Dtsch Med Wochenschr 1926; 52(14): 565-566
DOI: 10.1055/s-0029-1200837
© Georg Thieme Verlag, Stuttgart

Praktische Erfahrungen mit dem Degkwitzschen Masern-Schutzserum

Rudolf Kochmann - Oberarzt der Kinderabteilung
  • Aus dem Küchwaldkrankenhaus in Chemnitz. (Direktor: Prof. Clemens)
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Publication Date:
21 August 2009 (online)

Zusammenfassung

Der Versuch, die Ausbreitung einer Maserninfektion auf einer Krankenhausabteilung durch Immunisierung mit dem Degkwitzschen Masernschutzserum zu verhindern, schlug völlig fehl. Von 19 mit je einer Volldosis geimpften Kleinkindern blieben nur 6 masernfrei. Aber auch diese 6 beweisen nichts zugunsten der Wirksamkeit des Serums: eins hatte schon Masern durchgemacht, ein zweites stand in einem Alter, das für die Maserninfektion fast unempfänglich ist (4. Lebensmonat), ein drittes wurde noch in der Inkubationszeit entlassen und konnte nicht weiter verfolgt werden, ein viertes starb innerhalb der Inkubationszeit, bei den beiden übrigen konnte nicht mit voller Sicherheit festgestellt werden, ob sie nicht Masern bereits durchgemacht hatten.

Zwei erfolglos geimpfte Kinder starben im Verlauf der Masern. Das eine war bestimmt zwischen dem 7. und 9. Inkubationstage geimpft worden. Bei beiden Kindern ergab die Autopsie keinen so schweren Organbefund, daß aus ihm allein der ungünstige Verlauf erklärt werden konnte. Der Fall Nr. 9 (P. B.) verlief außerordentlich stürmisch wie eine Intoxikation.

Von den 11 überlebenden Masernfällen nahmen 5 einen normalen Verlauf. Auch die 3 ambulant geimpften Fälle machten unkomplizierte Masern durch. Die Fieberdauer betrug im Durchschnitt 7 Tage. Bei den 6 komplizierten Fällen (2mal Otitis media, 1mal Bronchopneumonie, 3mal Bronchopneumonie und Otitis media) betrug sie durchschnittlich 16 Tage. Die Exantheme waren sämtlich stark ausgebildet, in einem Fall ausgesprochen hämorrhagisch.

Die Anweisung von Degkwitz, nur zwischen dem 7. und 11. Inkubationstag zu spritzen, ist praktisch nicht immer durchführbar. Ueberdies verbürgt auch ihre Befolgung nicht den Erfolg: ein in der vorgeschriebenen Zeit geimpftes Kind bekam 4 Tage nach der Impfung schwerste Masern mit tödlichem Ausgang. Anderseits verliefen einige in den allerersten Inkubationstagen geimpfte Fälle relativ leicht, einer blieb sogar trotz dauernder Infektionsgelegenheit gesund.

Die Behauptung von Degkwitz, durch Seruminjektion im Prodromalstadium könnten Komplikationen vermieden werden, habe ich nicht nachgeprüft. Er verlangt aber, in solchen Fällen hohe Dosen zu spritzen; wie hohe, geht aus seiner Arbeit nicht hervor; doch schreibt das der Originalpackung beigegebene Merkblatt für die ersten 4 Lebensjahre 3 Schutzeinheiten (d. h. 30 ccm) vor. Solche großen Serummengen Kleinkindern zu injizieren, halte ich für bedenklich und befinde mich mit dieser Ansicht in Uebereinstimmung mit Czerny. Sind doch bei meinen Versuchen schon nach 10 ccm Serum in mehr als einem Drittel der Fälle ungewöhnlich schwere und langanhaltende anaphylaktische Erscheinungen aufgetreten. Diese Serumkrankheiten verliefen ebenso schwer wie normale, unbeeinflußte Masern. Ob die beiden Todesfälle dem Serum zur Last fallen, lasse ich dahingestellt. Zum mindesten diskreditieren die häufigen Serumkrankheiten das Verfahren beim Publikum, zumal einem so impfgegnerischen wie in unserer Gegend. Hat es doch Mühe genug gekostet, die Ueberzeugung von der Wirksamkeit des Masernrekonvaleszentenserums bei ihm zu befestigen. Es dürfte sich nicht empfehlen, diese erprobte Methode (auch meine mehr als 100 Fälle umfassenden Erfahrungen bestätigen ihre Zuverlässigkeit) durch eine weniger vollkommene zu verdrängen. Der hohe Preis des Tierserums wirkt dem schon entgegen. Jedenfalls muß erwartet werden, daß das Maserntierserum einer erneuten experimentellen Prüfung unterzogen wird, ehe er Allgemeingut der Prophylaxe und Therapie wird.