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DOI: 10.1055/s-0029-1241044
© Georg Thieme Verlag Stuttgart · New York
Diabetische Nephropathie – kein schicksalhafter Verlauf
Publication History
Publication Date:
03 September 2009 (online)
Die Datenlage zur diabetischen Nephropathie spricht eine deutliche Sprache:
Die diabetische Nephropathie ist nach wie vor die häufigste Ursache für eine Nierenersatztherapie. Die Lebensprognose des Diabetikers unter Dialysebehandlung ist aufgrund der exzessiv hohen kardiovaskulären Morbidität miserabel: das mittlere 5–Jahres–Überleben liegt bei 20 %. Der Großteil der dialysepflichtigen Patienten haben einen Typ–2–Diabetes, der epidemieartig zunimmt.
Diese unbefriedigende Situation hat sicher mehrere Ursachen. Viele Jahre wurde das Nephropathierisiko beim Typ–2–Diabetes unterschätzt – wie wir heute wissen, ist es genauso hoch wie beim Typ–1–Diabetes. Neben der Zunahme des Typ–2–Diabetes ist die Verlängerung der Lebenserwartung durch eine Verbesserung der Therapiemöglichkeiten sicher auch ein „Preis” für diese Entwicklung. Entscheidend scheint jedoch zu sein, dass weder die Möglichkeiten der Frühdiagnostik noch der Therapie heute ausreichend genutzt werden. Dabei ist die Voraussetzung für eine Trendwende durch den natürlichen Verlauf der Nephropathie durchaus gegeben:
Die diabetische Nephropathie entwickelt sich nicht „über Nacht”, sondern benötigt Jahre – also ist an sich viel Zeit zur Diagnostik und wirkungsvollen Intervention. Mit der Untersuchung auf Mikroalbuminurie steht ein einfacher Test zur Verfügung, womit man eine sich entwickelnde Nephropathie und das hohe kardiovaskuläre Risiko frühzeitig erkennen kann. Zur therapeutischen Intervention stehen zahlreiche Möglichkeiten zur Verfügung, die auch nach dem Auftreten einer Nephropathie die Progression verlangsamen und die Prognose verbessern können: konsequente Hochdrucktherapie, gute Blutzuckereinstellung und Vermeidung von Rauchen.
Die häufig geäußerte Ansicht, die Diabeteseinstellung sei für die Primärprävention (Prophylaxe) der diabetischen Nephropathie und die Hochdruckeinstellung für die Sekundärprävention entscheidend, kann nach der heutigen Studienlage nicht mehr aufrechterhalten werden. Wie Studien an hypertensiven Typ–2–Diabetikern für die Primärprävention zeigen konnten, kann die frühzeitige Blockade des Renin–Angiotensin–Systems das Auftreten einer Mikroalbuminurie verhindern oder verzögern, unabhängig von der Stoffwechseleinstellung. Nephropathieprävention bedeutet also mehr als nur Blutzuckerkontrolle.
In der Sekundärprävention, das heißt nach Erreichen eines fortgeschrittenen Nephropathiestadiums (z. B. Kreatininclearance < 60 ml/min), spielt die Hochdruckbehandlung sicher eine ganz wesentliche Rolle. Die erreichte Risikoreduktion der Nephropathieprogression unter antihypertensiver Therapie, etwa AT1–Blockern, sollte jedoch nicht darüber hinwegtäuschen, dass der absolute Verlust der Nierenfunktion pro Jahr – trotz Hochdrucktherapie – mehrfach höher lag als die „normale” altersbedingte Nierenfunktionsabnahme (ca. 1 ml/min/Jahr): in der RENAAL–Studie 4,4, in der IDNT–Studie 5,5 ml/min/Jahr. Möglicherweise wurde in diesen Studien die Diabetestherapie vernachlässigt, was das unbefriedigende Ergebnis erklären könnte: die HbA1c–Werte lagen meist zwischen 8 und 12 %. Im Hinblick auf die hohe kardiovaskuläre Morbidität wird heute zur Behandlung der bestehenden Nephropathie der „multifaktorielle” Therapieansatz gefordert, das heißt die gleichzeitige Intervention an mehreren bekannten Risikopunkten wie Hochdruck– und Diabeteseinstellung, Dyslipidämie und Hyperkoagulabilität.
Die Behandlung des Diabetikers mit nachlassender Nierenfunktion ist komplex. Die Hochdruckeinstellung kann sich sehr schwierig gestalten, in der Regel sind 3–5 blutdrucksenkende Substanzen erforderlich. Da sich Pharmakokinetik und –dynamik der Blutzucker senkenden Medikamente ändern, ist die Stoffwechseltherapie in diesem Stadium eine hohe therapeutische Herausforderung: Eine zugrunde liegende Niereninsuffizienz gehört zu den häufigsten Hypoglykämieursachen. Weitere Faktoren, die die Therapie komplizieren, sind: Dyslipoproteinämie, frühzeitiges Auftreten einer Anämie, Störung des Kalzium–Phosphat–Stoffwechsels bzw. des Säure–Basen–Haushaltes und oft ausgeprägte Neuro– und Retinopathie.
Diese Patienten sollten in erster Linie gemeinsam von Diabetologen und Nephrologen betreut werden. Beim Auftreten weiterer Komplikationen sind selbstverständlich auch andere Disziplinen gefragt. Wie die realen Zahlen jedoch zeigen, besteht hier nach wie vor noch ein erhebliches Potenzial zur Optimierung. Der gerne als „schicksalhaft”, das heißt nicht beeinflussbar, interpretierte Verlauf der diabetischen Nephropathie im fortgeschrittenen Stadium ist durch bessere interdisziplinäre Zusammenarbeit zu verändern – die therapeutischen Möglichkeiten dazu sind vorhanden.