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DOI: 10.1055/s-0029-1185313
© Georg Thieme Verlag KG Stuttgart · New York
Die Versorgung des zahnlosen Patienten
Publication History
Publication Date:
09 April 2009 (online)
Einleitung
Die Mundgesundheit der Bevölkerung hat sich in den vergangenen Jahrzehnten in Deutschland deutlich verbessert. Dennoch ist etwa jeder vierte Patient jenseits des 65. Lebensjahrs zahnlos.
Ein Vergleich der Ergebnisse aus den Deutschen Mundgesundheitsstudien der Jahre 1997 und 2005 [[1], [2]] zeigt, dass in diesem Zeitraum der Anteil zahnloser Patienten zurückgegangen ist. Im Jahre 1997 waren in der Altersgruppe der 65–74-Jährigen 24,8 % zahnlos, 2005 waren es 22,6 %. Damit nimmt Deutschland in Europa einen Mittelplatz ein.
Für die Gruppe der über 74-Jährigen liegen in Deutschland keine repräsentativen Daten vor, aber der Anteil zahnloser Patienten wird mit höherem Alter natürlich deutlich größer.
Dabei ist eine erhebliche Differenzierung nach dem sozialen Status der Patienten zu beobachten. In der Seniorengruppe (65–74-Jährige) gibt es bei hohem sozialem Status 12,7 % mit Totalprothesen versorgte Patienten, während es bei niedrigem Sozialstatus mit 36,5 % etwa drei Mal so viele sind [[2]].
Künftiger Behandlungsbedarf
Durch die Deutsche Gesellschaft für Zahnärztliche Prothetik und Werkstoffkunde (DGZPW) wurde ein Gutachten zur Bedarfsermittlung für prothetische Leistungen in der Zahnheilkunde bis zum Jahr 2020 [[3]] in Auftrag gegeben. Danach wird der prozentuale Anteil zahnloser Patienten weiter abnehmen, die Anzahl zu versorgender zahnloser Patienten in Anbetracht der ständig wachsenden Lebenserwartung aber dennoch zunehmen (Abb. [1]).
Abb. 1 Altersaufbau der Bevölkerung in Deutschland. Quelle: Statistisches Bundesamt 2003.Der Eintritt der Zahnlosigkeit verschiebt sich in ein höheres Lebensalter, die Lebensspanne ohne eigene Zähne wird aber offensichtlich nicht wesentlich kürzer. Auch für die USA gibt es ähnliche Voraussagen. Dort ist in den vergangenen 30 Jahren der Anteil zahnloser Patienten in jeder Dekade um 10 % gesunken. Dennoch wird nach den Prognosen die Anzahl der Patienten, die Totalprothesen benötigen, von 35,5 Millionen im Jahr 1991 auf 37,9 Millionen im Jahr 2020 wachsen [[4]].
Nach den von Schirrmacher [[5]] publizierten Thesen bilden die 80–90-Jährigen den am schnellsten wachsenden Teil der Bevölkerung. So hat sich z. B. in der Stadt Halle (Saale) die Anzahl der über 100-Jährigen vom Beginn der 90er-Jahre bis heute von 6 auf 30 erhöht.
Bedeutung der Totalprothese für den Patienten
Während die letzten natürlichen Zähne einer Teilprothese noch Halt geben konnten, führt der Übergang zur Totalprothese zu einer neuen Qualität. Für den zahnlosen Oberkiefer ist durch einen guten Saugeffekt in der Regel eine ausreichende Lagesicherung der Prothese zu erreichen. Die Eingliederung einer unteren Totalprothese fordert vom Patienten jedoch oft eine besondere Adaptationsleistung.
Merke: Nicht zufällig wird diese Herausforderung mit dem Begriff der „Inkorporation“ der Prothese beschrieben, was neben dem physiologischen Vorgang auch eine deutliche psychologische Komponente hat.Da die Adaptationsfähigkeit des Menschen mit zunehmendem Alter zurückgeht, führt der Übergang zur Totalprothese dann häufiger zu Schwierigkeiten, besonders, wenn vorher festsitzender Zahnersatz getragen wurde.
