Intensivmedizin up2date 2009; 5(1): 1-2
DOI: 10.1055/s-0028-1119574
Editorial

© Georg Thieme Verlag KG Stuttgart · New York

Leitliniengerechte perioperative venöse Thrombo-Embolie-Prophylaxe

Albrecht  Encke
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Publication Date:
11 February 2009 (online)

Eine routinemäßige perioperative venöse Thromboembolie (VTE)-Prophylaxe ist fester Bestandteil der Versorgung von Patienten aller operativen Fachgebiete. Ihre Notwendigkeit ergibt sich aus den Daten früherer Plazebo-kontrollierter Studien.

Weltweit wurden Anstrengungen zur Etablierung einer leitliniengerechten VTE-Prophylaxe unternommen (z. B. ACCP in den USA [2008], SIGN in Schottland [2002], SFAR in Frankreich [2006]). Ziele dieser evidenzbasierten Leitlinien sind eine höhere Sicherheit bei der Indikationsstellung, größtmögliche Wirksamkeit prophylaktischer Maßnahmen zur Vermeidung thromboembolischer Ereignisse und die Vermeidung unerwünschter Ereignisse wie Blutungskomplikationen und therapieinduzierte Thrombozytopenien. Nach aktuellen, internationalen Untersuchungen werden diese Ziele, auch in Deutschland, noch nicht umfassend erreicht.

In Deutschland existieren seit 1999 Empfehlungen verschiedener Fachgesellschaften und seit 2003 eine interdisziplinäre konsensusbasierte S2-Leitlinie zur VTE-Prophylaxe. 27 Fachgesellschaften und Organisationen haben sich nun zusammengefunden, um diese zu einer „S3-Leitlinie zur Prophylaxe venöser Thromboembolien” weiter zu entwickeln. Dazu wurden alle Aussagen auf der Basis einer systematischen Literaturrecherche und - bewertung überprüft und überarbeitet. Ziel war, gemeinsame, evidenzbasierte und praxistaugliche Empfehlungen zur Prophylaxe venöser Thromboembolien (VTE) zu entwickeln. Methodisch berücksichtigt die Entwicklung der S3-Leitlinie das Regelwerk der AWMF sowie die im Deutschen Instrument zur methodischen Leitlinienbewertung (DELBI) formulierten Anforderungen. Zur Erfassung der Umsetzung der Leitlinienempfehlungen werden Qualitätsindikatoren vorgeschlagen, die im Rahmen einer Pilotphase evaluiert werden sollen.

Die Problematik einer effektiven VTE-Prophylaxe ergibt sich aus der Tatsache, dass die klinische Diagnose einer sich anbahnenden venösen Thrombose im Einzelfall nicht möglich ist und kein verlässlicher Test zur Ermittlung eines individuellen Thromboserisikos zur Verfügung steht. Die überwiegende Zahl tödlicher Lungenembolien ereignet sich ohne klinische Ankündigung. Dies begründet die Notwendigkeit einer generellen Prophylaxe in Risikosituationen wie operative Eingriffe, Verletzungen oder akuten Erkrankungen.

Generell stehen zur VTE-Prophylaxe zur Verfügung: Basismaßnahmen (Frühmobilisation, Bewegungsübungen, Anleitung zu Eigenübungen), physikalische Maßnahmen (z. B. medizinische Thromboseprophylaxestrümpfe, apparative Kompressionsmaßnahmen an den unteren Extremitäten) und medikamentöse Maßnahmen (Antikoagulanzien).

Indikationsstellung und Wahl der Prophylaxeform sollen individuell und risikoadaptiert erfolgen. Dabei hat sich eine klinisch orientierte Risikoabschätzung bewährt, die expositionelle und dispositionelle Risikofaktoren erfasst und berücksichtigt. Das expositionelle Risiko ist durch Art und Umfang des operativen Eingriffs/Traumas charakterisiert, das dispositionelle Risiko durch patientenspezifische Faktoren. Die Häufigkeit thromboembolischer Komplikationen erlaubt die Unterscheidung von drei Risikokategorien: niedriges/mittleres/hohes VTE-Risiko.

Zur Indikationsstellung der VTE-Prophylaxe ergeben sich folgende Empfehlungen:

Alle Patienten sollten Basismaßnahmen erhalten. Zusätzlich können bei allen Patienten physikalische Maßnahmen eingesetzt werden, sofern keine Kontraindikationen vorliegen. Patienten mit mittlerem oder hohem VTE-Risiko benötigen zusätzlich eine medikamentöse Prophylaxe mit Antikoagulanzien. Bei diesen Patienten können physikalische Maßnahmen die Wirkung der pharmakologischen Prophylaxe ergänzen. Wenn Antikoagulanzien kontraindiziert sind (z. B. hohes Blutungsrisiko), sind sie notwendig.

Leitlinienkapitel zur medikamentösen VTE-Prophylaxe, zu Nebenwirkungen und Anwendungseinschränkungen sollen die Auswahl geeigneter Antikoagulanzien erleichtern. Aufgrund ihrer pharmakologischen Eigenschaften haben sich niedermolekulare Heparine (NMH) weltweit zum Standard etabliert. Vitamin K Antagonisten vom Kumarintyp haben in Deutschland keinen Stellenwert. Thrombozytenaggregationshemmer sind nicht ausreichend. Rückenmarknahe Anästhesieverfahren erfordern vor Applikation von Antikoagulanzien die Einhaltung zeitlicher Intervalle zur Vermeidung spinaler/epiduraler Hämatome.

Zusätzlich zu allgemeinen Prinzipien und Empfehlungen wird in der Leitlinie mit speziellen Empfehlungen dezidiert auf die Besonderheiten der VTE-Prophylaxe für spezifische operative Patientengruppen und Versorgungsbereiche eingegangen.

So kann in einigen Situationen alternativ zu NMH das synthetische Pentasaccharid Fondaparinux eingesetzt werden. Bei großen orthopädisch-unfallchirurgischen Eingriffen und ausgedehnten Krebsoperationen im Bauch- und Beckenbereich haben klinische Studien den Nutzen einer verlängerten Thromboseprophylaxe gezeigt, so dass Empfehlungen auch für die poststationäre Versorgung gegeben werden.

Die Publikation der S3-Leitlinie erfolgt im Frühjahr 2009 (www.awmf-leitlinien.de, Register Nr. 003/001). Zukünftig dürften neue, oral applizierbare Antikoagulanzien an Bedeutung gewinnen. Da ihre Zulassung erst kürzlich erfolgte, werden sie in der aktuellen Leitlinie noch nicht berücksichtigt

Prof. Dr.med. Albrecht Encke

Klinik für Allgemeinchirurgie
Universitätsklinikum Frankfurt

Theodor-Stern-Kai 7
60590 Frankfurt/Main

Email: A.Encke@em.uni-frankfurt.de