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DOI: 10.1055/s-0029-1241075
© Georg Thieme Verlag KG Stuttgart ˙ New York
Biopharmazeutika - Chancen und Risiken
Publication History
Publication Date:
10 September 2009 (online)
Biopharmazeutika haben ein wesentlich höheres Immunogenitätspotenzial als synthetisch gewonnene Medikamente. Erst kürzlich erregten PRCA-Fälle bei einer Biosimilar-Studie erneut Aufsehen. Prof. Dr. Wolfgang Jelkmann im Gespräch über Chancen und Risiken der Biotechnologie.
? Worin unterscheiden sich biotechnologisch hergestellte Produkte ("Biopharmazeutika") von herkömmlichen pharmazeutischen Produkten?
Prof. Dr. Wolfgang Jelkmann: Biopharmazeutika sind Arzneimittel, die mit Hilfe eines oder mehrerer der folgenden biotechnologischer Verfahren hergestellt werden:
rekombinante DNA kontrollierte Genexpression Antikörper-Methoden
Biopharmazeutika haben eine große molekulare Masse und eine komplexe 3-dimensionale Struktur. Damit unterscheiden sie sich wesentlich von den herkömmlichen synthetisch gewonnen Medikamenten. In der Regel sind Biopharmazeutika Proteine oder große Polypeptide - und ihre Wirksamkeit hängt von der korrekten Struktur und Faltung des Proteins ab, das heißt von der Primärstruktur (Aminosäuresequenz), der Sekundärstruktur (Faltungen wie a-Helix oder ß-Faltblatt) und von der Tertiärstruktur (räumlicher Aufbau). Letztere ist besonders kritisch, da Veränderungen der 3-dimensionalen Struktur zur Aggregation führen können.
Viele Biopharmazeutika sind Glykoproteine, deren Glykosylierungsmuster unterschiedlich sein können (Isoformen). Die Glykosylierungsmuster hängen unter anderem von den Produktionsbedingungen (Zellkulturtechnik und Reinigungsverfahren) ab.
? Wie muss man sich diese Produktion von Biopharmazeutika vorstellen - und was macht den Herstellungsprozess so komplex?
Jelkmann: Herkömmliche Pharmazeutika werden chemisch synthetisiert, während gentechnologisch hergestellte Biopharmazeutika von lebenden Zellen gebildet werden. Die Zellen sind mit einem Gen transfiziert, welches für das "Wunschprotein" codiert. Die transfizierten Zellen, die sogenannten Wirtszellen, werden in großen Bioreaktoren gezüchtet und produzieren entsprechend dem genetischen Code dann das Wunschprotein. Je nach Wirtszelle wird dieses Wunschprotein in das Zellkulturmedium sezerniert oder verbleibt im Falle von Bakterien intrazellulär, sodass die Zellen "aufgeschlossen" werden müssen.
In jeden Fall muss der Wirkstoff aus dem Zellkulturüberstand oder dem Zell-Lysat isoliert werden, was einen kritischen Schritt im Herstellungsprozess darstellt. Es gibt bei der Gewinnung von Biopharmazeutika mehrere solcher sensiblen Punkte, wie zum Beispiel die Wahl der Wirtszelle, die Transfektion der Wirtszelle, die Kultur der Wirtszelle oder das verwendete Zellkulturmedium. Mit einer Vielzahl von chromatografischen Reinigungsschritten muss abgesichert werden, dass andere Stoffe, die die Zellen produzieren oder die im Kulturmedium enthalten sind, dann auch in den Arzneimittel enthalten bleiben, wie beispielsweise andere Proteine, die die Zellen sezernieren, oder Nukleinsäuren, die die Zellen enthalten.
? Wie stellen Hersteller von biotechnologisch produzierten Medikamenten eine gleichbleibende Qualität sicher?
Jelkmann: Gentechnologisch gewonnene Medikamente werden in Deutschland seit 1982 - Insulin war das erste - eingesetzt, und die großen Biotechnologiefirmen haben in dieser Zeit natürlich auch ihre Herstellungsverfahren und damit auch ihre Produkte verbessern können.
Die wichtigste Anforderung bei der Herstellung von Biopharmazeutika bleibt allerdings, von "batch zu batch" die gleiche Güte des Produkts zu gewährleisten. Das wird zwar grundsätzlich von staatlicher Seite überprüft und sichergestellt, dennoch ist die langfristige Reproduzierbarkeit eine große Herausforderung, denn die Herstellung in lebenden Zellen bedingt immer auch Heterogenität.