Damit ergibt sich für die strategischen Konzepte der zahnärztlichen Prothetik ein Dilemma. Einerseits gelingt es immer häufiger, eigene Zähne zu erhalten und mithilfe von festsitzendem Zahnersatz (einschließlich implantatgetragenem) den Übergang zu herausnehmbarem Zahnersatz zu vermeiden oder zumindest hinauszuzögern. Andererseits schafft ein später Übergang zur Totalprothese vermehrt Probleme. Wegen häufiger Multimorbidität der Patienten und Finanzierungsproblemen wird aber der größte Teil dieser Patientengruppe in absehbarer Zeit mit konventionellen Totalprothesen zu versorgen sein. Implantatgetragener Zahnersatz wird aus verschiedenen Gründen nur für einen Teil der Patienten zur Verfügung stehen. In Deutschland liegt der Anteil der Patienten im Seniorenalter, die mit Implantaten versorgt wurden, bisher lediglich bei 2,6 % [[2]]. Zu berücksichtigen ist auch, dass ein zunehmender Teil der sehr alten Patienten in Einrichtungen der stationären Altenpflege leben wird, in denen eine adäquate Mundpflege häufig nicht gegeben ist und daher einfache, d. h. unkomplizierte und pflegeleichte Formen des herausnehmbaren Zahnersatzes zu bevorzugen sind.
Merke: Auch in Zukunft wird die Behandlung von Patienten mit Totalprothesen zu den alltäglichen Aufgaben in der Praxis gehören. Mit dem wachsenden Bevölkerungsanteil von hoch betagten Patienten wird dabei die Anzahl der Problemfälle zunehmen.Die Totalprothese als komplexe Form der prothetischen Versorgung
Da ein großer Teil der Patienten nach den Beobachtungen in der täglichen Praxis auch mit Prothesen minderer Qualität offensichtlich gut auskommt (Abb. [2]), könnte man von einem niedrigen Anspruchsniveau ausgehen. Bei einer Neuversorgung bereiten aber nicht selten gerade diese Patienten unerwartete Schwierigkeiten.
Abb. 2 Eine trotz erkennbarer Insuffizienz zur vollen Zufriedenheit des Patienten getragene Unterkiefer-Totalprothese.Wenn gegenüber der gewohnten Situation eine erhebliche Umstellung vom Patienten erwartet wird, sollte man schrittweise vorgehen und zunächst die schwerwiegendsten Mängel an den alten Prothesen beheben. Dazu sind provisorische Unterfütterungsmaterialien auf Methacrylatbasis (sog. Tissue Conditioner) bestens geeignet. Auch an eine Korrektur der Okklusion mithilfe eines Autopolymerisats ist zu denken. Damit erreicht man eine Entlastung des oft chronisch fehlbelasteten Prothesenlagers vor der eigentlichen Behandlung und zugleich eine verlässlichere Prognose zum weiteren Ablauf. Andererseits gibt es aber auch die Patienten, die trotz scheinbar bester Voraussetzungen und größter Anstrengungen seitens des Behandlers unüberwindliche Adaptationsstörungen zeigen und Misserfolge bereiten.
Literatur
- 1 Micheelis W, Reich E. Dritte Deutsche Mundgesundheitsstudie (DMS III). Köln; Deutscher Ärzte-Verlag 1999: 391-393
- 2 Micheelis W, Schiffner U. Vierte Deutsche Mundgesundheitsstudie (DMS IV). Köln; Deutscher Zahnärzte Verlag 2006 355-363 372 450
- 3 Bedarfsermittlung für prothetische Leistungen in der Zahnheilkunde bis zum Jahr 2020. DGZPW: Gutachten 2001. www.dgzpw. Zugriffsdatum: 27. 2. 2009.
- 4 Douglass C W, Shih A, Ostry L. Will there be a need for complete dentures in the United States in 2020. J Prosthet Dent. 2002; 87 5-8
- 5 Schirrmacher F. Das Methusalem-Komplott. München; Blessing 2004
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- 10 Müller-Fahlbusch H. Kritische Anmerkungen zur psychogenen Prothesenunverträglichkeit. Schweiz Mschr Zahnheilkunde. 1983; 93 882-889
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Prof. Dr. Karl-Ernst Dette
Martin-Luther-Universität Halle-Wittenberg
Poliklinik für Zahnärztliche Prothetik
Sektion Zahnärztliche Propädeutik
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