Pneumologie 2009; 63(4): 222-227
DOI: 10.1055/s-0028-1119573
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Schuldhafte Herbeiführung des Versicherungsfalles bei Vorliegen des ausgeprägten obstruktiven Schlafapnoe-Syndroms nach dem neuen VVG?

Does the Sleep Apnoea Sufferer Act Grossly Negligent According to Paragraph 81 of the New German Insurance Contract Act (VVG) when he Causes a Traffic Accident through Microsleep?I.  E.  Fromm1
  • 1Rechtsanwalt und Fachanwalt für Strafrecht, c/o Kanzlei Dr. Caspers & Mock
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eingereicht 1. 12. 2008

akzeptiert nach Revision 2. 1. 2009

Publication Date:
03 March 2009 (online)

Zusammenfassung

Das ausgeprägte obstruktive Schlafapnoe-Syndrom kann zu schwersten Verkehrsunfällen führen, wenn der Fahrer am Steuer seines Kfz einschläft. Der Beitrag befasst sich mit den versicherungsrechtlichen Folgen, insbesondere mit der Problematik, ob dem Versicherungsnehmer der Einwand der groben Fahrlässigkeit seitens des Versicherers droht. Seit dem 01. 01. 2008 gilt das neue Versicherungsvertragsgesetz, welches in § 81 bestimmt, dass die Leistung bei grob fahrlässiger Herbeiführung des Schadensfalles entsprechend dem Grad des Verschuldens des Versicherungsnehmers prozentual zu kürzen ist. In der Literatur wird vorgeschlagen, innerhalb dieses Verschuldensgrades abzustufen in „geringe”, „mittlere” oder „gravierende” grobe Fahrlässigkeit. In der Regel mag ein Kraftfahrer, bevor er am Steuer seines Fahrzeugs während der Fahrt einschläft, nach dem gegenwärtigen Stand der ärztlichen Wissenschaft deutliche Zeichen der Ermüdung an sich wahrnehmen. Das Missachten solcher Anzeichen indiziert grundsätzlich das Vorliegen grober Fahrlässigkeit. Hat der Fahrer derartige offensichtliche Ermüdungserscheinungen pflichtwidrig ignoriert, so dürfte der Versicherer seine Leistung prozentual kürzen. Nickt ein Kraftfahrzeugführer nach langer Autofahrt trotz festgestellter Müdigkeit hinter dem Steuer ein, so stellt dies eine mittlere grobe Fahrlässigkeit dar, sodass die Leistung um mind. 50 % zu kürzen ist. Handelt nun der Schlafapnoiker aber stets grob fahrlässig bei einem krankheitsbedingten „Sekundenschlaf”? Diese Fragestellung ist in der Rechtsprechung nicht abschließend zugunsten des Versicherungsnehmers entschieden worden. Die obergerichtliche Rechtsprechung erkennt zwar, dass bei einer krankhaften (Schlaf-)Störung offensichtliche Ermüdungserscheinungen nicht zwangsläufig vorausgehen müssen. Nach der Auffassung des Verfassers muss hier aber genauer zwischen behandelter und unbehandelter Schlafapnoe sowie der Frage, ob Kenntnis vom Krankheitsbild besteht, differenziert werden. Hat der Schlafapnoiker etwa einen Unfall durch Einnicken am Steuer verursacht und war ihm das Risiko des plötzlichen Auftretens von Schläfrigkeit bewusst, etwa weil ihn sein Arzt über die Gefahr aufgeklärt hat, so kann eine gravierende grobe Fahrlässigkeit nicht von der Hand gewiesen werden mit der Folge einer Kürzung um bis zu 65 %.

Abstract

The strongly pronounced obstructive sleep apnoea syndrome can lead to serious traffic accidents if the driver falls asleep at the wheel. This article deals with the insurance law consequences, especially with the problem if the insurer raises the objection that the sleep apnoea sufferer acted grossly negligent. Since the new German Insurance Contract Act of 1st January 2008 paragraph 81 regulates a benefit reduction in cases of gross negligence by the insurant. The insurer can shorten assurance benefit according to the degree of fault. In the literature it is proposed to grade the level of grossly negligence into low, middle and serious forms of default. Usually the driver notices clear signs of exhaustion in the current state of medical science. If he ignores obvious facts of exhaustion the insurer can shorten assurance benefits percentual. When the driver dozes off after a long trip although he has noticed his exhaustion, a case of gross negligence exists. Here the insurer can reduce the assurance benefit by about 50 %. Does the sleep apnoea sufferer always act in a grossly negligent manner in cases of microsleep? This point has not yet been decided by the German jurisdiction in favour of the policyholder. The jurisdiction is aware of the fact that in the case of sleep apnoea fatigue does not necessarily need to precede the act of falling asleep. In the opinion of the author it has to be distinguished between medicated and not medicated sleep apnoea and further if the sufferer knows about his disease. If the sleep apnoea sufferer has known of the risk of sudden microsleep, for example, after being warned by his doctor who discovered the disease, gross negligence cannot be dismissed and assurance benefit has to be reduced by about 65 %.

Literatur

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  • 11 Römer W. Das sogenannte Augenblicksversagen. VersR 1992: 1187ff.
  • 12 Lang A. Alkohol im Straßenverkehr und Versicherungsschutz. NZV 1990: 169ff.