? Seit einiger Zeit wird das Problem der Reproduzierbarkeit von biotechnologischen Arzneimitteln diskutiert. Kann man denn im Hinblick auf die genannte Komplexität in der Herstellung 1:1-Kopien wie bei pharmazeutischen Produkten herstellen?
Jelkmann: 1:1-Kopien von Biopharmazeutika gibt es sicherlich nicht. Das ist auch frühzeitig von den Regulierungsbehörden, also der EMEA in Europa, erkannt worden. Aus diesem Grunde wurde der neue Begriff "Biosimilars" eingeführt. Für Nachahmerprodukte der Biopharmazeutika sollte nicht der Begriff Generika verwendet werden, weil davon auszugehen ist, dass das Nachahmerprodukt nicht identisch mit dem Produkt des Originalherstellers ist. Das ergibt sich aus dem bereits beschriebenen komplexen Herstellungsprozess. Bei einem Biosimilar sind in der Regel weder die Kulturzellen identisch mit denen des Originalherstellers, noch die Zellkulturbedingungen oder die Reinigungsverfahren. Folglich ist davon auszugehen, dass zwischen biologisch ähnlichen Produkten verschiedener Hersteller zumindest subtile Unterschiede bestehen, die potenziell Konsequenzen für die Wirksamkeit und Verträglichkeit haben.
? Insulin ist eines der ersten bedeutenden biotechnologisch hergestellten Arzneimittel - hat man da schon Erfahrungen mit Biosimilars?
Jelkmann: Es hat unter medizinischen und wirtschaftlichen Aspekten 4 herausragende gentechnologisch hergestellte Medikamente gegeben - Insulin, Somatotropin, Erythropoetin und den Granulozytenkolonien stimulierenden Faktor G-CSF. Für all diese Wirkstoffe wurden in Europa sehr früh Vorschriften für die Herstellung von Biosimilars erlassen. Von den 4 gentechnologisch hergestellten Medikamenten ist nach meiner Kenntnis das Insulin das einzige, von dem derzeit noch kein Biosimilar vermarktet wird. Es hat zwar einen Zulassungsantrag gegeben, aber dieser ist dann aufgrund von Schwierigkeiten, die auch die EMEA gesehen hat, wieder zurückgezogen worden. Somit gibt es noch kein Biosimilar von Insulin, obwohl Insulin das erste Biopharamzeutikum gewesen ist und zudem ein vergleichbar einfaches Molekül, weil es im Gegensatz zum Erythropoetin kein Glykoprotein ist.
? Mit EPO steigt dann also die Komplexität der Moleküle...
Jelkmann: Ja, denn im Hinblick auf Ähnlichkeit und Reproduzierbarkeit von Glykoproteinen ist nicht das Polypeptidgrundgerüst, dessen Struktur durch die transfizierte DNA vorgegeben ist, das Hauptproblem, sondern die Kohlenhydratseitenketten. Die Struktur der Kohlenhydratseitenketten wird nicht durch den genetischen Code des transfizierten Gens festgelegt, sondern sie ist von verschiedenen Faktoren abhängig, wie zum Beispiel von der Wirtszelle, vom Zellkulturmedium und vom Reinigungsprozess. Letzteren möchte ich nochmals hervorheben, da dieser für mich der sensibelste Punkt bei der Herstellung von Erythropoetin und seinen Biosimilars ist.
? Seit etwa 2 Jahren sind erste EPO-Biosimilars auf dem Markt. Wie schätzen Sie Nutzen und Risiko für die Patienten bei diesen Präparaten ein?
Jelkmann: Grundsätzlich sind 2 Parameter zu betrachten - die Wirksamkeit und die Sicherheit. Gemäß dem Zulassungsbericht der EMEA weist eines der beiden Produkte eine geringere Wirksamkeit gegenüber dem Originalprodukt auf. Fairerweise muss man aber bedenken, dass es sich dabei um einen "Zufallsbefund" handeln könnte. Es bleibt die Frage, ob dieser Unterschiede in der Wirksamkeit auch auf Dauer besteht, wenn man verschiedene Chargen betrachtet.
