Aktuelle Rheumatologie 2009; 34(2): 91-92
DOI: 10.1055/s-0029-1220698
Editorial

© Georg Thieme Verlag KG Stuttgart · New York

Rheuma-Anämie

Rheumatic Disease and AnaemiaJ. P. Kaltwasser
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Publication Date:
21 April 2009 (online)

In dieser Ausgabe der Aktuellen Rheumatologie wird einer Anämie besondere Aufmerksamkeit gewidmet, die schon sehr lange als Begleiterscheinung vieler unterschiedlicher, meist chronischer Erkrankungen bekannt ist. Diese Anämie als „Rheuma Anämie ”zu bezeichnen ist nur aus der selektiven Sicht des Rheumatologen gerechtfertigt. Der gleiche Anämietyp, der unterschiedliche entzündlich rheumatische Erkrankungen – wie etwa die rheumatoide Arthritis oder den Lupus erythematodes – begleitet, kommt auch im Zusammenhang mit entzündlichen Darmerkrankungen, im Gefolge von Infektionskrankheiten und in Begleitung von Tumorerkrankungen vor.

In der älteren Literatur wurde diese Anämie wegen ihrer unklaren Pathogenese gern das „Enigma” unter den Anämien genannt und mit unterschiedlichen Bezeichnungen wie z. B. „Infektanämie”, „Tumor-und Infketanämie”, „Sideropenische Anämie mit retikuloendothelialer Siderose” oder „Entzündungsanämie” versehen. In jüngerer Zeit hat sich die Bezeichnung „Anaemia of Chronic Disease” durchgesetzt.

Sie ist nach der Eisenmangelanämie die zweithäufigste Anämieform und ihr besonderes Charakteristikum ist die enge Verbindung mit einer akuten oder chronischen Immunaktivierung bei den betroffenen Patienten. Sie ist eng verwandt mit der renalen Anämie, die aber in erster Linie durch einen ausgeprägten Mangel an Erythropoetin und durch die antiproliferative Wirkung urämischer Toxine charakterisiert ist.

Obwohl die Entzündungsanämie dem klinisch tätigen Arzt in Begleitung so vieler unterschiedlicher Erkrankungen begegnete, wurde sie in der Vergangenheit als kaum beeinflussbare Begleiterscheinung zumeist wenig beachtet. Dies gilt bis in unsere Tage insbesondere auch für die Rheumatologen, denen die begleitende Anämie bei entzündlich rheumatischen Erkrankungen eher als ein Krankheitsaktivitäts-Indikator galt, aber selten als behandlungsbedürftige Krankheit angesehen wurde. Inzwischen ist in anderen medizinischen Fachgebieten, vor allem in der Nephrologie und Onkologie gezeigt worden, dass diese Anämie sehr wohl gezielt behandelt werden kann und das damit ein erheblicher Zugewinn an Lebensqualität für den Patienten verbunden ist. Dies ist nicht zuletzt der Erweiterung der Erkenntnisse über die lange Zeit unklare Pathogenese der Entzündungsanämie und vor allem auch der Entwicklung spezifischer Therapeutika wie Erythropoetin zu verdanken.

In dieser Ausgabe sind 4 Beiträge dem Thema Entzündungsanämie gewidmet, wobei vor allem die klinisch-rheumatologischen Aspekte dieser Anämieform in den Vordergrund gerückt sind.

Schon in den fünfziger Jahren des vorigen Jahrhunderts hatten die amerikanischen Hämatologen G. E Cartwright und M. M. Wintrobe im Rahmen ihrer umfangreichen Untersuchungen zur Klinik und Pathogenese der Entzündungsanämie neben den typischen Eisenstoffwechselveränderungen auch die enge Verbindung der Anämie mit dem jeweils zugrunde liegenden Entzündungsprozess dokumentiert. Sie hatten dabei bereits vermutet, dass einem damals unter der Bezeichnung „Kachektin” gerade funktionell identifizierten humoralen Faktor, den wir heute als Interleukin-1 kennen, eine kausale Bedeutung zukommt. Heute kann die Entzündungsanämie als eine immunmediierte, von pro – und antiinflammatorischen Zytokinen gesteuerte Änderung der Eisenhomöostase beschrieben werden, die eine Proliferationshemmung der Erythropoese zur Folge hat.

Die pathogenetischen Grundlagen der Entzündungsanämie werden in dieser Ausgabe in dem Beitrag von G. Weiss, Innsbruck (S. 93) übersichtlich zusammengefasst. G. Weiss ist einer der gegenwärtig besten Kenner dieser Materie mit einer Vielzahl eigener Forschungsbeiträge zu diesem Thema. Er ist außerdem 2005 mit der Herausgabe eines umfangreichen Buches mit dem Titel „Anaemia of chronic disease” und im gleichen Jahr mit einem sehr lesenswerten Review Artikel im New England Journal of Medicine prominent in Erscheinung getreten.

