Geburtshilfe Frauenheilkd 2010; 70(1): 24-29
DOI: 10.1055/s-0029-1240718
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© Georg Thieme Verlag KG Stuttgart · New York

Die Reproduktionsmedizin zwischen Heilkunst und wunscherfüllender Dienstleistung

Reproductive Medicine: Medical Service or Market Driven?G. Maio1
  • 1Direktor des Instituts für Ethik und Geschichte der Medizin, Albert-Ludwigs-Universität Freiburg, Freiburg
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Publication History

eingereicht 25.3.2009

akzeptiert 24.11.2009

Publication Date:
20 January 2010 (online)

Zusammenfassung

Die moderne Reproduktionsmedizin versteht sich zunehmend als marktkonforme Dienstleistung auf Wunsch; damit findet eine Verabsolutierung der Elternwünsche statt, was zur Folge hat, dass alle Mittel zur Herbeiführung einer Schwangerschaft automatisch für probat gehalten werden. In dem Papier wird verdeutlicht, an welche ethischen Grenzen die Reproduktionsmedizin gerät, wenn sie die Mittel zur Herbeiführung der Schwangerschaft nicht hinlänglich ethisch mitreflektiert. Ein Kritikpunkt ist der in letzter Zeit immer wieder propagierte Single-Embryo-Transfer. Viel zu wenig wird in dieser Propagierung bedacht, dass mit dem Single-Embryo-Transfer ein Verschleiß von Embryonen im Interesse der Eltern nicht mehr nur in Kauf genommen, sondern ganz bewusst einkalkuliert wird. Diese Methode müsste in ethischer Hinsicht abgelehnt werden, sofern man dem Embryo einen Würdeschutz zuspricht. Auch die Propagierung der heterologen Samenspende und der Eizellspende ist unter ethischen Gesichtspunkten nicht unproblematisch, erst recht dann, wenn für diese Verfahren Reklame gemacht wird. So ist zu befürchten, dass sich mit der fortschreitenden Merkantilisierung dieser Praktiken zunehmend eine Grundhaltung einstellen wird, nach der das gezeugte Kind immer mehr als Konsumgut betrachtet wird, auf das man entsprechende Qualitätsansprüche erhebt. Um diesem Trend entgegenzuwirken, sollte die moderne Reproduktionsmedizin dafür eintreten, trotz der Technik jedes Kind als Gabe zu betrachten, die man eben nicht nach jedwedem Belieben herstellt. Die Reproduktionsmedizin ist gut beraten, ihre Praktiken nicht zu bagatellisieren, sondern auf die ethischen Probleme hinzuweisen. Nur auf diese Weise kann es ihr gelingen, das zu bewahren, was sie für ihre Zukunft am meisten braucht: das Vertrauen darin, dass sie sich von humanitären und nicht von ökonomischen Anliegen leiten lässt.

Abstract

Modern reproductive medicine increasingly sees itself as a service in line with market demand; there is an absolutisation of the desire to become a parent, and all means available to induce pregnancy are automatically considered advisable. This paper highlights the ethical boundaries that reproductive medicine comes up against when it fails to sufficiently reflect on the means used to induce pregnancy. One point of criticism is the recently propagated single embryo transfer. With this form of propagation, far too little consideration is given to the fact that single embryo transfers not only accept the waste of embryos in the interests of the parents but consciously allow for it. From an ethical perspective, this method should be rejected if embryos are seen as human beings. The propagation of heterologous sperm donation and human egg donation is also not without ethical problems, even more so when establishments advertise these methods. It is to be feared that with the advancing mercantilisation of these practices, a point will be reached whereby the conceived child is increasingly seen as a consumer good which should comply with parental quality standards. In order to counteract this trend, modern reproductive medicine should advocate emphasising that every child is a gift – despite the existence of technology – which cannot be produced at will. Reproductive medicine would be well advised not to trivialise its practices but to point out the ethical problems involved. Only in this way will it manage to retain that which it needs most for its future: the assurance that it is guided by humanitarian and not by economic concerns.

Literatur

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Prof. Dr. Giovanni Maio

Direktor des Instituts für Ethik und Geschichte der Medizin
Albert-Ludwigs-Universität Freiburg

Stefan-Meier-Straße 26

79104 Freiburg

Email: maio@ethik.uni-freiburg.de

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