Bei der Frage um die Sicherheit solcher Biosimilar-Produkte ist vor allem an die mögliche Immunogenität zu denken - und die lässt sich erst nach langjährigen Erfahrungen wirklich abschätzen.
? Warum lassen sich mögliche immunogene Reaktionen nicht im Vorfeld durch die klinischen Zulassungsstudien ausschließen - und wie hoch ist das Risiko?
Jelkmann: Das Immunogenitätspotenzial ist ein wesentlicher Unterschied zwischen weniger komplexen Wirkstoffen und Biopharmazeutika. Die Antikörperbildung hat nicht vorhersagbare klinische Effekte bezüglich Wirksamkeit und Sicherheit. Antikörper können durch Bindung an das Protein über Neutralisierung zur Wirkungsabschwächung oder auch zu pharmakokinetischen Veränderungen führen. Die klinischen Auswirkungen der Antikörper können sehr unterschiedlich sein - sie mögen überhaupt keinen klinischen Effekt haben oder aber auch schwerwiegende lebensbedrohliche Reaktionen auslösen.
Ein Problem ist, dass sich die Immunogenität nicht aus tierexperimentellen Untersuchungen oder gar Zellkulturuntersuchungen abschätzen lässt, sondern erst offenbar wird, wenn die Biopharmazeutika im großen Umfang und längerfristig den Patienten verabreicht worden sind. Also man kann die Immunogenität eigentlich nicht voraussagen.
? Sie sagten, eine Immunogenität ist durch die Zulassungsstudien allein nicht auszuschließen. Demzufolge wären doch die Originalprodukte, die seit Jahren auf dem Markt sind und sich in der Anwendung bewährt haben dann doch sicherer?
Jelkmann: Ja, das sehe ich auch so. Meines Erachtens lässt sich, falls ein Produkt nicht äußerst immunogen ist, also im Extremfall jeder zweite Patient Antikörper entwickelt, erst nach langer Zeit der Anwendung und an großen Patientenkollektiven wirklich absichern, ob die Immunogenität eines neuen Produktes höher - oder vielleicht auch geringer - ist als die des Originalproduktes. Bei neuen Produkten lässt sich nie vorhersagen, ob sie immunogener sein werden als die etablierten, weil es keine Modelle gibt, um die Immunogenität vor der Zulassung, beispielsweise im Tierexperiment zu testen.
Allerdings muss man auch anmerken, dass bisher eine Antikörperbildung bei Erythropoetin nur nach subkutaner Gabe aufgetreten ist und die Biosimilars in der Nephrologie bislang nur für die intravenöse Anwendung zugelassen sind, was das Risiko einschränkt.
? In den vergangenen Jahren wurde eine immunogene Nebenwirkung bekannt, und zwar zuerst bei einem EPO-Original. Es traten vermehrt Fälle der PRCA ("pure red cell aplasia") auf. Was genau war da passiert - und welche Auswirkungen hat der "Fall Eprex®" für die Biosimilar-Diskussion?
Jelkmann: Zwischen 1988 und 2003 traten vermehrt Fälle von PRCA bei Patienten auf, die das Epoetin alfa Original Erypo (Eprex®) subkutan erhalten hatten. Die genaue Ursache ist noch immer umstritten, die relativ hohe Inzidenz zur Antikörperbildung könnte aber mit der Umstellung der Galenik und der Verwendung eines neuen Spritzentyps in Zusammenhang stehen. Nachdem dann von gummi- auf teflonbeschichtete Spritzenstopfen umgestellt und das Präparat nur noch intravenös verabreicht wurde, ging die PRCA-Inzidenz ab 2001 wieder zurück.
Der Fall zeigt, dass die Immunogenität nie vorhersagbar ist, selbst wenn die Präparate biophysikalisch untersucht wurden. Er demonstriert auch, dass kleinste Veränderungen bereits klinische Effekte nach sich ziehen können. Möglicherweise hat dieser Fall auch dazu beigetragen, dass die EMEA bislang keine Erythropoetin-Biosimilars für die subkutane Anwendung zugelassen hat.
? Derzeit ist eine neuer PRCA-Fall aufgetreten. Die Firma Sandoz musste eine Studie abbrechen, in der ein EPO-Biosimilar, das bereits für die i.v.-Gabe zur Behandlung der Anämie in Deutschland zugelassen ist, subkutan verabreicht worden ist. Welche Konsequenzen sollten Ihrer Meinung nach daraus gezogen werden?
