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DOI: 10.1055/s-0028-1117334
Alkoholentzugsbehandlung in der somatischen Medizin
Bei ca. jedem 5. Krankenhauspatient besteht ein riskanter, schädlicher oder abhängiger Alkoholkonsum, bis zu 50% dieser Patienten sind durch die Entwicklung eines Alkoholentzugsyndroms gefährdet. Auch sind Patienten schon ab einer täglichen Trinkmenge von 60g Reinalkohol einem 2 bis 5fach erhöhtem Risiko ausgesetzt, z.B. im postoperativen Verlauf eine relevante Komplikation zu erleiden. [z.B. Alkoholentzugssyndrom oder Infektion, (z.B. Pneumonie), Sepsis, Blutung, kardiale Komplikation].
Wegen diagnostischer Besonderheiten ist beim suchtkranken Patienten ein gezieltes diagnostisches Vorgehen erforderlich: Suchtdiagnosen werden öfters entweder erst an Hand von Komplikationen im Verlauf gestellt oder die Intoxikation durch eine schwerwiegende Erkrankung verschleiert (z.B. Schädelhirntrauma und Alkoholintoxikationen, Delir und Thiaminmangel). Ein Missbrauch von mehr als einer Substanz ist häufig. Eine toxikologische Untersuchung ist diagnostisch oft weiterführend. Die Differentialdiagnose des Alkoholentzugssyndroms ist bei intensivmedizinischen Patienten schwierig und darf erst dann gestellt werden, wenn weitere vital bedrohliche Differentialdiagnosen bzw. Komplikationen wie Blutungen, metabolische Entgleisungen, Infektionen, Hypoxie, Schmerzen oder fokale neurologische Symptome ausgeschlossen sind oder behandelt und anamnestisch oder laborchemisch ein Hinweis auf eine Alkoholkrankheit vorliegt.
Metabolische Störungen (z.B. Glucose, Elektrolyte) sollten adäquat therapiert werden, eine Thiaminsubstitution sollte zur Prophylaxe der Wernicke-Enzephalopathie erfolgen.
Zur Behandlung des Alkoholentzugssyndroms werden Benzodiazepine als Mittel der ersten Wahl eingesetzt. Als adjuvante Therapie können bei vegetativen Symptomen Clonidin, bei Halluzinationen Haloperidol symptomorientiert verabreicht werden. Diese Medikamente ergänzen sich kausal im Hinblick auf die beim Alkoholentzugssyndrom auftretenden Transmitterimbalancen des GABA-ergen (Benzodiazepine, Clomethiazol), dopaminergen (Haloperidol) und noradrenergen Systems (Clonidin). Ein symptomorientiertes Vorgehen im Gegensatz zu einem fixen Behandlungsschema kann die Behandlungszeit, Medikamentenverbrauch und Komplikationen reduzieren.
Das Alkoholentzugssyndrom kann durch eine prophylaktische Behandlung des Patienten verhindert oder in seinem Schweregrad reduziert werden. Der Übergang zwischen Prophylaxe oder Therapie kann fließend sein. Durch Prävention können Intensivbehandlungen vermieden oder verkürzt werden, wenn ausreichende Screeningverfahren und Kurzinterventionen, präoperative Abstinenzintervalle, eine bedarfsangepasste Anaesthesieform, Prophylaxe und Substitution, die Therapie von Komorbidität und vor oder nach einer Operation ein qualifizierter Entzug angeboten wird. So kann eine präoperative Abstinenz von 4 Wochen die postoperative Morbidität nach elektiven Eingriffen verringern. In einer Interventionsstudie konnte gezeigt werden, dass durch eine pharmakologische Intervention mit Morphin, niedrig dosiertem Ethanol und Ketokonazol im Vergleich zu Placebo die bei Alkoholkranken prolongierte Kortisolantwort auf den operativen Stress verhindert und damit die Infektionsinzidenz reduziert werden konnte (Spies et al. Am J Respir Crit Care Med. 2006).
Die frühzeitige Diagnose des chronischen Alkoholmissbrauchs ist wichtig, um ein Alkoholentzugssyndrom vermeiden zu können und beruht auf der Synopsis der Eigen- und Fremdanamnese (inklusive gezielter Evaluation von Substanzgebrauch), körperlicher Untersuchung, alkoholspezifischer Fragebögen sowie Laborwerten. Allgemeines Screening mit Fragebögen (CAGE, AUDIT) bzw. Laborwerten in Hochrisikogruppen haben sich bewährt.