Gesundheitswesen 2009; 71 - A55
DOI: 10.1055/s-0029-1239105

Das Kontrollgruppendesign im Spannungsfeld zwischen Präventionsforschung und Präventionspraxis: Ergebnisse der Begleitforschung zum Modellprojekt „Pro Kind – Wir begleiten junge Familien“

V Kurtz 1, T Brand 1, Y Ziert 1, T Jungmann 1
  • 1Kriminologisches Forschungsinstitut Niedersachsen e.V.

Hintergrund: Bei dem seit 2006 in drei deutschen Bundesländern umgesetzten Modellprojekt „Pro Kind“ handelt es sich um ein Hausbesuchsprogramm im Bereich der Frühen Hilfen zur Prävention von Kindesmisshandlung und -vernachlässigung, dessen Effektivität und Effizienz derzeit mithilfe eines randomisierten Kontrollgruppendesigns untersucht wird. Speziell ausgebildete Hebammen und Sozialpädagoginnen begleiten erstgebärende Frauen in schwierigen Lebenslagen bereits während der Schwangerschaft bis zum zweiten Geburtstag ihrer Kinder mit dem übergeordneten Ziel, die Lebensumstände von Mutter und Kind zu verbessern. Der vorliegende Beitrag befasst sich mit den besonderen Herausforderungen, die sich durch die Verwendung des Kontrollgruppendesigns in der Präventionsforschung ergeben, unterstreicht aber auch den besonderen Nutzen dieses Designs.

Methoden: Die Teilnehmerinnen werden über die Randomisierungsprozedur Efron's biased coin design zufällig der Treatment- oder der Kontrollgruppe zugewiesen. In der Evaluationsforschung wird die Programmwirksamkeit durch wiederholte standardisierte Befragungen der Mütter sowie umfangreiche Entwicklungstestungen der Kinder überprüft. Im Rahmen der Implementationsforschung geben fortlaufende Projektdokumentationen, Leitfadeninterviews mit den Projektmitarbeiterinnen und eine Multiplikatorenbefragung Aufschluss über die Herausforderungen der Programmumsetzung.

Ergebnisse: Erste Befunde der Implementationsforschung weisen darauf hin, dass Vorbehalte der Multiplikatoren dem Kontrollgruppendesign gegenüber die Kooperation mit dem Präventionsprojekt einschränken und zu Schwierigkeiten beim Erreichen der Zielgruppe führen. Dies gilt insbesondere dann, wenn bereits Angebote mit einem ähnlichen Schwerpunkt in der betreffenden Region existieren. Erste Ergebnisse der Evaluationsforschung unterstreichen allerdings die Bedeutung der Kontrollgruppe: So zeigen sich positive Entwicklungen mütterlicher Bindungs- und Erziehungseinstellungen während und nach der Schwangerschaft, allerdings in beiden Untersuchungsgruppen gleichläufig. Ohne Kontrollgruppe würden diese Veränderungen fälschlicherweise als Treatmenteffekte interpretiert.

Schlussfolgerung: Während die vorliegenden Evaluationsergebnisse die Notwendigkeit eines randomisierten Kontrollgruppendesigns für die angemessene Beurteilung der Programmwirksamkeit verdeutlichen, zeigen die Befunde der Implementationsforschung die Herausforderungen bei der Umsetzung des gewählten Forschungsdesigns. Für die Akzeptanz und Implementation einer Kontrollgruppenstudie im Bereich der Prävention bzw. Frühen Hilfen sind eine intensive Vorbereitung potenzieller Multiplikatoren sowie die sorgfältige Auswahl der Regionen zur Programmumsetzung unverzichtbar.