Jelkmann: Dieses unglückliche Ereignis bestätigt meine Aussage, dass sich das Immunogenitätspotenzial neuer Biopharmazeutika kaum vorhersagen lässt. Aus vorklinischen und klinischen Untersuchungen (siehe Europäischer Öffentlicher Beurteilungsbericht (EPAR) der EMEA) konnte ja angenommen werden, dass das angesprochene Epoetin alfa Biosimilar ein vergleichbares Qualitäts-, Sicherheits- und Wirksamkeitsprofil wie das Referenzprodukt aufweist. Angesichts des berichteten PRCA-Falls muss nochmals daran erinnert werden, dass alle Epoetin-Biosimilar-Produkte bei der renalen Anämie ausschließlich zur intravenösen Therapie zugelassen sind.
? Die Herstellung von Biosimilars stellt lediglich einen kleinen Teilbereich der Biotechnologie dar - die Hauptanstrengung liegt auf der Herstellung neuer, innovativer Therapiestrategien. Was bedeutet "Biotech" für den medizinischen Fortschritt, welche konkreten Erfolge gab es durch Biopharmazeutika?
Jelkmann: 1982 wurde das Insulin als erstes gentechnologisches Produkt vom Bundesgesundheitsamt zugelassen und das war natürlich ein enormer Fortschritt, weil bis dahin die Diabetes-mellitus-Patienten ausschließlich mit tierischen Insulinen behandelt werden konnten, die sehr viel immunogener waren. Auch das Wachstumshormon, das 1985 zugelassen wurde, war eine sehr wichtige Neuentwicklung, weil bis dahin kleinwüchsige Kinder mit Wachstumshormonen aus Hypophysenextrakten Verstorbener behandelt wurden, mit denen, wie man heute weiß, auch Prionen übertragen wurden. Es ist ein besonderer Vorteil der gentechnisch hergestellten Arzneimittel, dass sie eben erregerfrei sind und im Idealfall in Reinform vorliegen.
Die nächste sehr wichtige Einführung waren die Interferone, auch 1985, mit gewissem Erfolg in der Malignomtherapie und zur Immunmodulation eingesetzt. Weitere Meilensteine waren 1986 die rekombinante Hepatitis-B-Vakzine, 1986 das Muromonab CD3 gegen die Abstoßung von Tranplantaten und 1987 der Gewebsplasminogenaktivator tPa für die Behandlung von akuten Herzinfarkten.
Das Erythropoetin als das neben dem Insulin vielleicht wirtschaftlich wie medizinisch wichtigste rekombinante Produkt wurde 1989 zugelassen.
Es ist auch heute so, dass neue rekombinante Produkte auf den Markt kommen und darüber hinaus die bewährten Produkte noch weiter verbessert wurden. Ein Beispiel dafür ist das Darbepoetin alfa zur Behandlung der renalen Anämie, das durch eine veränderte Aminosäuresequenz und 2 zusätzliche Kohlenhydratseitenketten eine längere Halbwertszeit hat und somit seltener verabreicht werden kann.
Neben diesen Fortschritten bezüglich der etablierten rekombinanten Produkte gab es auch große Innovationen im Bereich der Antikörpertherapie. Mit Antikörpern ist es heutzutage möglich, gezielt Tumorzellen anzugreifen, was bei einigen Indikationen bereits eine Chemotherapie obsolet macht.
? Abschließende Frage: Wie werten Sie die Chancen für die Biotechnologie in der Zukunft? Sind weitere Therapieinnovationen zu erwarten?
Jelkmann: Das Beispiel "Thrombopoetin" hat vor einigen Jahren gezeigt, dass immer wieder auch neue Zytokine und Hormone entdeckt werden und darunter auch solche sein können, die eine sehr große pharmazeutische Bedeutung haben. Mit den heutigen Verfahren ist eine gentechnologische Herstellung von neu entdeckten Proteinen relativ problemlos möglich. Ich habe daher die große Hoffnung für die Zukunft und bin sicher, dass noch viele wegweisende Therapieinnovationen zu erwarten sind.
Vielen Dank für das Gespräch, Herr Professor Jelkmann.
Dieser Beitrag entstand mit freundlicher Unterstützung der Amgen GmbH, München. Das Interview führte Frau Dr. Bettina Albers, Mitarbeiterin von albersconcept, Weimar. |