Notfallmedizin up2date 2009; 4(4): 313-328
DOI: 10.1055/s-0029-1240560
Spezielle Notfallmedizin

© Georg Thieme Verlag KG Stuttgart · New York

Notfälle in Altenheimen

Thomas Luiz, Christian Madler
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Publication Date:
17 December 2009 (online)

Kernaussagen

Notarzteinsätze in Altenheimen nehmen stetig zu. Weitaus mehr als bei Einsätzen in der Allgemeinbevölkerung steht die Entscheidungsfindung bei Grenzsituationen im Vordergrund.

Medizinischer Kontext

Die wichtigsten Ursachen für die Einweisung in ein Altenheim sind Demenz, Folgen von Schlaganfällen und allgemeine Schwäche mit rezidivierenden Stürzen.

Bei vorbestehender Multimorbidität mit grenzkompensierten Organfunktionen führen bereits relativ geringfügige zusätzliche Belastungen rasch zu einer potenziell bedrohlichen Exazerbation. Verzögerungen in Diagnostik und Therapie müssen daher vermieden werden.

Ein häufig unterschätztes Problem stellen Medikamentenneben- und ‐wechselwirkungen dar.

Besonderheiten im Einsatz

Eigenanamnese und Befunderhebung sind oftmals erschwert. Angaben zum Ess- und Trinkverhalten sowie der Abhängigkeit von Hilfsmitteln sind für die Beurteilung des Gesamtbilds von großer Bedeutung.

Trotz hohen Zeitdrucks und schwieriger äußerer Umstände müssen das Selbstbestimmungsrecht und die Würde des Patienten soweit wie möglich gewahrt werden.

Eine Kernaufgabe des Notarztes besteht in der Entscheidung über die Invasivität und Art der Behandlung (palliativ oder potenziell kurativ) sowie der Bahnung der Weiterbehandlung. Neben der Schwere der Erkrankung führen häufig auch äußere Faktoren (ungenügende Betreuung im Heim, Unsicherheit über den Patientenwillen) zu einer Klinikeinweisung.

Spezielle Krankheitsbilder

Beim Schlaganfall stehen die Aufrechterhaltung des zerebralen Perfusionsdrucks und der Normoxämie im Vordergrund.

Die Differenzialdiagnose des Delirs als wichtigster akuter Bewusstseinsstörung bedarf der interdisziplinären Abklärung. Im Vordergrund der Therapie steht die Stabilisierung der Vitalfunktionen, eine spezifische antipsychotische Therapie ist präklinisch eher selten notwendig.

Die Pneumonie stellt bei Hochbetagten einen lebensbedrohlichen Notfall dar. Die Symptomatik ist häufig atypisch, zum Beispiel abdominelle Schmerzen und Verwirrtheit. Eine Klinikeinweisung ist erforderlich, wenn Zeichen einer respiratorischen Insuffizienz bestehen oder vor Ort nicht zeitnah eine Antibiose und adäquate Überwachung gewährleistet werden kann.

Die Aspiration steht häufig in Zusammenhang mit der Nahrungsaufnahme. In der Therapie des Bolusgeschehens sind Basismaßnahmen vor Eintreffen des Notarztes von entscheidender Bedeutung.

Eine Reanimation bei einem unbeobachteten Herz-Kreislauf-Stillstand mit primärer Asystolie verläuft in der Regel frustran. Ein beobachtetes Kammerflimmern ist selten, jedoch prognostisch deutlich günstiger.

Stürze sind oft Folge internistischer oder neurologischer Erkrankungen bzw. der Einnahme von Medikamenten. Hüftnahe Frakturen gehen mit einer hohen Letalität einher und müssen als veritabler Notfall behandelt werden. Akute Verhaltens- bzw. Bewusstseinsänderungen können sowohl Ausdruck eines zerebralen Traumas wie starker Schmerzen sein.

Die zunehmende Alarmierung des Notarztes zu terminal Kranken und Sterbenden reflektiert palliativmedizinische Versorgungsdefizite und eine generelle Tendenz zur Verdrängung des Sterbeprozesses in die Kliniken. Patientenverfügungen, welche die Entscheidungsfindung über die weitere Vorgehensweise erleichtern würden, sind hierzulande bislang noch die Ausnahme.

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Dr. med. Thomas Luiz

Deutsches Zentrum für Notfallmedizin und Informationstechnologie
Fraunhofer Institut für Experimentelles Software Engineering

Fraunhofer-Platz 1

67663 Kaiserslautern

Email: thomas.luiz@iese.fraunhofer.de

Prof. Dr. med. Christian Madler

Institut für Anästhesiologie und Notfallmedizin
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