Wie der Titel seines Beitrages in dieser Ausgabe besagt, wird hier auch die schon vielfach aufgeworfene Frage nach dem biologischen Sinn dieser Anämie im Zusammenhang mit so vielen entzündungsgeprägten Krankheiten gestellt und dahingehend beantwortet, dass es sich bei der Entzündungsanämie eher um einen durchaus sinnvollen Adaptationsmechanismus und nicht nur um ein Epiphänomen handeln könnte, d. h. das diese Anämie gewissermaßen einen Janusköpfigen Charakter mit sowohl nützlichen wie schädliche Auswirkungen hat. Diese Einsicht könnte durchaus auch Implikationen auf die zukünftigen therapeutischen Strategien für diese Anämie haben, die über die reine Anämie-Kompensation hinausgehen.

In diesem Zusammenhang ist es wichtig, über die Epidemiologie der Entzündungsanämie im rheumatologischen Umfeld und deren differentialdiagnostischer Abgrenzung von anderen in diesem Kontext vorkommenden Anämieformen zu informieren. Dies hat U. Arndt, Frankfurt (S. 97) in Ihrem Beitrag aus praktisch-klinischer Sicht unternommen. Frau Arndt ist sowohl aufgrund ihrer langjährigen wissenschaftlichen Beschäftigung mit der Therapie der Entzündungsanämie bei rheumatoider Arthritis, wie auch durch ihre Erfahrungen als praktisch tätige Rheumatologin ausgewiesen, über diese Aspekte zu referieren.

Für die differentialdiagnostische Abgrenzung der Entzündungsanämie von anderen Anämieformen – insbesondere von der reinen Eisenmangelanämie – ist unter praktischen wie theoretischen Gesichtspunkten auch das verfügbare labordiagnostische Instrumentarium von Bedeutung. Auf diesem Gebiet wurde besonders von Nephrologen Pionierarbeit geleistet, von der wir Rheumatologen heute profitieren können. Es war deshalb eigentlich selbstverständlich, zu diesem Themenkreis mit L. Schaefer und R. M. Schaefer, Frankfurt/Münster (S. 104) zwei auf diesem Gebiet besonders ausgewiesene Nephrologen um einen Beitrag zu bitten. In dem Beitrag der Schaefers wird sehr klar und praktisch nachvollziehbar dargelegt, wie – d. h. mit welchen heute verfügbaren Laborparametern – eine Entzündungsanämie diagnostiziert, im therapeutischen Verlauf überwacht und differentialdiagnostisch abgegrenzt werden kann. Es wird dabei in diesem Beitrag gezeigt, dass mithilfe der neuen Parameter Transferrin-Rezeptor, prozentualer Anteil hypochrome Erythrozyten und Hämoglobingehalt der Retikulozyten (CHr) eine sehr zeitnahe diagnostische Beurteilung sowohl bei der renalen Anämie als auch bei der Entzündungsanämie im Verlauf rheumatischer und anderer Erkrankungen möglich ist. Dies ist besonders für die Steuerung einer Therapie der Anämie mit Erythropoetin und/oder Eisen von Bedeutung.

Für die therapeutischen Möglichkeiten bei der Rheuma Anämie lässt sich heute festhalten, wie im letzten Beitrag (S. 109) dargelegt, dass die Entzündungsanämie nicht länger unbehandelbar ist; dass vielmehr mit Erythropoetin und parenteralem Eisen eine Therapieform verfügbar geworden ist, die es erlaubt, unter unterschiedlichen klinischen Konditionen die Anämie zuverlässig zu korrigieren. Vor dieser therapeutischen Möglichkeit steht aber stets der Versuch einer effektiven Therapie der entzündlich rheumatischen Grundkrankheit, die heute immer häufiger mithilfe der Inhibition proinflammatorischer Zytokine oder einer B-Zelldepletion gelingt. Besondere Beachtung verdient aktuell dabei als neuer therapeutischer Ansatz der erst kürzlich in die Therapie eingeführte IL-6 Rezeptorblocker Tocilizumab, mit dem durch direkte Beeinflussung des zentralen Eisenhomöostase-Regulators Hepcidin offenbar eine gezielte Korrektur der Entzündungsanämie bei gleichzeitiger Kontrolle der Krankheitsaktivität bei der rheumatoiden Arthritis möglich ist.

Es besteht klinisch inzwischen kein Zweifel mehr, dass z. B. Patienten mit rheumatoider Arthritis von einer Korrektur der Rheuma Anämie durch eine Verbesserung der Lebensqualität und möglicherweise auch durch eine Reduzierung der Krankheitsaktivität profitieren. Die schon erwähnte, im Beitrag von G. Weiss aufgeworfene Frage, ob die Korrektur der Rheuma Anämie ausschließlich positive Auswirkungen hat oder möglicherweise doch auch schädlich in Bezug auf den Verlauf der Autoimmunkrankheit und mögliche infektiologische Komplikationen sein kann, bleibt dabei aber vorerst noch unbeantwortet und bedarf weiterer klinischer Überprüfung.

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Prof. Dr. Joachim Peter Kaltwasser

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