 55 and above, their health-related problems and the status-quo of rehabilitative programmes. Using the data of 1 008 patients of orthopaedic medical inpatient rehabilitation, we assessed age-specific differences in the utilisation, provision and success of rehabilitation programmes, and in the satisfaction with rehabilitative measures. The data indicate distinctive health-related problems and higher strains among elderly rehabilitants. However, they enter the rehabilitation process with less and rather impeding expectations, their rehabilitation aims primarily focussing on their dominant health problems. Current medical inpatient rehabilitation programmes and treatments seem to lack patient-orientation, obviously they do not address the specific needs of the elderly. Instead of serving individual needs, the rehabilitative treatments seem to be administered evenly across all patients. Compared to younger age-groups, older patients benefit less from rehabilitation programmes. Their expectations concentrate very much on retirement, thus increasing their risk to retire from work. A patient-centred rehabilitation programme should at an early stage take on the specific strains and expectations of elderly rehabilitants and develop manageable solutions. The process could be supported by stronger involvement of and cooperation with the patient's general practitioner. Further suggestions are being developed by an ongoing research project.

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1 Bevölkerungsvorausberechnungen haben Modellcharakter. Sie liefern Schätzungen, wie sich die Bevölkerungszahl und der Altersaufbau der Bevölkerung unter bestimmten Annahmen und vorbehaltlich unvorhersehbarer Ereignisse (z. B. Seuchen, Kriege oder Naturkatastrophen) entwickeln werden

2 Siehe unter:epp.eurostat.ec.europa.eu (letzter Zugriff: 26.8.2009).

3 Siehe unter: www.deutsche-rentenversicherung.de/nn_15142/SharedDocs/de/Inhalt/04__Formulare__Publikationen/03__publikationen/Statistiken/Statistik__B_C3_A4nde/statistikband-rentenbestand__pdf.html.(letzter Zugriff: 26.8.2009).

4 Siehe unter: www.deutsche-rentenversicherung.de/nn_111648/SharedDocs/de/Inhalt/Zielgruppen/01__sozialmedizin__forschung/02__qualitaetssicherung/dateianh_C3_A4nge/E3__ Rehabilitandenbefragung/Fragebogen__Somatik__med__Reha__2007__pdf.html (letzter Zugriff: 15.5. 2009)

Korrespondenzadresse

Dr. Ruth Deck

Universitätsklinikum

Schleswig-Holstein

Campus Lübeck

Institut für Sozialmedizin

Ratzeburger Allee 160

Haus 50

23538 Lübeck

eMail: ruth.deck@uk-sh.de