Rehabilitation (Stuttg) 2009; 48(2): 111-114
DOI: 10.1055/s-0029-1202291
Beitrag zur Diskussion

© Georg Thieme Verlag KG Stuttgart · New York

Das „Rubikon-Missverständnis” – ein häufiges Motivationsproblem in der medizinischen Rehabilitation (psychisch) kranker Erwerbstätiger

The “Rubicon-Misunderstanding” – a Problem in Motivating Mentally Ill Employees to Return to WorkM. Poersch 1 , 2 , M. Schmitt 1 , 2
  • 1Dr. von Ehrenwall'sche Klinik, Ahrweiler
  • 2Institut für Resilienz und Recovery, Koblenz
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Publication History

Publication Date:
17 April 2009 (online)

Zusammenfassung

Das Rubikon-Modell der Motivations-Volitions-basierten Handlungsphasen nach Heckhausen eignet sich dazu, ein typisches Missverständnis zwischen Rehabilitand und Rehabilitationsmaßnahmen, z. B.: der „Rehabilitation vor Rente”, zu klären. Dieses Missverständnis wird „Rubikon-Missverständnis” genannt. Die Rehabilitanden befinden sich noch diesseits ohne ausreichende Motivation und Willensstärke für eine Überquerung, während Rehabilitationskonzepte und Professionelle sich bereits zu häufig jenseits des Rubikon befinden und hier intensive und komplexe Maßnahmen zur Steigerung reduzierter berufsrelevanter Funktionsfähigkeiten anbieten. Um diese Missverständnisse vermeiden zu helfen, wird anschließend eine dem Rubikon-Modell stadienadaptierte Interventionsplanung vorgestellt: a) diesseits des Rubikon für passive Patienten überwiegend sinnorientiert und klärend, b) am Rubikon für ambivalente Patienten mit Ermutigung und Anleitung für übende Rubikon-Überschreitungen und c) jenseits des Rubikon für aktive Patienten überwiegend fähigkeitsvermittelnd und bewältigungsorientiert.

Abstract

The Rubicon model of action phases can help clear a typical misunderstanding between patient and medical rehabilitation measures in the return-to-work process. This misunderstanding is named “The Rubicon-Misunderstanding”. Patients remain on their side of the Rubicon with insufficient motivation and volition to cross over, while rehabilitation professionals assume a motivational and volitional state beyond the Rubicon. So sophisticated help is offered to enhance their reduced abilities and occupationally relevant capabilities. To help overcome this misunderstanding, a Rubicon model with status-adapted intervention planning is presented in the following: (a) on this side of the Rubicon, for those patients who are searching clarification and individual meaning in life, the model empowers motivation for new goal settings, (b) on the verge of the Rubicon, the indecisive patient, where therapeutic experiments allow practising the crossing over, and (c) beyond the Rubicon, the active patient, where the model empowers individual coping with problems in the working place and in life.

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1 Die handlungspsychologischen Phasen beinhalten Etappen des „Wünschens” (Motivation) und des „Wollens” (Volition). Der Einfachheit halber wird im Text nur noch von Motivation gesprochen. Damit ist jedoch immer das komplexe Wechselspiel zwischen Motivation und Volition gemeint.

2 „ … natürlich möchte ich wieder arbeiten … ”.

3 Flow bedeutet verkürzt: das völlige Aufgehen im eigenen Tun. Flow wird in der modernen Motivationspsychologie als universeller Tätigkeitsanreiz gesehen [8].

Korrespondenzadresse

Dr. Marius Poersch

Dr. von Ehrenwall'sche Klinik

Walporzheimerstr. 2

53474 Ahrweiler

Email: Marius.Poersch@Ehrenwall.de