Informationen aus Orthodontie & Kieferorthopädie 2009; 41(3): 191-198
DOI: 10.1055/s-0029-1224611
Übersichtsartikel

© Georg Thieme Verlag Stuttgart ˙ New York

Auswirkung von Schnullern auf das Gebiss – eine Literaturübersicht

A Literature Review of the Effect of Pacifier Use on the DentitionP. P. W. Weiss1
  • 1International Children’s Medical Research Society, Kings Norton, Birmingham, UK
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Publication Date:
18 September 2009 (online)

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Zusammenfassung

Ziel: Mit einer Literaturrecherche sollte geprüft werden, ob das Saugen an einem Schnuller Auswirkungen auf die Okklusion hat, und ob diese Auswirkungen vergleichbar sind mit denen, die beim Daumenlutschen entstehen. Gleichzeitig wurde die Relevanz der Dauer und Intensität des Saugens sowie die Form des Schnullers untersucht. Methoden: Die Daten wurden im Rahmen einer Lite­raturrecherche in der Datenbank PubMed ­(Januar 1950 bis Dezember 2008) erhoben. Die Suchstrategie schloss Artikel in englischer und in deutscher Sprache ein. Gesucht wurde nach den Begriffen „Schnuller“ („pacifier“, „soother“, „dummy“), „Daumen“ („thumb“) und „Finger“ ­(„digit“) in Verbindung mit „nicht ernährungs­bezogenes Saugen“ („non-nutritive sucking“), „Dysgnathie“ („malocclusion“) und „Auswirkungen auf Zähne“ („dental effects“). Eine vergleichbare Recherche wurde in der Datenbank der International Children’s Medical Research Society (ICMRS) durchgeführt, wobei speziell nach Pub­likationen gesucht wurde, die entweder nicht in PubMed aufgenommen oder die vor 1950 veröffentlicht worden waren. Insgesamt wurden 122 Artikel und Beiträge in die Auswertung aufgenommen. Ergebnisse und Schlussfolgerungen: Bei der Recherche fiel auf, dass die Qualität der Forschung in diesem Fachbereich verglichen mit anderen ­Forschungsgebieten relativ niedrig war, wodurch Schlussfolgerungen auf mögliche Ursachen von Okklu­sionsveränderungen eingeschränkt waren. Es liegen jedoch eindeutige Hinweise darauf vor, dass Lutsch- und Saughabits (Daumenlutschen, Saugen am Schnuller und sogar das Saugen am Flaschen­sauger) ein Risiko für die Okklusion darstellen. „Eins-zu-eins“-Vergleiche sind jedoch schwierig, da diese Habits unterschiedlich lange ausgeführt werden und die zahnmedizinische Unter­suchung nach Beenden des Habits nach ­unterschiedlichen Zeitspannen erfolgte. Bei der extrem widersprüchlichen Informationslage ist es nicht möglich, generelle Aussagen zum Ausmaß der Auswirkungen von Daumenlutschen und Saugen am Schnuller zu treffen. Allerdings gibt es Hinweise darauf, dass sich unterschiedliche Formen des nicht ernährungsbezogenen Saugens auch unterschiedlich auf die Okklusion auswirken. So scheint bei Kindern, die am Schnuller saugen, ein seitlicher Kreuzbiss häufiger aufzutreten als bei Kindern, die am Daumen lutschen. Demgegenüber sind ein frontal offener Biss und eine vergrößerte sagittale Frontzahnstufe bei Daumenlutschern häufiger anzutreffen. Es gibt deutliche Hinweise darauf, dass die meisten Schnullerhabits zwischen dem zweiten und ­vierten Lebensjahr spontan aufgegeben werden, also erheblich ­früher als das Daumenlutschen. Außerdem belegen die Unter­suchungsergebnisse eindeutig die Tendenz, dass sich eine Dysgnathie spontan verbessert oder sogar von selbst korrigiert, je früher ein Lutsch- oder Saughabit aufgegeben wird. Die meisten Wissenschaftler und Zahnärzte empfehlen, im Säuglings- und Kleinkindalter einen Schnuller zu verwenden, um der Entstehung eines Lutschhabits vorzubeugen. Im Hinblick darauf, dass auch ein länger andauerndes Saugen am Schnuller zu Dysgnathien führen kann, die bis ins Wechselgebiss Bestand haben, sollte ein Schnullerhabit jedoch spätestens im zweiten Lebensjahr beendet werden. In der Literatur finden sich nur wenige Hinweise darauf, dass ­„orthodontisch geformte“ Schnuller in irgendeiner Weise den „normal geformten“ Schnullern überlegen wären. Möglicherweise sind jedoch die Untersuchungsmethoden in diesem Bereich noch nicht detailliert genug, um Unterschiede oder Vorteile heraus­zufinden. 

Abstract

Objective: A literature review was carried out to ascertain whether pacifier use affects the occlu­sion; to compare any effect with thumb sucking; to consider whether any effect is dependent on duration of pacifier use, intensity of use or on the design of the pacifier. Methods: Searches were made of the Pubmed ­database (January 1950 to December 2008) to collect data on pacifier use and its association with dental effects. The search strategy included published articles in English and German using the terms: “pacifier”, “soother”, “dummy”, “thumb” and “digit” with “non-nutritive sucking”, “malocclusion”, and “dental effects”. Similar ­searches were carried out on the International Children’s Medical Research Society (ICMRS) data­base, particularly for articles not included in Pubmed or pre-1950. A total of 122 articles and papers were selected for initial inclusion in this review. Results and conclusions: In general the quality of research in this area was rather low when com­pared with other fields of research, hampering any conclusion as to causation. However there is convincing evidence that sucking habits in general (digit-sucking, pacifier-sucking and even the use of a bottle nipple) pose a risk to the occlusion. “Like-for-like” comparisons are difficult, because of the varying duration of the habits and the length of time of the dental examination after cessation of the habit. With the extremely conflicting evidence, it would be unsafe to isolate the overall severity of effects caused by digit- and ­pacifier-sucking. However, there is evidence to suggest that the manifestation on the occlusion of each type of non-nutritive sucking (NNS) is some­what different. The prevalence of posterior crossbite appears to be higher among pacifier users than digit suckers but digit habits result in a greater prevalence of anterior openbite and greater overjet. There is strong evidence that most pacifier habits are spontaneously shed between ages 2–4 years, and certainly earlier than digit sucking. In addition, the evidence points clearly to the fact that the earlier either habit is discontinued, the greater the likelihood that some aspects of malocclusion, if present, will improve or self-correct without further intervention. Therefore the majority of researchers and dentists recommend the use of a pacifier in infancy and early childhood as preferable to the devel­opment of a digit-sucking habit. However there is also evidence that a long-term pacifier habit can cause malocclusions that persist into the mixed dentition. Therefore cessation of a pacifier habit should commence no later than 2 years of age. There is little evidence in the literature to suggest that “orthodontic” pacifiers have any statistically significant benefit over “normal” pacifiers, perhaps because the techniques used to study such pacifiers and their effect on the dentition are, to date, not powerful enough to detect any differences or indeed benefits.