Dtsch Med Wochenschr 1949; 74(24): 772-775
DOI: 10.1055/s-0028-1118507
Klinik und Forschung

© Georg Thieme Verlag, Stuttgart

Entwicklung und gegenwärtiger Stand der Tuberkulose in deutschen und anderen Ländern (Schluß)

E. Kröger, H. Reuter
  • Hygiene-Institut der Universität Göttingen (Direktor: Prof. Dr. Th. J. Bürgers)
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Publication Date:
02 June 2009 (online)

Entwicklung und gegenwärtiger Stand der Tuberkulose in deutschen und anderen Ländern

Zusammenfassung

An Hand derzeitig erreichbarer in- und ausländischer Literaturangaben sowie eigener Umfragen bei westdeutschen Länderregierungen wird ein Überblick über die Entwicklung und den gegenwärtigen Stand der Tuberkulose in Deutschland und anderen Ländern versucht. Soweit die nicht auf Röntgenkatastern der Bevölkerungen beruhenden Tbc.-Erfassungszahlen eine Stellungnahme zulassen, kommt die vorliegende Arbeit zu folgenden Ergebnissen:

1. Tuberkulosemortalität: Im Gefolge des zweiten Weltkrieges sind auch in den Ländern mit zwischenzeitlichem Ansteigen der Meldungen über die Tbc.-Sterbefälle mit Ausnahme von Berlin und vielleicht einigen Großstädten der deutschen Ostzonenländer absolut und relativ die Meldezahlen des ersten Weltkrieges nicht wieder erreicht worden. Die prozentuale Kriegssteigerung der Meldungen war in den deutschen Ländern in und nach dem letzten Krieg wiederum am stärksten ausgeprägt und erreichte in der britischen Zone in etwa die des Reiches im ersten Weltkrieg. Besonders stark haben in der britischen Zone die Meldungen von Sterbefällen der extrapulmonalen Formen zugenommen. Die deutschen Meldungen zeigen nach dem letzten Krieg eine früher nicht gekannte erhebliche Übersterblichkeit der jungen Männer. Mit Ausnahme Portugals weisen alle aufgeführten Länder, auch wenn sie einen neuerlichen Kriegsanstieg zu verzeichnen hatten, einen Rückgang der Meldungen an tuberkulösen Sterbefällen auf. Mit Ausnahme von Westdeutschland, Berlin, Belgien, Holland, Italien und Ägypten wird dabei der Vorkriegsstand der Meldungen unterschritten.

2. Tuberkulosemorbidität: Die Meldungen an tuberkulösen Erkrankungen haben in den geschilderten deutschen Gebieten (westliche Bizone und Berlin) gegenüber der Vorkriegszeit zugenommen. Zweifelsfrei ist die Zunahme bei den Meldungen der extrapulmonalen Formen. Die enorme Zunahme der Meldungen an aktiver Tuberkulose der Atmungsorgane im Jahre 1947 ist wesentlich durch die von den Besatzungsmächten angeordnete Hineinnahme der aktiv geschlossenen Tuberkulose der Atmungsorgane in die Anzeigepflicht bedingt. Allerdings scheinen auch in der seuchenhygienisch bedeutungsvollen Gruppe der ansteckenden Tuberkulose der Atmungsorgane die Zugangsmeldungen gegenüber der Vorkriegszeit zugenommen zu haben. Auf jeden Fall ist jedoch die Bestandszahl in dieser Gruppe bei den Tbc.-Fürsorgestellen ebenfalls erhöht. Wenn auch nach den Zahlen des Jahres 1948 für das Gebiet der britischen Zone der Höhepunkt überschritten scheint, stellt diese erhöhte Bestandszahl eine vermehrte Infektionsgefahr dar. Die ganz erheblich erhöhten Zugangs- und Bestandsmeldungen in der Gruppe der aktiv geschlossenen Tuberkulosen der Atmungsorgane zeigen einen hohen Anteil der Kinder. Für alle gemeldeten tuberkulösen Erkrankungen zeigt sich — wie bereits bei den Sterblichkeitszahlen der Nachkriegszeit — ein früher nicht gekanntes Überwiegen des männlichen Geschlechtes. Insgesamt muß mangels Vorliegen von Röntgenkatastern der Bevölkerung offen bleiben, inwieweit die festgestellten Zunahmen der Meldungen durch Zunahme tuberkluöser Neuerkrankungen, durch eine bessere Erfassung bereits vorhanden gewesener tuberkulöser Erkrankungen oder — in der Gruppe der aktiv geschlossenen Tuberkulose der Atmungsorgane — durch eine zeitbedingte großzügigere Auslegung des Aktivitätsbegriffes vor allem bei der kindlichen Hilusdrüsentuberkulose bedingt sind.

Der jetzt allgemeiner zur Anerkennung kommenden Forderung nach Schaffung besserer Unterlagen für die Morbiditätserhebungen durch Änderung wenigstens der Meldeschemata für die derzeitigen Erfassungszahlen ist nachdrücklichst zuzustimmen und auch an dieser Stelle an die Einsicht und Mitarbeit der zu differenzierteren Meldungen verpflichteten Ärzte und Fürsorgestellen zu appellieren.