Dtsch Med Wochenschr 2009; 134(5): 211
DOI: 10.1055/s-0028-1123983
Korrespondenz | Correspondence
Leserbrief
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Hyperkalzämische Krise infolge eines primären Hyperparathyreoidismus

R. Wagner, K. Seitz
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Publication Date:
29 January 2009 (online)

Zum Beitrag in der DMW Nr. 50/2008 sowie unter www.thieme-connect.de

Guthoff et al. stellen eine sehr interessante und lehrreiche Kasuistik [3] [4]. Es handelt sich um eine 54-jährige Frau, die unmittelbar nach ihrer Rückkehr von einem Badeurlaub auf den Azoren zunehmende Vigilanzstörung entwickelte, für die sich ursächlich eine hyperkalzämische Krise bei primärem Hyperparathyreoidismus herausstellte.

Die Autoren spekulieren, dass der Trigger der hyperkalzämischen Krise eine unzureichende Flüssigkeitszufuhr bei „tropischen Temperaturen” gewesen sein könnte. Da auf den Azoren trotz der subtropischen Lage ein ausgeglichenes ozeanisches Klima herrscht, wäre ein deswegen entstandenes Volumendefizit sehr unwahrscheinlich.

Unseres Erachtens ist es vielmehr plausibel, dass im Badeurlaub von dem die Patientin mit „gebräuntem Hautkolorit” zurückkam, ein Vitamin-D-Mangel in kurzer Zeit korrigiert wurde, und eine rasche Verschlechterung der wohl vorbestehenden subklinischen Hyperkalzämie erst dadurch ausgelöst wurde.

Wie bekannt, wird das Prävitamin D in der Haut aus 7-Dehydrocholesterin photosynthetisiert oder aus der Nahrung aufgenommen, und in der Leber durch ein konsititutives Enzym in 25-Hydroxy-Vitamin D umgewandelt. Der 25-Hydroxy-Vitamin-D-Spiegel wird durch seine längere Halbwärtszeit auch als Marker des Vitamin-D-Angebotes gewertet. Die Umwandlung in die aktive Form (1,25-Dihydroxy-Vitamin D) wird in den Nieren durch ein vom Parathormon geregeltes Enzym vollstreckt. Das aktive 1,25-Dihydroxy-Vitamin D führt einerseits zur Erhöhung der intestinalen Kalziumabsorption durch Stimulierung der Expression des Epithelialen Kalziumkanals (EcaC, oder Synonym: TRPV6) und des Calbindin9K, andererseits durch erhöhte RANKL-Expression zur Bildung von Osteoclasten, die Kalzium aus dem Knochen freisetzen [5] .

Normalerweise kann es durch Sonnenschein nicht zur Hyperkalzämie kommen, da sich die Vitamin-D-Produktion durch gleichzeitige Eliminierung der Prävitamine unter UV-Strahlung in Grenzen hält. Des Weiteren wird das 25-Hydroxy-Vitamin D bei Gesunden nur je nach Kalzium-Spiegel, durch die Regelung des Parathormons in die aktive Form transformiert. Bei Nebenschilddrüsenadenomen mit autonomer Parathormonausschüttung fällt dieses negative Feedback aus. Der 25-Hydroxy-Vitamin-D-Spiegel der Patientin in der Kasuistik war zwar normal (57 nmol/l), aber nur gering oberhalb des heutzutage zunehmend als unteren Grenzwert anerkannten 50 nmol/l. Untersuchungen zeigen die weltweite Häufigkeit des Vitamin-D-Mangels, der bei älteren Menschen 40 – 100 % erreichen kann [6]. Es gibt Beobachtungen, die auf eine höhere Prävalenz des Vitamin-D-Mangels bei Pateinten mit primärem Hyperparathyreoidismus hinweisen [1].

Da sich der Vitamin-D-Mangel auch mit dem Schweregrad eines primären Hyperparathyreoidismus in Zusammenhang zu stehen scheint, wurde auch angenommen, dass ein chronischer Vitamin-D-Mangel zur Verschlechterung des primären Hyperparathyreoidismus führen kann. Von manchen Autoren wird sogar in diesen Fällen eine vorsichtige Vitamin-D-Substitution empfohlen [2]. Umgekehrt wird auch angenommen, dass Fälle von schwerem primärem Hyperparathyreoidismus durch niedrigen Vitamin-D-Spiegel vor einer manifesten, symptomatischen Hyperkalzämie bewahrt werden können [7] . In diesen Fällen wäre der Vitaminmangel eine Folge der durch Pararthormonerhöhung zustandegekommenen Erschöpfung des 25-Hydroxy-Vitamin D Pools bei fehlendem alimentärem Nachschub. Diese „Henne-oder-Ei-Problematik” konnte bisher nicht überzeugend geklärt werden.

Die Koinzidenz des Badeurlaubs und der hyperkalzämischen Krise bei dem wahrscheinlich seit längerem bestehenden Hyperparathyreoidismus in der Kasuistik könnte im Einklang mit unseren physiologischen Kenntnissen auf die mögliche Triggerfunktion der relativen Erhöhung des Vitamin-D-Spiegels hindeuten. Um die Richtung dieser Kausalkette beim primären Hyperthyreoidismus zu erforschen, würden wir prospektive randomisierte Untersuchungen brauchen.

Literatur

  • 1 Boudou P, Ibrahim F, Cormier C, Sarfati E, Souberbielle J C. A very high incidence of low 25 hydroxy-vitamin D serum concentration in a French population of patients with primary hyperparathyroidism.  J Endocrinol Invest. 2006;  29 511-515
  • 2 Grey A, Lucas J, Horne A, Gamble G, Davidson J S, Reid I R. Vitamin D repletion in patients with primary hyperparathyroidism and coexistent vitamin D insufficiency.  J Clin Endocrinol Metab. 2005;  90 2122-2126
  • 3 Guthoff M, Georges C G, Wehrmann M. et al . Hyperkalzämische Krise infolge eines primären Hyperparathyreoidismus.  Dtsch Med Wochenschr. 2008;  133 2639-2643
  • 4 Georges C G, Guthoff M, Wehrmann M. et al . Hyperkalzämische Krise und akutes Nierenversagen infolge eines primären Hyperparathyreoidismus.  Dtsch Med Wochenschr. 2008;  133 (Suppl 0) F3
  • 5 Holick M F. Vitamin D: a D-Lightful health perspective.  Nutr Rev. 2008;  66 S182-94
  • 6 Holick M F. Vitamin D deficiency.  N Engl J Med. 2007;  357 266-281
  • 7 Untch B R, Olson J A. Vitamin D deficiency and primary hyperparathyroidism: an association of uncertain cause and consequences.  Surgery. 2008;  144 860-861

Dr. med. Univ. Semmelweis Robert Wagner
PD Dr. Karlheinz Seitz

Innere Abteilung, Kreiskrankenhaus Sigmaringen, Akademisches Lehrkrankenhaus der Universität Tübingen

Hohenzollernstr. 40

72488 Sigmaringen

Email: wagner.robert.dr@gmail.com