Klinische Neurophysiologie 2009; 40 - P372
DOI: 10.1055/s-0029-1216231

Contraläsionale visuelle Extinktion nach linksseitiger Läsion im mediodorsalen Nucleus des Thalamus

K Irlbacher 1, K Finke 1, S Kehrer 1, SA Brandt 1, A Kraft 1
  • 1Berlin, München

Fragestellung: Die Theorie der visuellen Aufmerksamkeit (TVA, Bundesen 1990) gilt als mathematische Formalisierung des etablierten „Biased Competition Models“ von Desimone & Duncan (1995) und erlaubt es vier voneinander unabhängige Aufmerksamkeitsparameter (Verarbeitungsgeschwindigkeit, Kapazität, selektive Kontrolle und räumliche Gewichtung) in Einzelprobanden zu untersuchen. Mit der nicht geschwindigkeitsgebundenen, verbalen Antwort ist der Ansatz ideal geeignet um Schlaganfallpatienten zu untersuchen. Die TVA wurde hier verwendet um zu testen, ob eine Patientin mit fokalem ischämischen Infarkt in der Region des mediodorsalen Nucleus des Thalamus Defizite in einzelnen Aufmerksamkeitsparametern aufweist. Die Patientin berichtete eine reduzierte Wahrnehmung im rechten visuellen Feld, die in klinischen Neglect- und Extinktionstests nicht diagnostizierbar war.

Methoden: Mithilfe eines Ganz- und Teilberichtsparadigma (Finke et al. 2005) wurden die vier Parameter der TVA untersucht. Zusätzlich wurde ein neuro-opthalmologisches Screening (inklusive Perimetrie) durchgeführt.

Ergebnisse: Die Parameter Verarbeitungsgeschwindigkeit (Anzahl an Objekten/s), Verarbeitungskapazität (Anzahl an Objekten), selektive Kontrolle und sensorische Effizienz lagen im Normalbereich (Finke et al. 2005). Die räumliche Gewichtung wies eine leichte Verlagerung nach rechts auf. Die Patientin zeigte nur dann ein Defizit im contraläsionalen rechten Halbfeld wenn simultan im ipsiläsionalen Halbfeld ein weiterer Zielreiz dargeboten wurde. Einzelreize und Zielreize mit einem Distraktor im contraläsionalen oder ipsiläsionalen Halbfeld wurden normal erkannt.

Schlussfolgerungen: Extinktion beschreibt ein Defizit der räumlichen Gewichtung (Präferenz von ipsläsionalen Reizen) während die sensorische Effizienz und selektive Kontrolle in beiden Halbfeldern unbeeinträchtigt ist. Die Befunde der Patientin entsprechen diesem Muster und bestätigen ihren subjektiven Wahrnehmungseindruck. Darüber hinaus lassen sie vermuten, dass der mediorsale Nucleus in die räumliche Gewichtung von Aufmerksamkeit involviert ist. Folgeuntersuchungen an weiteren Patienten mit fokalen Läsionen im Kerngebiet des rechten oder linken mediodorsalen Nucleus sollen überprüfen ob die Halbfeldspezifizität in beiden Kerngebieten auftritt. Die Studie demonstriert darüber hinaus die Spezifizität und Sensitivität der TVA in der Diagnostik von Aufmerksamkeitsdefiziten nach einem Schlaganfall.