Dtsch Med Wochenschr 1974; 99(51): 2597-2602
DOI: 10.1055/s-0028-1108176
© Georg Thieme Verlag, Stuttgart

Poliomyelitis in der Bundesrepublik Deutschland

Rückblick auf das Jahr 1973* Poliomyelitis in the Federal Republic of Germany. A retrospective study of 1973D. Neumann-Haefelin, Ch. Neumann-Haefelin, H. G. Baumeister, K.-W. Knocke, E. E. Petersen, R. Haas
  • Nationales Referenzzentrum für Enteroviren im Hygiene-Institut der Universität Freiburg, zugleich Medizinaluntersuchungsamt für den Regierungsbezirk Südbaden
* Diese Arbeit wurde durch Mittel des Bundesministeriums für Jugend, Familie und Gesundheit gefördert.
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Publication Date:
08 April 2009 (online)

Zusammenfassung

1973 wurden in der Bundesrepublik Deutschland in 129 Fällen Polioviren isoliert. Markeruntersuchungen zeigten, daß es sich in 33 Fällen um Poliowildviren handelte, die bei sporadisch aufgetretenen Erkrankungen (n = 27) und aus der Umgebung der Erkrankten (n = 6) isoliert wurden. Bei dem größten Teil der Patienten konnten Hinweise auf die Einschleppung der Poliowildviren aus Ländern mit endemischer Poliomyelitis gefunden werden. Wegen der Gefahr, die vor allem in den zahlreichen zusätzlichen inapparenten Poliovirusinfektionen zu sehen ist, wird eine konsequentere Impfung der gesamten Bevölkerung gefordert. Die übrigen 96 der 129 Poliovirusisolierungen standen in mehr oder weniger sicherem zeitlichem Zusammenhang mit Polioschluckimpfungen. Bei 43 Fällen wurden durch Markeruntersuchungen die Impfviruseigenschaften nachgewiesen. Weitere 42 Isolierungen erfolgten kurz nach der Teilnahme an der Schluckimpfung. Elf Isolate von Personen, die kurz zuvor nicht oder nicht sicher geimpft waren, standen leider nicht zur Markeruntersuchung zur Verfügung. Obwohl sicher einige wenige echte Impfkomplikationen unter den berichteten Fällen sind, ist bei den meisten ein zufälliges Zusammentreffen der Impfung mit einer Erkrankung anderer Genese anzunehmen. Vor einer pauschalen Bewertung als Impfschadensfall wird deshalb gewarnt.

Summary

In 1973 poliovirus was isolated in 129 patients. Marker investigations showed that 33 cases had polio-wildvirus which was isolated in sporadically occurring affections (n = 27) and from the surroundings of those affected (n = 6). In most patients there was evidence for introduction of the polio-wildvirus from countries with endemic poliomyelitis. Due to the suspected danger of numerous additional inapparent poliovirus infections systematic vaccination of the whole population is required. The remaining 96 of the 129 poliovirus isolations had a more or less probable connection with oral polio vaccinations as regards time. In 43 cases the vaccination virus properties could be demonstrated by marker investigations. Another 42 isolations were made shortly after participation in oral vaccinations. Eleven virus isolations from persons who were not or not definitely vaccinated shortly before were unfortunately not available for marker investigations. Although there are undoubtedly a few genuine vaccination complications among the cases reported in most of them a coincidental occurrence of the vaccination and a disease of other origin may be assumed.