Notfallmedizin up2date 2009; 4(4): 277
DOI: 10.1055/s-0029-1240702
Editorial

© Georg Thieme Verlag KG Stuttgart · New York

Pharmakologie im Rettungsdienst – im Notfall entscheidet Fachwissen

Berthold Bein, Jens Scholz
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Publication Date:
17 December 2009 (online)

Im Rettungsdienst müssen regelhaft lebensbedrohliche Situationen zeitnah beherrscht werden. Daher werden viele der verwendeten Medikamente intravenös appliziert, um ein möglichst rasches Einsetzen der therapeutischen Wirkung zu gewährleisten. Andererseits führt das rasche Erreichen eines therapeutischen Wirkspiegels bei akzidenteller Über- bzw. Fehldosierung zu deutlich dramatischeren Komplikationen als dies bei oraler bzw. subkutaner Applikation der Fall ist. Obwohl sich einerseits das Arsenal der in der Notfallmedizin verwendeten Medikamente über die letzten Jahre hinweg nur wenig verändert hat – so ist beispielsweise das Adrenalin nach aktuellen Empfehlungen immer noch Medikament der ersten Wahl zur Therapie des Herz-Kreislauf-Stillstands – wird doch andererseits immer wieder von im Rettungsdienst tätigen Kolleginnen und Kollegen eine mangelnde Fortbildung hinsichtlich wichtiger pharmakologischer Kenngrößen der tagtäglich verwendeten Medikamente beklagt.

Aus diesem Grund hat sich die Schriftleitung entschlossen, eine neue Rubrik ins Leben zu rufen. Unter der Überschrift „Ampullarium“ werden ab sofort in jedem Heft im Rettungsdienst wichtige und häufig verwendete Medikamente hinsichtlich ihres Wirkmechanismus sowie ihrer Pharmakokinetik vorgestellt. Auf 2 Druckseiten soll eine Substanz bzw. Substanzklasse knapp und dennoch angemessen detailliert dargestellt werden, damit sich der Leser mittels dieser Rubrik schnell und fundiert alles Wesentliche über das betreffende Medikament aneignen kann. Das „Ampullarium“ kann natürlich kein Pharmakologie-Lehrbuch ersetzen. Ziel ist es vielmehr, Wirkung und Interaktionen der Medikamente im klinischen Alltag der Notfallmedizin abzuhandeln.

Im ersten Beitrag wird anhand eines besonders relevanten Krankheitsbilds – des akuten Koronarsyndromes – eine ganze Reihe von Medikamenten vorgestellt, die in verschiedene Prozesse dieser lebensbedrohlichen Erkrankung eingreifen. Die optimale Versorgung des akuten Koronarsyndroms erfordert den Einsatz von Medikamenten aus sehr unterschiedlichen Wirkstoffklassen. Vasoaktive Substanzen haben dabei einen ebenso großen Stellenwert wie Anxiolytika und Antithrombotika. Spätestens hier kommt die Pharmakologie ins Spiel.

Thrombozyten können durch zahlreiche Stoffwechselwege aktiviert werden. Die Azetylsalizylsäure (ASS) als Antagonist des Arachidonsäurestoffwechsels stellt dabei das Basismedikament zur Hemmung der Thrombozytenaggregabilität dar. Allein durch Gabe von ASS kann die Mortalität als Folge des akuten Myokardinfarkts um fast ein Viertel gesenkt werden. Seit ca. 20 Jahren wird außerdem zusätzlich unfraktioniertes Heparin gemeinsam mit ASS zur Behandlung des akuten Koronarsyndroms eingesetzt. Allerdings gewinnen niedermolekulare Heparine auch präklinisch an Bedeutung. Unfraktioniertes Heparin besitzt nämlich auch thrombozytenaktivierende Eigenschaften und aufgrund der hohen Plasmaproteinbindung (Pharmakologie!) resultiert eine schwer vorhersehbare antikoagulatorische Aktivität. Daten aus einem großen Register belegen, dass inzwischen gut 50 % der Patienten mit akutem Koronarsyndrom innerklinisch mit niedermolekularem Heparin behandelt werden, eine Entwicklung, die sicherlich zukünftig Auswirkung auf die Therapie mit Heparin in der Präklinik haben wird. Diese Beispiele verdeutlichen, dass pharmakologische Überlegungen auch unmittelbar Eingang in die präklinische Therapie finden.

In ihrem Beitrag gelingt es den Autoren in hervorragender Weise, die verwendeten Medikamente sowohl hinsichtlich ihrer therapeutischen Rationale strukturiert zu gliedern als auch – unterteilt nach Substanzklassen – Differenzialindikationen anzugeben und dabei quasi nebenbei noch einmal die wichtigsten notfallmedizinischen Maßnahmen mit abzuhandeln. Wir hoffen, mit der neuen Rubrik Ihr Interesse geweckt zu haben und wünschen Ihnen viel Spaß bei der Lektüre.

Ihre

Berthold Bein
Klinik für Anästhesiologie und Operative Intensivmedizin, Universitätsklinikum Schleswig-Holstein, Campus Kiel

Jens Scholz
Universitätsklinikum Schleswig-Holstein