1 § 61 VVG alte Fassung (a.F.) lautete: „Der Versicherer ist von der Verpflichtung zur Leistung frei, wenn der Versicherungsnehmer den Versicherungsfall vorsätzlich oder durch grobe Fahrlässigkeit herbeiführt.”

2 Bericht M 174.

3 Zuletzt BGH VersR 1992, 1087 = RuS 92, 279; VersR 1989, 582; ständige Rechtsprechung des BGH seit BGHZ 10, 14; vgl. etwa auch BGH VersR 1986, 671; 1988, 509; 1989, 141.

4 BGH, NJW 1985, 2648 = NVersZ 1985, 440 m.w. Nachw.

5 Ganz h.M.: BGH, NJW 1989, 1612 = VersR 1989, 469; NJW 1990, 2387; BGHZ 65, 118, 121 f.; BGH NJW 1985, 919, 920; BGH NJW 1985, 917, 918.

6 Art. 1 EGVVG.

7 Art. 14 Abs. 2.

8 OLG Koblenz, Urteil vom 11. 1. 2007 – 10 U 949/06, r + s 2007, 151; BGH NJW 1974, 948; Das OLG Celle (r + s 2005, 456) entschied, dass kein Leistungsausschluss wegen grob fahrlässiger Herbeiführung des Versicherungsfalls vorliege, wenn nicht auszuschließen und nach den Umständen darüber hinaus auch naheliegend ist, dass ein Sekundenschlaf ursächlich war, den der Versicherungsnehmer „einfach fahrlässig” nicht vorhergesehen hat (Fahrt nach 11- statt sonst 9-stündiger Nachtschicht; kein Gefühl der Fahruntauglichkeit; regelmäßige, problemlose Autofahrt nach den Nachtschichten); vgl. auch OLG Düsseldorf, Urteil vom 26. 10. 2001 – 1 U 73/01, LG Kaiserslautern: Urteil vom 30. 06. 2004 - 3 O 1176/03.

9 BGH VersR 1977, 619, 620; OLG Schleswig DAR 2001 463; OLG Koblenz r + s 1998, 187 f.; OLG Zweibrücken NZV 1998, 289; OLG Oldenburg NJW-RR 1999, 469.

10 Vgl. zu einem Sonderfall OLG Frankfurt/Main r + s 1993, 290; für Versicherungsnehmer OLG Hamm VersR 1997, 961 f.; auch OLG Saarbrücken NJW-RR 2003, 605 f.

11 BGH NJW 1970, 520.

12 OLG Hamm, VersR 1997, 961; ZfSch 1998, 182.

13 OLG Frankfurt a. M., MDR 1998, 215; OLG Oldenburg, NJW-RR 1999, 469.

14 NJW-RR 2004, 173.

15 NJW 1953, 1077.

16 BGH , Urteil vom 18. 11. 1969 – 4 STR 66/69, NJW 1970, 520. In dem zugrundeliegenden Fall litt der Betroffene an der seltenen Krankheit der Narkolepsie.

17 NJW-RR 2004, 173.

18 OLG Saarbrücken, r + s 2003, 101, 104.

19 Hierzu: OLG Oldenburg NVersZ 1999, 80 m.w.N. OLG Frankfurt NZV 1993, 32.

20 BGH VersR 1984, 25; OLG Nürnberg NZV 1990, 315; OLG Oldenburg RuS 1994, 246 = VersR 1994, 1336.

21 Die Abkürzung CPAP steht für Continuous Positive Airway Pressure (Kontinuierlicher Atemwegsüberdruck).

22 BGHZ 39, 108; BGHZ 98, 139.

23 BGH RuS 1989, 349 = VersR 1989, 469/470 in Bestätigung von OLG Hamm VersR 1988, 394; OLG Hamm RuS 1988, 2; VersR 1988, 126; VersR 1992, 818; Rus 1998, 10; RuS 2001, 55; OLG Schleswig VersR 1994, 467.

24 IV a ZR 274/87, VersR 1989, 469, 470; ebenso Urt. v. 23. 01. 1985 – IV a ZR 128/83 - r + s 1985, 80 = VersR 1985, 440.

25 BGHZ 111, 372.

26 BGHZ 98, 135 [136] = NJW 1987, 121; BGHZ 102, 227 [230] = NJW 1988, 822.

27 BGHZ 111, 372 [374] = NJW 1990, 2387; BGH, NJW 1985, 2648 = VersR 1985, 440 und NJW 1989, 1612 = VersR 1989, 469.

28 BGHZ 119, 147 [151 m. w. Nachw] = NJW 1992, 2418.

29 BGH, NJW 1989, 1612 = VersR 1989, 469; NJW 2003, 1118 = VersR 2003, 364 m. w. Nachw.

30 Vgl. dazu BGH, NJW 1989, 1187 = VersR 1989, 840.

31 BGH, NJW 1985, 2648 = VersR 1985, 440; NJW 1989, 1612 = VersR 1989, 469.

Dr. jur. Ingo E. Fromm

Rechtsanwalt und Fachanwalt für Strafrecht
c/o Kanzlei Dr. Caspers & Mock

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